dbb magazin 3/2022

Die Ausweitung der Mini- und Midijobs setzt falsche Signale. Die Bundesregierung müsste vielmehr alles daransetzten, Arbeitsverhältnisse zu schaffen, die Raum für Familie geben und ein gutes Auskommen auch im Alter garantieren. STANDPUNKT Modelfoto: Colourbox.de Erhöhung der Verdienstobergrenze für Minijobs Altersarmut ist weiblich Die Lebenshaltungskosten steigen und steigen. Da ist der Vorstoß der Bundesregierung, die Mindestlöhne anzuheben, nur nachvollziehbar. Doch in einem Punkt müssen wir vehement widersprechen: Die vorgesehene Erhöhung der Verdienstobergrenze für Minijobs trägt nicht dazu bei, Menschen – und hier sind insbesondere Frauen gemeint – vor Altersarmut zu schützen. Auch wenn das Gesetzesvorhaben auf den ersten Blick für die Betroffenen wie eine finanziell gut nachvollziehbare Entlastung daherkommt, werden mit diesem Schritt prekäre Arbeitsverhältnisse weiter verfestigt. Das passt so gar nicht zur Forderung nach mehr qualifiziertem Personal, das in bald allen Branchen und vor allem auch im öffentlichen Dienst fehlt. Eine Qualifizierungsoffensive in Kombination mit der Abschaffung von Mini- und Midijobs wäre der deutlich bessere Schritt. Als Minijobs im Zuge der Hartz-Reformen eingeführt wurden, geschah das mit der Absicht, für Langzeitarbeitslose eine Beschäftigungsbrücke zu schlagen – raus aus der Sozialhilfe und zurück in den ersten Arbeitsmarkt. Doch ziemlich schnell war klar: Die Minijobs haben Magnetwirkung. Nur wenige Menschen schaffen es tatsächlich, über den Niedriglohnsektor einer geringfügigen Beschäftigung zu entkommen. Wer einen Minijob annimmt, läuft Gefahr, lebenslang arm zu bleiben. Aber was hat das mit den Frauen im öffentlichen Dienst zu tun? Auf den ersten Blick mag die Verbindung unschlüssig erscheinen, zumal im öffentlichen Dienst Tariflöhne bezahlt werden oder Beamtenverhältnisse für die soziale Absicherung bis ins hohe Alter sorgen. Doch bei genauerer Betrachtung der Branchen, in denen überwiegend Minijobs angeboten werden – das sind zum einen der Handel und die Gastronomie und zum anderen Pflegeeinrichtungen, Kitas und das schulische Umfeld (!) –, fällt auf, dass vor allem Frauen, meist Mütter, diese Arbeitsmodelle wahrnehmen. Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, die nah an familiären Sorgetätigkeiten angelehnt sind – wie Kochen, Putzen oder Kinder versorgen –, gelten bis heute als ideale „Zuverdienstmöglichkeiten“ für Mütter. Hinzu kommt, dass Frauen – egal ob berufstätig oder nicht – im Schnitt rund 52 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit aufwenden als Männer. Auch deshalb nutzen sie das Instrument der Mini- und Midijobs häufig als Ergänzung und mitunter als einzige Möglichkeit, Familie und Pflege von Angehörigen mit einer Erwerbsarbeit zu vereinbaren. Die Verstetigung solcher Zuverdienstmodelle – und dazu zählt auch Teilzeitbeschäftigung – hat zudem erhebliche Auswirkungen auf die Alterssicherung. Aus diesen „atypischen“ Beschäftigungsverhältnissen resultieren später oftmals kleine Renten und infolgedessen für Frauen ein hohes Risiko der Altersarmut. Unser Fazit: Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse tragen nicht unerheblich dazu bei, patriarchale Gesellschaftsstrukturen zu bewahren, die den Mann als „Familienernährer“ definieren und die Frau in der Rolle der „fürsorgenden Mutter“ verorten. Wollen wir diese Strukturen überwinden, dann müssen wir auch geringfügige Beschäftigungsmodelle als Teil des Problems ansehen. Denn Minijobs haben eine Sogwirkung auf Tariflöhne – und zwar nach unten. Überall dort, wo qualifizierte Tätigkeiten als geringfügige Beschäftigung angeboten werden und häufig von fachfremdem oder ungelerntem Personal ausgeführt werden, verlieren sie an tatsächlichemWert. Hinzu kommt der branchenübergreifende Fachkräftemangel, der auch den öffentlichen Dienst hart trifft. Die Ausweitung der Mini- und Midijobs setzt auch in dieser Hinsicht falsche Signale. Vielmehr müsste die Bundesregierung in Sachen Arbeitsmarktpolitik alles daransetzen, Arbeitsverhältnisse zu schaffen, die Raum für Familie geben und ein gutes Auskommen auch im Alter garantieren – und zwar für Männer und Frauen. Milanie Kreutz, Vorsitzende der dbb bundesfrauenvertretung INTERN 31 dbb magazin | März 2022

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