dbb magazin 4/2022

GESUNDHEITSPOLITIK UmWege aus dem Dilemma zu finden, muss man sich zunächst mit der Finanzierung der Kliniken beschäftigen. Die Krankenhausfinanzierung stützt sich hierzulande auf zwei Säulen: Die Krankenkassen kommen mit ihren Entgelten an die Klinikbetreiber quasi für die laufenden Betriebskosten wie Personal, Material, Energie und Wasser auf. Für Investitionskosten wie Neubauten und Geräte ist das jeweilige Bundesland zuständig. Theoretisch klingt das gut, praktisch geht die Rechnung seit Jahren vorne und hinten nicht auf. Denn beide Säulen sind nicht so stabil, dass das System insgesamt nachhaltig getragen – sprich finanziert werden kann. Überleben im Abrechnungsdschungel Auf der Krankenkassenseite läuft die Abrechnung über die sogenannten Diagnosis Related Groups, kurz DRG – zu Deutsch: Fallpauschalen, die je nach Diagnose abgerechnet werden. Der Betrag ist immer gleich hoch, unabhängig davon, ob jemand gesetzlich oder privat krankenversichert ist. Die Kassen erstatten außerdem die Personalkosten, die für die Pflege der Patienten entstehen. Die Fallpauschalen beinhalten ärztliche Leistungen, Sachkosten wie Medikamente, Verbände oder etwa künstliche Gelenke, Aufwendungen für Unterhalt und Verwaltung. Sie werden vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus aufgrund der Durchschnittskosten von Modellkliniken jährlich berechnet und dann pauschal für alle festgelegt. Die Pflegekosten hingegen verhandeln die Krankenkassen mit den Kliniken individuell, je nach den tatsächlichen Ausgaben der einzelnen Häuser. Fallpauschalen und Pflegekosten sind nicht in der Höhe oder der Menge begrenzt, die Kassen zahlen die Summe, die bei den Krankenhäusern entsteht. Für die Kliniken bedeutet das: Wer mehr Leistungen erbringt, nimmt mehr Geld ein. Eine vielfach kritisierte Praxis ist in diesem Zusammenhang das sogenannte „Upgrading“: Kliniken prüfen bei der Abrechnung mit den Kassen bisweilen gezielt, ob sie nicht eine schwerere Diagnose als ursprünglich gestellt angeben können. So erhalten sie mehr Geld von der Kasse, aber auch die Kassen haben aufgrund bestimmter Diagnosen mehr Ansprüche auf Mittel aus dem Gesundheitsfonds. Die Verfahren von Abrechnungsprüfungen, die diesen Dschungel durchdringen müssen, sind über die Jahre drastisch gestiegen und verschlingen mittlerweile selbst Unsummen, die das System auf allen Seiten zusätzlich belasten. Für die stationäre Versorgung zahlen die Krankenkassen jähr- lich immer mehr. Waren es bei den gesetzlichen Krankenversicherungen 2008 noch 52 Milliarden Euro, stieg der Betrag auf 81 Milliarden Euro im Jahr 2020. Für die Kostensteigerungen gibt es viele Gründe. So ist Deutschland eine alternde Gesellschaft mit erhöhtem Bedarf an medizinischer Versorgung. Zu Buche schlagen auch technischer und medizinischer Fortschritt, Inflation und steigende Personalkosten. Den Hauptgrund machen Gesundheitsökonomen wie Reinhard Busse von der Technischen Universität Berlin allerdings darin aus, dass zu viele Krankenhausbetten vorgehalten würden: „Die Kliniken werden dann bezahlt, wenn sie diese Betten belegen. Und dann machen sie das auch“, erklärte Busse Anfang Januar in der „tagesschau“. Zusätzlich schaffe das Vergütungssystem über Fallpauschalen Anreize für die Kliniken, möglichst viele Fälle abzurechnen, insbesondere jene, die sich DRG-technisch besonders lohnen. So ist nach Daten des Statistischen Bundesamtes die Zahl der Kniegelenks-OPs innerhalb von zwölf Jahren um rund die Hälfte gestiegen, die Zahl der Hüft-OPs um rund ein Viertel. Prekär ist, dass über die Fallpauschalen insbesondere die ärztlichen LeistunKrankenhausfinanzierung System am Tropf Rund 2 000 Krankenhäuser gibt es derzeit in Deutschland – und so richtig rund läuft es schon lange nicht mehr mit der Finanzierung der Häuser, was sich insbesondere an dem seit Jahren bestehenden Missverhältnis zwischen Pflegepersonal und den zu Versorgenden zeigt. Die Kliniken hängen am Tropf von Krankenkassen und Bundesländern, was immer mehr zur wirtschaftlichen Gratwanderung wird. Es braucht neue Konzepte, die das Kliniknetz medizinisch wie finanziell solide für die Zukunft aufstellen. Model Foto: Edward Olive/Colourbox.de 12 AKTUELL dbb magazin | April 2022

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