dbb magazin 4/2022

Chancen und Voraussetzungen einer europäischen Friedenspolitik Europa als Beweis, dass man Frieden lernen kann Russland ist in die Ukraine einmarschiert. Das ist eine Situation, die vielen noch vor kurzer Zeit unvorstellbar erschien – und doch ist sie eingetreten. Durch diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg ist das Haus Europa bedroht. Die Europäische Union steht zwar geeint an der Seite der Ukraine und verurteilt die militärische Aggression aufs Schärfste. Doch nun ist endgültig klar: Wir sind nicht mehr nur von Freunden umgeben. Während sich vor unseren Toren ein Krieg abspielt, liegt ein anderes außenpolitisches Ereignis, das Europa aufgerüttelt hat, noch gar nicht lange zurück: der Fall Afghanistans und die Machtübernahme durch die Taliban. Das Nation Building im Land, ein Projekt, das 20 Jahre andauerte, ist gescheitert. Durch den überhasteten Rückzug blieben dabei die engsten Verbündeten der westlichen Akteure auf der Strecke: die Menschenrechtsverteidiger*innen, die sich unermüdlich für die afghanische Zivilgesellschaft, Frauenrechte und Demokratie eingesetzt hatten. Viele von ihnen konnten das Land nicht mehr rechtzeitig verlassen, verstecken sich jetzt und müssen um ihr Leben bangen. Wie das geschehen konnte, dazu muss sich auch die EU viele Fragen gefallen lassen. Und dennoch: Weltweit blicken Menschen auf die EU als Verteidigerin universeller Werte. Die Geschichte der EU, die errichtet wurde auf den Ruinen des Zweiten Weltkriegs und inzwischen enger verzahnt ist denn je, gibt Menschen in aller Welt Hoffnung, die teilweise seit Jahren und Jahrzehnten von Krise zu Krise leben. Als ich mit Anfang 20 als Austauschstudentin in die Philippinen reiste, in eine Gegend, in der seit 40 Jahren Bürgerkrieg herrscht, wurde mir dies zum ersten Mal richtig klar. Ein Friedensaktivist sagte damals zu mir: „Europa ist für uns der Beweis, dass man Frieden lernen kann. Immer wenn bei uns wieder einmal ein Friedensabkommen scheitert, dann erinnern wir uns daran, dass auch Menschen, die einst die schlimmsten Feinde waren, konstruktiv zusammenarbeiten können.“ Keine Rüstungsdeals mit Diktatoren! Wie aber kann die EU diesen Hoffnungen gerecht werden, die so viele Menschen in sie setzen? Wie kann sie nicht nur als Vorbild dienen, sondern Frieden, Demokratie und Menschenrechte weltweit fördern? Die Basis unseres Handelns muss zunächst sein, diejenigen zu unterstützen und zu schützen, die in ihren Heimatländern für Freiheit und Grundrechte einstehen. Das sind Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen und all diejenigen, die in Krisen- und Konfliktsituationen nicht den Schritt hin zum Krieg, sondern zur Deeskalation gehen wollen. Etliche Verbesserungen für diese Personengruppen wären von EU-Seite aus relativ einfach umzusetzen, zum Beispiel eine erleichterte Visavergabe für Menschenrechtsverteidiger*innen, sodass diese sich einfacher mit Aktivist*innen in der EU persönlich austauschen oder bei Gefahr schneller ausreisen können. Wenn wir als EU glaubwürdig sein wollen, dann müssen wir uns allerdings zudem an unseren eigenen Maßstäben messen. Unfaire Handelsabkommen, durch die die Märkte unserer Handelspartner im globalen Süden mit billigen europäischen Produkten überschwemmt werden, müssen damit ebenso der Vergangenheit angehören wie eine rein auf Abschreckung bedachte Asylpolitik oder Rüstungsdeals mit Diktatoren. Es ist zutiefst unmoralisch, wenn europäische Rüstungsunternehmen indirekt an Kriegen verdienen, die Fluchtbewegungen auslösen – und die Geflüchteten dann auf demWeg nach Europa ihr Leben verlieren oder an den europäischen Grenzen abgewiesen werden. Stärke durch Geschlossenheit – statt Selbstsabotage Die EU ist immer dann stark, wenn sie geschlossen handelt. Das zeigen Beispiele wie die Datenschutz-Grundverordnung, die gemeinsame Haltung der EU im durch den damaligen US-Präsidenten Donald Trump ausgelösten Handelsstreit oder auch europäische Sanktionen. So ermöglicht ein im letzten Jahr eingeführter EU- ... Hannah Neumann ist Friedens- und Konfliktforscherin und seit der Europawahl 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments. Sie gehört der Fraktion Die Grünen/EFA an. Sie studierte von 2002 bis 2006 im thüringischen Ilmenau Medien- und Politikwissenschaften und promovierte an der Freien Universität Berlin im Fachbereich Friedens- und Konfliktforschung. Die Autorin ... EUROPA © Europäische Union 26 FOKUS dbb magazin | April 2022

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