schnell ganz alleine“, weiß der 27-Jährige. Zudem: „Die Betreuungszeiten sind stark ausgebaut worden. Wir haben heute Öffnungszeiten durchgehend von 7 bis 17 Uhr. Es fehlt dann oft die Zeit, die pädagogische Arbeit vorzubereiten. Wann soll ich einen Elternbrief schreiben? Und was ist mit demmusikalischen Angebot?“ Es seien ja neue Kitas fertig geworden, sagt unser Gesprächspartner. Eine gute Sache. Eigentlich. Schließlich gibt es „in der Umgebung von Koblenz und Lahnstein riesige Wartelisten“. Nur: „Es klappt nicht, es gibt neue Kitas, die nicht eröffnen können, weil es keine Erzieher gibt.“ Stellen Kommunen und private Träger das nötige Personal nicht ein? Eher ist es anders: Erzieher werden gesucht. Händeringend. Aber zu wenige bewerben sich. Deshalb: Was schreckt sie ab? Der Stress. Sebastian Ehlen ist klinischer Sozialpädagoge, hat im Bildungsbereich an vielen Forschungsprojekten mitgearbeitet und 2014 an einem ganz speziellen: Mit seinem Kollegen Johannes Jungbauer aus Aachen hat er die Stressbelastungen und Burn-out-Risiken bei ErzieherInnen in Kindertagesstätten untersucht. 834 Kitamitarbeiter hat das Duo befragt. Fast immer sind sie auf hoch motivierte Mitarbeiter gestoßen. Doch am Ende ermittelten sie „ein deutlich höheres Stressniveau“. Ein Fünftel könne als Risikogruppe für Burn-out infrage kommen. Spannend fiel das Ranking der großen Defizite aus. 205 der Befragten haben ihre Bewertungen dazu abgegeben. Als überwältigendes Problem beklagen sie dort: „Wir haben zu große Gruppen und zu wenig Personal, um den Anforderungen gerecht zu werden.“ Es folgen „aktuell zu viele Konflikte mit den Eltern“ und an die Adresse der Kitabetreiber: „Niemand berücksichtigt die hohen Ausfallzahlen der MitarbeiterInnen durch Krankheit, Urlaub, Fortbildungen, Bildungsurlaub und Überstundenabbau.“ Auch machen Probleme: viel Lärm, ausufernde Bürokratie, „auffällige Kinder“ und der Druck, Dinge gleichzeitig erledigen zu müssen. Das alles hat überdurchschnittlich viele Krankschreibungen zur Folge. Ehlen sagt: Auch wenn die Studie einige Jahre alt sei, an ihrer Substanz habe sich nichts geändert. Die Gegebenheiten hätten sich kaum geändert. Die Verantwortung. Eine Fachkraft betreut 4,2 Krippenkinder und 8,8 Ältere zwischen drei Jahren und dem Einschulungsalter. Das ist der Bundesdurchschnitt. In Baden-Württemberg liegt der Personalschlüssel bei 6,4 Kindern pro Erziehendem, in Mecklenburg-Vorpommern bei über 12. Kitamitarbeiter tragen umfangreiche Verantwortung für die Gesundheit und Unversehrtheit ihrer Klientel. Machen deshalb diese Betreuungsverhältnisse potenziellen Bewerbern Angst? Manuel Hein bestätigt: „Das ganze Gruppengeschehen muss im Blick sein. Kinder darf man nicht im Rücken haben. Das wäre unklug.“ Und: „Laut Arbeitsschutzverordnung sollen wir manchmal Gehörschutz tragen. Aber ich muss doch hören, wenn im Nebenraum ein Kind weint.“ Jüngste Umfragen unter KitaleiterInnen ergaben, dass die personelle Besetzung zunehmend die Sicherheit der zu betreuenden Kinder gefährde, sagt Udo Beckmann, der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE). Als Mitte 2021 binnen eines Monats drei Kitakinder bei Unglücken im fränkischen Ludwigschorgast, in Gelsenkirchen im Ruhrgebiet und im westfälischen Lemgo ums Leben kamen, entbrannte eine Debatte: Funktioniert die Aufsicht? Sind Kitas am Ende gefährlich? Zwar melden die zuständigen Unfallkassen rund 180 000 Unfälle jährlich aus den Tagesstätten. Das sind nur die Vorgänge, in denen ein Arzt geholt werden muss. Die Zahl hat aber eine Einordnung verdient: Tatsächlich ereignen sich gerade fünf Prozent der Unfälle in dieser Altersklasse in Kitas. Auch Hein beruhigt: „Ein- oder zweimal am Tag muss man Beulen kühlen und Splitter rausholen. Hinfallen gehört dazu.“ In Watte packen, das helfe nicht. Kinder sollten lernen, mit Risiken und Gefahren umzugehen. Kitamitarbeiter tragen umfangreiche Verantwortung für die Gesundheit und Unversehrtheit ihrer Klientel. 18 FOKUS dbb magazin | Mai 2022
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