... Dominik Reintjes ist Redakteur im Ressort „Erfolg“ der WirtschaftsWoche. Der Autor ... Fachkräftemangel Höchste Zeit für Experimente! Neue Kollegen müssen auf neuen Kanälen mit neuen Inhalten erreicht werden. Denn von allein kommen sie nicht mehr. Der Fachkräftemangel setzt Wirtschaft und öffentlichem Dienst zu. Und es wird noch schlimmer: Der Arbeitsmarkt leert sich in den nächsten Jahren aufgrund der Demografie zusehends. Wer künftig noch gute Mitarbeiter finden will, muss endlich auf unkonventionelle Methoden setzen. Gibt es ihn oder gibt es ihn nicht? Jahrelang war der Fachkräftemangel nicht mehr als ein Phänomen, über das Unternehmen und Staat klagten. Manche Beobachter taten ihn gar als „Mythos“ ab. Dabei lässt sich der Fachkräftemangel längst quantifizieren – und ist doch weit mehr als eine Zahl in Statistiken. Die erfolglose Suche nach neuen Kolleginnen und Kollegen avanciert zur Bedrohung für das gesamte Land. Längst ächzen Unternehmen und Schulen, Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser unter ihr. Erst Mitte Mai warnte das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft: Für 558000 offene Stellen gebe es keine qualifizierten Arbeitslosen. Der coronabedingte Knick in der Arbeitsmarktstatistik ist längst Geschichte, der Krieg in der Ukraine kann dem Arbeitsmarkt nichts anhaben. Wenn sich die Babyboomer aus den geburtenstarken Jahrgängen der Sechziger in den kommenden Jahren in großen Scharen in Rente oder Pension verabschieden, wird es auf dem Arbeitsmarkt noch leerer. Und doch werben etliche Arbeitgeber auf dieselbe uninspirierte Weise um Personal wie in den Jahren zuvor. In den immer gleichen, stichpunktartigen Annoncen heißt es: „Was Sie mitbringen“, „Das sind Ihre Aufgaben“ und „Das bieten wir Ihnen“. Kreativität? Fehlanzeige. Stattdessen wird abgewartet. Die Bewerber? Werden schon kommen. Alles läuft nach Schema F. Die Warterei muss jetzt ein Ende haben. Neue Kollegen müssen auf neuen Kanälen mit neuen Inhalten erreicht werden. Denn von allein kommen sie nicht mehr. Die Nachricht ist auch für den öffentlichen Dient nicht neu: Schon 2018 prognostizierte die Beratung PWC, dass im öffentlichen Sektor im Jahr 2030 816000 Fachkräfte fehlen werden – viel mehr als im Gesundheitswesen oder der Industrie. Dabei braucht es nicht mal großangelegte Kampagnen oder Unmengen an Budget, um Bewerber zu finden: Die Karriereplattform LinkedIn zählt in der Wirtschaft längst zu den wichtigsten Rekrutierungsmaschinerien. Hier erreichen die Firmen mögliche Bewerber mit regelmäßigen Beiträgen, gewähren Einblicke hin- ter die Firmentür, veröffentlichen Stellenanzeigen und schreiben Talente per Direktnachricht an. Die neuen Kollegen können sich mit ihrem Profil innerhalb weniger Minuten – manchmal sogar Sekunden – bewerben. Erste Firmen experimentieren sogar erfolgreich mit dem Recruiting auf der Videoplattform TikTok und stellen in kurzen, mit Musik untermalten Videos den Joballtag im Unternehmen vor. Es ist unerklärlich, warum der öffentliche Dienst dieses Potenzial außer Acht lässt. Not macht doch bekanntlich erfinderisch. Immerhin fänden sich auf Plattformen wie LinkedIn auch die besonders begehrten Mitarbeiter, die die öffentliche Hand angesichts der desaströsen und häufig kritisierten Digitalisierung der Verwaltung mehr als dringend benötigt: ITler. Nur einige wenige öffent- liche Einrichtungen gehen auf LinkedIn vorweg. Die Städte Köln und München sowie die Berufsfeuerwehr der bayerischen Landeshauptstadt bespielen ihre Kanäle mit Beiträgen zur Karriere im eigenen Haus. Auch das Bundesverwaltungsamt tut das. Aber die Versuche sind noch allzu zaghaft und rar. Diverse staatliche Einrichtungen haben zwar Profile auf LinkedIn. Der Bundeswehr folgen immerhin mehr als 16000 Nutzer. Klickt man dann allerdings auf die Übersicht der bisher geposteten Beiträge, finden sich: keine. So lässt sich das verstaubte Image des Arbeitgebers Staat sicher nicht aufpolieren. Die Zeit, dass Bewerber auf Arbeitgeber zugehen, ist vorbei. Heute ist das im vielzitierten „War for Talents“ andersherum. Das müssen einige Personalabteilungen dringend begreifen. Dominik Reintjes MEINUNG Modelfoto: Volodymyr Shtun/Colourbox.de FOKUS 21 dbb magazin | Juni 2022
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