dbb magazin 6/2022

EUROPA Europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik Das gemeinsame europäische Krisenpaket ist ein Zeichen, dass wir aus den Fehlern gelernt haben Joachim Schuster ist Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) des Europaparlaments. Im Gespräch mit dem dbb magazin erläutert er, wie die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Europäischen Union durch bessere Koordination wettbewerbsfähiger werden soll und warum er überzeugt ist, dass die coronabedingte Krise gut bewältigt werden kann. Wie würden Sie das „Europäische Semester“ in einfachen Worten beschreiben? Das Europäische Semester ist ein jährlich wiederkehrendes Verfahren, bei dem die in der Wirtschafts-, Fiskal-, Arbeits- und Sozialpolitik im Hinblick auf die EUEbene vereinbarten Regeln koordiniert und kontrolliert werden. Neben der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen oder der Vermeidung makroökonomischer Ungleichgewichte konzentriert sich das Semester auch auf Strukturreformen mit Schwerpunkt auf Wachstum, Beschäftigung oder Sozialem. Innerhalb dieses Prozesses, der zum Großteil in der ersten Jahreshälfte („Semester“) stattfindet, diskutieren die Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission ihre wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Reformvorhaben und Budgetpläne. Die Kommission erarbeitet Empfehlungen für Strukturreformen, die vom Rat gebilligt und von den nationalen Parlamenten angenommen werden müssen. Anschließend sollen diese Empfehlungen national umgesetzt werden. Als Teil des EU-Rahmenwerks für die wirtschaftspolitische Steuerung hat sich das Semester anfangs hauptsächlich auf die Durchsetzung der wirtschafts- und fiskalpolitischen Ziele konzentriert. Inzwischen wurden aber auch die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und die Europäische Säule der sozialen Rechte als Wegweiser für unsere Wirtschaftspolitik anerkannt. Es ist außerdem ein wichtiges Instrument zur Umsetzung der neuen Wachstumsstrategie, des European Green Deal. Hat das „Europäische Semester“ seinen Zweck bis dato erfüllen können? Die Umsetzungsrate der im Zuge des Europäischen Semesters zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik abgegebenen Politikempfehlungen an die Mitgliedstaaten war bereits zu deren Einführung 2011 unzureichend und ist weiter zurückgegangen. Dabei werden häufig die mangelnde „ownership“ der Mitgliedstaaten und die entsprechend schlechte Umsetzungsrate der Länderempfehlungen kritisiert. Dies kann man zum einen darauf zurückführen, dass die Kommission bisher keine Druckmittel hatte, um die Reformen einzufordern. Zum anderen werden aber auch die politischen Leitlinien von der Kommission in länderspezifische Empfehlungen übersetzt und weder demokratisch beschlossen noch ausreichend mit den nationalen Behörden und etwa den StakeDr. Joachim Schuster ist seit Mai 2014 Mitglied des Europaparlaments. Er ist wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der SPD-Europaabgeordneten. Der Politikwissenschaftler befasste sich bereits in seiner Promotion mit europäischer Wirtschafts- und Finanzpolitik. © CC BY-SA 4.0/BüroSchuster 24 FOKUS dbb magazin | Juni 2022

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