dbb magazin 6/2022

FRAUEN Studie zur Absicherung von Lebenseinkommen durch Familie und Staat Familienpolitik vernachlässigt Alleinerziehende Frauen verfügen über deutlich weniger Lebenserwerbseinkommen als bisher vermutet. Eine aktuelle Studie zeigt, dass alleinerziehende Mütter finanziell am schlechtesten abgesichert sind. Auf das gesamte Erwerbsleben gerechnet – von der Ausbildung bis zum Einstieg in den Ruhestand – verdienen Frauen deutlich weniger als Männer. Nur etwas mehr als halb so viel Bruttoeinkommen wie bei Männern kommt am Ende für Frauen dabei heraus. Dieser sogenannte Gender Lifetime Earnings Gap ist für Mütter noch größer. Gemeinsam mit seinem Team hat Timm Bönke, Juniorprofessor für Öffentliche Finanzen an der Freien Universität Berlin, diese Lücke für heute 30-Jährige in ihrem Haupterwerbsalter, das heißt zwischen 20 und 55 Jahren, ausgerechnet. Besonders gravierend fielen die Einkommensunterschiede danach für die gut zwei Millionen alleinerziehenden Mütter in der Bundesrepublik aus. Zwar verdienen sie nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben durchschnittlich ähnlich viel wie verheiratete Mütter. Auf das Lebenseinkommen gerechnet haben sie jedoch rund 520000 Euro und damit 25 Prozent weniger Lebenseinkommen als verheiratete Mütter zur Verfügung. Auch wer nur zeitweise alleinerziehend ist, muss mit Einbußen von rund zehn Prozent aufs Lebenseinkommen rechnen. Damit offenbart die Untersuchung die Schwäche der aktuellen Familienpolitik, die noch immer vorrangig traditionelle Familienkonstellationen fördert: Denn kommt es in einer Ehe zur Trennung und fällt damit die partnerschaftliche Absicherung für Mütter weg, kann der Staat die Einkommensausfälle – etwa durch längere Elternzeiten oder familienbedingte Teilzeittätigkeit – in der Lebensperspektive nur unzureichend kompensieren. „Viele der familienbezogenen Leistungen sind noch immer auf die eheliche Lebensgemeinschaft ausgerichtet, so wie das Ehegattensplitting oder die beitragsfreie Mitversicherung. Für Alleinerziehende oder nicht verheiratete Paare sind diese Leistungen nicht zugänglich“, sagt der Autor der Studie, Timm Bönke. Alleinerziehende sind zunehmend auf staatliche Leistungen angewiesen Daraus erwächst für Alleinerziehende ein zusätzliches Dilemma. Denn die Zahlen zeigen auch, dass gerade Alleinerziehende zunehmend auf Transferleistungen angewiesen sind. Im Vergleich zu älteren Alleinerziehenden, die heute 58 Jahre alt sind, ist der Anteil der Transfers am gesamten Lebenseinkommen für jüngere, teilweise alleinerziehende Mütter, die heute 37 Jahre alt sind, von fünf auf neun Prozent und für überwiegend Alleinerziehende von zehn auf 17 Prozent stark angestiegen. Gleichzeitig ist der Anteil des Einkommens aus Erwerbstätigkeit gesunken, weil sich beispielsweise Phasen der Ausbildung oder der Arbeitslosigkeit verlängert haben. dbb frauen Chefin Milanie Kreutz zeigt sich angesichts dieser Entwicklung besorgt und fordert einen Perspektivwechsel in der Familienpolitik. „Wir müssen das Wohl der Kinder und das derer, die sich kümmern, ins Zentrum der Familienpolitik stellen. Wir müssen den Zugang zu familienfördernden Leistungen vom Familienstand entkoppeln und gleichzeitig Getrennt- und AlleinerziehenDie Untersuchung offenbart die Schwäche der aktuellen Familienpolitik, die noch immer vorrangig traditionelle Familienkonstellationen fördert. Modelfoto: Colourbox.de 32 INTERN dbb magazin | Juni 2022

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