URTEIL DES MONATS Auch bei Schwerbehinderung kann Urlaub verfallen Sofern Arbeitgebende keine Kenntnis von der Schwerbehinderung ihrer Arbeitnehmenden haben und diese für sie auch nicht offenkundig ist, verfällt der Zusatzurlaub nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) am Jahresende auch dann, wenn die Arbeitgebenden ihren Hinweis- und Aufforderungspflichten nicht nachgekommen sind (Az.: 9 AZR 143/21). Der Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 und war von 2016 bis 2019 als Sicherheitskraft bei der Beklagten beschäftigt. Seinen Schwerbehindertenstatus hatte er bei seiner Einstellung gegenüber der Arbeitgeberin nicht offengelegt. Nach seiner Eigenkündigung beanspruchte der Kläger neben der Abgeltung offener Urlaubsansprüche auch die Abgeltung des Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen auf der Grundlage des § 208 Sozialgesetzbuch (SGB) IX. Die Beklagte berief sich darauf, dass sie keinerlei Kenntnis von der Schwerbehinderung hatte und insoweit auch nicht verpflichtet sei, über einen möglichen Verfall der Ansprüche zu informieren. Das Arbeitsgericht Trier hatte dem Kläger eine finanzielle Abgeltung des Zusatzurlaubs zugesprochen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz sah hingegen keine Verpflichtung der Beklagten, rein präventiv auf einen möglichen Verfall von Urlaubsansprüchen schwerbehinderter Menschen hinzuweisen, wenn sie hierfür gar keine Anhaltspunkte hat. Das BAG hat die Entscheidung des LAG aufgehoben und an dieses zurückverwiesen, da das LAG nicht hinreichend geprüft habe, ob die Beklagte tatsächlich keine Kenntnis von der Schwerbehinderung des Klägers hatte. Klargestellt hat das BAG in diesem Zusammenhang jedoch, dass Arbeitgebenden die Erfüllung ihrer Obliegenheiten in Bezug auf den Verfall von Ansprüchen auf Zusatzurlaub gemäß § 208 SGB IX nicht möglich ist, wenn ihnen die Schwerbehinderung der Arbeitnehmenden nicht bekannt und diese auch nicht offenkundig ist. Richtig ist die Verpflichtung von Arbeitgebenden, rechtzeitig auf den drohenden Verfall jeglicher Art von Urlaubsansprüchen am Jahresende hinzuweisen und aufzufordern, den Urlaub zu nehmen. Allerdings müssen Arbeitgebende nicht von sich aus erfragen, ob bei Arbeitnehmenden eine Schwerbehinderung vorliegt. ■ Barrierefreiheit im Fokus Die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung kann nur vorangebracht werden, wenn das Thema „Barrierefreiheit“ einen gebührenden Platz in allen Lebenswelten erhält. „Barrierefreiheit muss fester Bestandteil jedes Gesellschaftsbereiches werden, wenn wir eine echte Gleichstellung von Menschen mit Behinderung erreichen wollen“, sagte der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach am 5. Mai 2022, dem Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Der Protesttag steht in diesem Jahr unter demMotto „Tempo machen für Inklusion – barrierefrei zum Ziel!“. „Individuelle Mobilität muss beispielsweise schon bei der Planung jedes Gebäudes und besonders jedes öffentlichen Bauprojektes mitgedacht werden. Und wenn erst fast alle Schülerinnen und Schüler mithilfe von Assistenzsystemen an allen Lehrveranstaltungen teilnehmen können, kommen wir dem Ziel umfassender Teilhabe näher. Tatsächlich sind aber heute leider noch nicht mal alle Bahnhöfe in deutschen Städten barrierefrei – von Gleichstellung kann also noch längst keine Rede sein.“ Der dbb wird von der Politik weitere Verbesserungen einfordern und dazu auf seinemGewerkschaftstag imNovember auch einen Leitantrag zur „Inklusion und Teilhabe“ beraten. Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen Modelfoto: Colourbox.de Modelfoto: ProImageContent/Colourbox.de SERVICE 35 dbb magazin | Juni 2022
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