dbb magazin 7-8/2022

sei das aus seiner Sicht keine Katastrophe, bekräftigte Bergmann. EU-Recht habe schon oft dazu geführt, dass die Verhältnisse sich ändern, und diese Veränderungen müssten keine Verschlechterung bedeuten. Man könne Europa als Instrument betrachten, „dass uns nutzt, den öffentlichen Dienst zu modernisieren. Dafür müssen wir früh im europapolitischen Raum ansetzen.“ Matthias Pechstein skizzierte den Fall, dass der EuGH im Sinne der Beschwerdeführer entscheidet: „Im Prinzip müsste die Bundesrepublik dann dem Urteil in diesem konkreten Fall stattgeben.“ Eine Gesetzes- oder Verfassungsänderung sei deshalb nicht nötig, den Beschwerdeführern bliebe eine Geldentschädigung. Allerdings würde von Urteilen des EGMR über den konkreten Einzelfall mit der Rechtsverbindlichkeit des Urteils eine gewisse Orientierungswirkung entfaltet. „Damit man jetzt nicht in die nächsten Fälle hineinläuft, sollten die betroffenen Sparten ihre Rechtsordnung mit dem Urteil in Einklang bringen“, erläuterte Pechstein. Dies ginge in Deutschland nach dem Urteil des 12. Juni 2018 nur, indem das Grundgesetz geändert würde und man aufnähme, dass auch Beamte streiken dürfen und das Beamtenrecht und der Beamtenstatus zugunsten eines allgemeinen Arbeitnehmerstatus aufgegeben würden. Das Verfassungsgericht habe hier allerdings mit seiner Feststellung vorgebaut, dass nicht jedem EGMR-Urteil Folge geleistet werden müsse. Pechstein wies außerdem darauf hin, dass dem dbb aufgrund seiner Bedeutung für die Entwicklung des deutschen Beamtenrechts eine Stellungnahme zur Individualbeschwerde vor dem EGMR bewilligt wurde, um eine zusätzliche Perspektive in die Entscheidungsfindung einzupflegen. Diskussion: Europakompetenz fördern „Die Förderung von Europakompetenz ist bei uns an der Hochschule verpflichtend“, erläuterte Prof. Dr. Markus Heimann von der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in der zweiten Podiumsdiskussion, die sich dem Thema „Förderung der Europakompetenz im öffentlichen Dienst“ widmete. Das Ziel sei, europarechtliche Grundkompetenzen im Zusammenhang mit den Auswirkungen auf das deutsche Recht zu vermitteln, hob der Hochschullehrer hervor. „Es ist notwendig, eine Art kritisches Bewusstsein über das Funktionieren des gesamten Systems zu vermitteln.“ „In den vergangenen 20 Jahren haben wir ein vorbildliches System zum Europarecht aufgebaut“, fasste Jan Bergmann in seiner Funktion als Ansprechpartner für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Baden-Württemberg das Engagement zur Schaffung von Europakompetenz zusammen. „Wir haben unseren Geschäftsverteilungsplan mit Blick auf das Europarecht ebenso angepasst wie viele Vorlagen. Seit 2001 gibt es zudem in jedem Verwaltungsgericht Ansprechpartner für Europarecht, die bei einschlägigen Verfahren als extern Beratende tätig sein dürfen.“ Ein solches System funktioniere aber nur, wenn es von den Chefs aktiv unterstützt werde: „Der Fisch stinkt nicht nur, er duftet auch vom Kopf.“ Friedhelm Schäfer bekräftigte seine Forderung nach mehr „europäischer Grundbildung“ sowie Austausch mit europäischen Nachbarn und Institutionen auf Beschäftigtenebene. „Wir müssen erstens bereits in der Ausbildung Europarecht viel stärker lehren, um ein Grundbewusstsein für diese Aspekte zu schaffen. Zweitens müssen wir die Menschen, die täglich mit Europa zu tun haben, besser schulen – und zwar rechtzeitig, häufig kommen viele Fortbildungen einfach zu spät. Und drittens müssen wir mehr Wert darauf legen, Europarückkehrenden attraktive Perspektiven zu bieten.“ Dr. Pamela Sichel, Referatsleiterin „Europafähigkeit und Europaöffentlichkeitsarbeit“ im Staatsministerium Baden-Württemberg, erläuterte das im „Ländle“ seit rund 20 Jahren praktizierte Modell „Dynamischer Europapool“, in dem eine dauerhafte Personalreserve für die Verwendung auf europarelevanten Positionen im Inland („Heimspieler“) und bei den europäischen Institutionen („Auswärtsspieler“) vorgehalten wird. Das Angebot, international Erfahrungen zu sammeln, sei insbesondere bei der Gewinnung von Nachwuchs ein „absolutes Werbeargument“, berichtete Sichel. „Die jungen Menschen schätzen die Aussicht, nicht ihr ganzes Berufsleben lang an einemOrt zu verharren: Europa soll schließlich ein Karrierekick sein, kein Karriereknick.“ dbb jugend-Chef Matthäus Fandrejewski, zugleich Vorsitzender der Jugendorganisation des europäischen dbb Dachverbands CESI Youth, hat bereits eine steile „Europa-Lernkurve“ hinter sich: Während seiner Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten war er Praktikant in einer irischen Kommunalverwaltung. Er forderte eine bessere Einbindung von Europathemen in die Ausbildung des öffentlichen Dienstes und vor allemmehr Möglichkeiten des institutionellen Austauschs. „Auslandserfahrung sammeln zu können, ist für junge Menschen ein wesentliches Attraktivitätsmerkmal bei der Berufswahl.“ br/cri/ef/en/iba Die Teilnehmenden der Podiumsdikussion Prof. Dr. Jan Bergmann (zugeschaltet), Matthäus Fandrejewski, Dr. Pamela Sichel, Moderatorin Ines Arland, Friedhelm Schäfer und Prof. Dr. Markus Heimann (von links). „Europa soll schließlich ein Karrierekick sein, kein Karriereknick.“ Dr. Pamela Sichel 10 AKTUELL dbb magazin | Juli/August 2022

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