dbb Vize Friedhelm Schäfer machte noch einmal eindringlich die Dimension des Problems deutlich: „60 Prozent fühlen sich sicher. Nur 60 Prozent. Das bedeutet, 40 Prozent gehen mit Angst im Bauch zur Arbeit. Und die Studie hat ja gezeigt, wie erschreckend hoch die Dunkelziffer ist. Um ein noch ehrlicheres Bild der Ausmaße des Problems zu bekommen, müssen wir daher unbedingt die Kolleginnen und Kollegen vor Ort davon überzeugen, dass es sich ‚lohnt‘, solche Vorfälle zu melden beziehungsweise anzuzeigen.“ Dafür müssten eben auch die Meldewege dringend optimiert und ausgebaut werden. Durch viele Beiträge aus dem Publikum, unter anderem von Vertreterinnen und Vertretern der dbb Fachgewerkschaften und Landesbünde, wurde die Diskussion um spannende Einblicke aus der Praxis bereichert. So wurden einige Fälle und Projekte zum Thema von der Länderebene, aus dem Justizvollzug, dem Nahverkehr und dem Bildungsbereich thematisiert. Gewaltphänomene und Präventionsansätze In zwei parallellen Block-Panels diskutierte die Fachtagung Gewaltphänomene und Präventionsansätze – zum einen mit Blick auf Beschäftigte mit regelmäßigem Bürgerkontakt in Dienstgebäuden, zum anderen mit Blick auf Kolleginnen und Kollegen im Außeneinsatz. (Block A): Paulina Lutz von der kriminologischen Zentralstelle/ Projekt „Angriffe auf Mitarbeiter*innen und Bedienstete von Organisationen mit Sicherheitsaufgaben“ (AMBOSafe) stellte eine Untersuchung von gewalttätigen Angriffen auf Rettungs- und kommunale Ordnungsdienste vor. Danach sind Alkoholisierung sowie Drogeneinfluss oder psychische Belastungen signifikante Risikofaktoren aufseiten der Täterinnen und Täter. Aufseiten der Betroffenen habe vor allem eine hohe Belastung zu Eskalationen geführt. Heike Würstl von der Geschäftsstelle des Landespräventionsrats Thüringen brachte Daten aus ihrer Studie „Gewalt gegen Einsatzkräfte der Feuerwehr und des Rettungsdienstes: Bestandsaufnahme Thüringen“ mit. In dieser Studie wurde der Gewaltbegriff enger auf ausschließlich körperliche Angriffe gefasst. Interessantes Ergebnis: die lokalen Unterschiede. So wurden mehr Taten in Großstädten verzeichnet. Dagegen gab es wenig Unterschiede in der Opferspezifik. Als mögliche Präventionsmaßnahmen nannte Würstl unter anderem Bildungsarbeit in Form von Werte- und Normenvermittlung, eine konsequente Strafverfolgung und technischen Schutz. (Block B): Johanna Groß, Professorin für Sozialen Wandel und Konfliktforschung an der Kommunalen Hochschule für Verwaltung in Niedersachsen, und Katrin Päßler, Fachbereichsleitung Arbeitsmedizin und Arbeitssicherheit bei der Stadt Aachen, nahmen den Innendienst in den Blick. Johanna Groß stellte die Gewalterfahrungsstudie vor, die ihre Hochschule 2019 gemeinsammit dem Niedersächsischen Städtetag in rund 120 Kommunen erhoben hatte. Die Ergebnisse bestätigten die von der aktuellen FÖVStudie zutage geförderten Erkenntnisse mit Blick auf Verbreitung und Häufigkeit der Konfliktereignisse. Bauliche, technische und organisatorische Präventionsmaßnahmen seien nur teilweise vorhanden. Häufig berichtet wurde hingegen das „Kleinreden“ von Vorfällen sowohl durch Betroffene selbst als auch durch Vorgesetzte. Katrin Päßler erläuterte das „Sicherheitskonzept Gewaltprävention“ der Stadt Aachen, das unter dem Titel „Aachener Modell“ mittlerweile als Best Practice bundesweit in Behörden und Verwaltungen Schule macht. Das Modell wurde als Reaktion auf eine Geiselnahme in einem Aachener Jobcenter 2007 angestoßen und seitdem stetig weiterentwickelt, seit 2017 ist es gesamtstädtisch verbindlich. Das differenziert ausformulierte Konzept soll gewalttätige Übergriffe und Gefährdungen auf Beschäftigte verhindern, eine hohe Rechts- und Handlungssicherheit bei beziehungsweise nach gewalttätigen Vorfällen erreichen und das subjektive Sicherheitsgefühl und die Sicherheit am Arbeitsplatz insgesamt erhöhen. In der sich an die Fachvorträge anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass das „Aachener Modell“ von vielen Beschäftigten als wünschenswertes und sinnhaftes Sicherheitskonzept angesehen wird, das sich gut an die jeweils individuellen Gegebenheiten vor Ort anpassen lässt. Voraussetzung für eine Umsetzung seien Stellten in „Block A“ Projekte zur Situation Beschäftigter mit Bürgerkontakt außerhalb von Dienstgebäuden vor: AMBOSafe-Teammitglied Paulina Lutz und Heike Würstl vom Landespräventionsrat Thüringen (vorne von links). In „ Block B“ präsentierten Katrin Päßler von der Stadt Aachen (links) und Prof. Dr. Johanna Groß von der Kommunalen Verwaltungshochschule Niedersachsen jeweils ihre Konzepte für die Sicherheit der Beschäftigten mit Bürgerkontakt in Dienstgebäuden. 16 FOKUS dbb magazin | Juli/August 2022
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