dbb magazin 7-8/2022

EGMR seit geraumer Zeit eine Rechtsprechung entwickelt habe, nach der Beamte ein Streikrecht nach Art. 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) haben. Da es sich um Fälle in der Türkei handelte, galt hier türkisches Recht. Inwieweit dieses Streikrecht der Konvention auch für Beamte nach deutschem Recht gelte, sei bislang offen. Das Verfahren laufe seit zweieinhalb Jahren, und das Urteil stehe noch aus. Jedoch habe das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom Juni 2018 ausgeführt, dass selbst ein stattgebendes Urteil des EGMR auf verfassungsrechtliche Hindernisse in der Umsetzung stoßen würde. Außerdem habe das Gericht bereits früher deutlich gemacht, dass nicht jedes Urteil des EGMR eins zu eins in der deutschen Rechtsordnung umgesetzt werden könne und müsse, so Pechstein. Bergmann: Europas starke Einflussnahme „Das Beamtenrecht unterliegt inzwischen mannigfachen Einflüssen. Europarechtliche Themen landen fast täglich auf meinem Tisch“, leitete Prof. Dr. Jan Bergmann, Vorsitzender des Dienstrechtssenats am Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg und Honorarprofessor für Europarecht an der Universität Stuttgart, seinen Impulsvortag ein. „Das Grundgesetz mit seiner Garantie der althergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums ist nur noch teilweise Maßstab unserer Rechtsprechung. Das Europäische Recht steht darüber.“ Wie stark diese Einflussnahme ist, machte der aus dem VGH in Mannheim online zugeschaltete Verwaltungsrichter an einer Reihe unterhaltsam vorgetragener Beispiele deutlich. So schilderte Bergmann unter anderem das Verfahren und die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) aus dem Jahre 2000, durch die eine Frau aufgrund der europäischen Gleichbehandlungsrichtlinie für Frauen das Recht erstritten hatte, als Soldatin bei der Bundeswehr Dienst an der Waffe zu leisten. Auch erinnerte er an die Änderung der Besoldungspraxis mit der Ablösung der Altersbesoldung hin zur Erfahrungsbesoldung auf Basis der europäischen Gleichbehandlungsrichtlinie oder die aufgrund der Arbeitsschutzrahmenrichtlinie 2021 ergangene und ins deutsche Recht übertragene Rechtsprechung zur Bereitschaftsruhezeit, die ihm als Verwaltungsrichter eine Menge Klagen von Feuerwehrleuten und Polizisten beschert habe. „Hier hat der EuGH deutliche Pflöcke eingeschlagen“, so ein Fazit von Bergmanns Impulsvortrag. Schäfer: rote Linie Streikverbot In der Diskussion der Impulsvorträge bezeichnete dbb Vize und Fachvorstand Beamtenpolitik Friedhelm Schäfer das beamtenrechtliche Streikverbot als „rote Linie“ für eine rechtliche Einflussnahme durch die europäische Ebene. Man blicke deshalb mit Spannung auf die Entscheidung des EGMR. Alle, die ein Streikrecht für Beamtinnen und Beamte forderten, müssten sich vor Augen halten, was dies konkret bedeute. „Nicht nur ich halte eine Abkehr vom Berufsbeamtentum für die Aufrechterhaltung der staatlichen Daseinsvorsorge für ausgesprochen kritisch.“ Schäfer warb dafür, die strukturellen Vorteile des deutschen Beamtenrechts auch auf europäischer Ebene besser zu kommunizieren und etwaige Einflüsse durch europäische Entscheidungen frühzeitig zu antizipieren. „Wir, also alle 17 beamtenrechtlichen Rechtskreise in Deutschland, sollten mehr darauf schauen, was in Brüssel passiert, und unsere Vorstellungen dort einbringen, um im Idealfall über die Setzung im Europarecht noch mehr Vorteile für alle Verwaltungen erreichen zu können.“ Mit Blick auf das laufende Verfahren zum Streikrecht für Beamte bezweifelte Jan Bergmann, dass der EGMR in das deutsche Beamtenrecht eingreifen wird. „Dort verstehen sie sich als Hüter der Basisrechte der Menschen und sind nicht gewillt, in fein auszieselierte Rechtssysteme einzugreifen. Das würde ich eher dem EuGH zutrauen, weil dort das Streikrecht als Basisausstattung für den europäischen Arbeitnehmer gesehen wird und der europäische Arbeitnehmerbegriff bekanntlich nicht zwischen Beamten und Arbeitnehmenden differenziert.“ Sollte es dereinst eine europäische Gerichtsentscheidung für ein generelles Streikrecht geben, „Das Grundgesetz mit der Garantie der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums ist nur noch teilweise Maßstab unserer Rechtsprechung. Das Europäische Recht steht darüber.“ Prof. Dr. Jan Bergmann „Ich halte eine Abkehr vom Berufsbeamtentum für die Aufrechterhaltung der staatlichen Daseinsvorsorge für ausgesprochen kritisch.“ Friedhelm Schäfer AKTUELL 9 dbb magazin | Juli/August 2022

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==