FACHGESPRÄCH Pflegenotstand Wege aus der Krise Der Pflegenotstand in Deutschland hält seit Jahren an. Nach Zahlen des BARMER-Pflegereportes 2021 werden im Jahr 2030 rund sechs Millionen Menschen pflegebedürftig sein. Gleichzeitig fehlen rund 180 000 Fachkräfte in Pflegeberufen. Allen politischen Absichtserklärungen zum Trotz ist keine schnelle Linderung der Symptome in Sicht. Die Vorsitzende der dbb bundesfrauenvertretung, Milanie Kreutz, und der Vorsitzende der dbb bundesseniorenvertretung, Horst Günther Klitzing, diskutierten am 5. Juli 2022 in Berlin über mögliche Wege aus der Krise. Während die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2030 um 30 Prozent steigen wird, wird die häusliche Pflege immer mehr zur Stütze des gesamten Pflegesystems. Zudem sind gut 80 Prozent der Pflegenden Frauen. Für Milanie Kreutz ist hier ganz klar der Staat in der Pflicht, die Rahmenbedingungen für häusliche Pflege anders zu gestalten: „Das Vertrauen in die Pflegeversicherung darf nicht dadurch unterhöhlt werden, dass wir von einer Transferleistung in die andere stolpern.“ Die Bundesregierung arbeite derzeit zum Beispiel an einem Partnerpaket, das darauf abziele, Care-Aufgaben gerecht zwischen Männern und Frauen zu verteilen. „Das Projekt des Bundesfamilienministeriums legt den Fokus allerdings mehr auf die Kinderbetreuung. Wir müssen den Faktor Pflege aber immer mitdenken. So wären für Pflegende im häuslichen Bereich großzügigere Urlaubsregelungen wünschenswert, damit zum Beispiel die Übergangszeit vom Krankenhaus in die Pflege besser organisiert werden kann. Ich mache mir zudem große Sorgen, wenn ich daran denke, wie viele allein lebende Menschen es in unserer Gesellschaft gibt, die in naher Zukunft pflegebedürftig werden.“ Auch Horst Günther Klitzing ist sich sicher, dass sich das Problem des Fachkräftemangels nicht auf die Schnelle lösen lässt. Aus Sicht der Seniorinnen und Senioren sind derzeit zwei Punkte entscheidend für die Zukunft der Pflege: „Zuerst muss Pflege verlässlich sein, ganz gleich, wo man in der Bundesrepublik lebt. Weiter erwarten Pflegebedürftige selbstverständlich eine möglichst gute und bezahlbare Pflegeleistung. Um all das zu gewährleisten, fehlt bisher aber ein schlüssiges Gesamtkonzept, das sowohl den Belangen der Pflegekräfte als auch den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen gerecht wird. Das ist der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn ebenso schuldig geblieben wie Karl Lauterbach, der scheinbar ebenfalls noch keines hat.“ Ungleichgewicht auflösen Klitzing warnt darüber hinaus, das Thema häusliche Pflege zu sehr auf die Genderdiskussion zuzuspitzen. Wichtiger sei es, Ungleichgewichte in der Pflegeleistung von Frauen und Männern aufzulösen. Zwar seien Frauen zweifellos stärker belastet. Neu „Wir haben das Wertschätzen verlernt. Die Dogmen sind Wachstum und wirtschaftlicher Erfolg. Das Soziale steht dabei immer an zweiter Stelle.“ Horst Günther Klitzing © Jan Brenner 32 INTERN dbb magazin | September 2022
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