este Studienergebnisse wiesen darauf hin, dass gerade ältere Frauen die Hauptlast des familiären Zusammenhalts und der Pflege leisteten. „Aber das darf kein ungeschriebenes Gesetz bleiben. Es ist auch an der Politik, dieses Bewusstsein in der Gesellschaft nachhaltig zu verändern. Das gilt umso mehr, weil sich die meisten Menschen Pflege im häuslichen Bereich wünschen. Die Rahmenbedingungen müssen daran angepasst werden.“ Ein Schlüssel dazu sei die angemessene Berücksichtigung von Pflegetätigkeiten bei Rente und Pension. „Das ist seit Längerem ein Anliegen des dbb und seiner Landesbünde.“ Milanie Kreutz möchte den Staat öfter als Brückenbauer sehen, der zwischen den drei Dimensionen der Pflege – professionell Pflegenden, pflegenden Angehörigen und der Pflegeversicherung – vermittelt. „In der Bevölkerung ist das Vertrauen, dass sich der Staat mit der Pflegeversicherung um die Menschen kümmert, immer noch präsent. Wenn aber mehr als die Hälfte der Pflegefälle zu Hause betreut werden, verzichten dafür überwiegend Frauen auf Berufstätigkeit, Karriere und Einkommen. Diese Kettenreaktion muss unterbrochen werden. In der Regel springt häusliche Pflege dort ein, wo stationäre Pflege unbezahlbar wird. Dadurch entsteht ein eklatantes Ungleichgewicht.“ In diesem Zusammenhang müsse allerdings zwischen echter Pflege und Assistenz im Alter differenziert werden. Pflegeberufe aufwerten Grundsätzlich sei eine Aufwertung der Pflegeberufe überfällig, ist Kreutz sicher: „Während der Coronapandemie sind Beschäftigte reihenweise aus den Pflegeberufen geflohen. Staat und Gesellschaft haben sich immer auf den doppelten Boden der häuslichen Pflege verlassen. So kann es aber nicht weitergehen! Wenn wir das doppelte Netz aber wegzögen, würden wir im Chaos landen. Da kann auch keine künstliche Intelligenz (KI) oder Digitalisierung helfen.“ Zur Entspannung der Situation würde Kreutz zufolge beitragen, die mit zehn Tagen knapp bemessene Regelung zum Sonderurlaub für Angehörige anzupassen: „Pflege wird häufig ad hoc notwendig. Aber innerhalb von zehn Tagen Pflege zu organisieren, ist kaummöglich.“ Darüber hinaus werde Technik mehr und mehr zu einer entscheidenden Größe in der professionellen Pflege. Doch während Pflegeroboter und KI in der stationären Pflege entlastend wirken könnten, sei das bei der häuslichen Pflege in absehbarer Zeit nicht bezahlbar. „Es muss aber auch nicht immer die ganz große technische Lösung für zu Hause sein. Wir verfügen bereits über ganz viele Hilfen, die konsequenter genutzt und weiterentwickelt werden können. Siri, Alexa oder Kamerasysteme für den Notfall tragen bereits dazu bei, die Menschen zu Hause als Assistenz zu unterstützen. Dahingehend muss auch das Personal von Pflegediensten geschult werden.“ Zusätzlich plädiert Kreutz für eine positiv konnotierte „Gastarbeiterrolle“ in der Pflege, zum Beispiel wenn es darum gehe, Fachkräfte aus dem Nicht-EU-Ausland zu rekrutieren: „Wir soll- ten damit auch die Wertschätzung importieren, die Gesundheitsberufen dort anhaftet. In vielen Ländern sind Menschen, die im Gesundheitsbereich tätig sind, hoch angesehene Mitglieder der Gesellschaft.“ Digitale Assistenz ausbauen Auch Horst Günther Klitzing ist skeptisch, was umfassende Anwendungsmöglichkeiten von KI und Digitaltechnik betrifft: „Zumindest für die häusliche Pflege wird Robotik in absehbarer Zeit keine Rolle spielen. Die Unterstützung durch digitale Assistenzsysteme ist aber wünschenswert, denn sie bieten neue Möglichkeiten, Pflegetätigkeiten via Smartphone und Tablet zu organisieren und die Pflegenden zu entlasten. Hier würde ich gerne mehr spezifische Anwendungen sehen.“ Ebenso ist Klitzing der Meinung, dass die Wertschätzung von Pflegeberufen in der Gesellschaft zu gering ist: „Wir haben das Wertschätzen verlernt. Die Dogmen sind Wachstum und wirtschaftlicher Erfolg. Das Soziale steht dabei immer an zweiter Stelle.“ Das spiegele sich auch in der Berufsberatung wider, in der Pflege und Soziales immer noch zu oft ausgeklammert würden. Gleichzeitig verlören gerade Gewerkschaften, Kirchen und Sozialverbände, die gesellschaftliche Bilder zurechtrücken könnten, an Einfluss. „Das ist keine schöne gesellschaftliche Realität.“ In diesem Zusammenhang spiele auch der Trend zur Individualisierung in der Gesellschaft eine Rolle, denn die klassische Familie könne Pflegeaufgaben immer noch besser abfedern als Alleinstehende. „Für meine Begriffe hat die häusliche Pflege damit den Zenith ihrer Leistungsfähigkeit überschritten. Mehr wird nicht gehen.“ Mit Blick auf die unsichtbare „Care-Arbeit“ müsse verstärkt auf die Frauen im öffentlichen Dienst geschaut werden, fordert Milanie Kreutz: „Sie arbeiten schon zu großen Teilen in Teilzeit, denn Teilzeit ist variabel. Die Teilzeit herunterzuschrauben geht immer. Aber Teilzeit hochzuschrauben ist schwierig. Hier müssen wir flexibler werden.“ Der Kollaps in der häuslichen Pflege würde ihrer Meinung nach erreicht, wenn mehr Männer in Teilzeit gehen müssen, um die Kapazitäten der Frauen auszugleichen, weil es einfach zu wenig Pflegekräfte gibt. „Da können die Tarifpartner helfen. Ich würde mir wünschen, dass die Dachverbände der großen Gewerkschaften in dieser Sache an einem Strang ziehen, um das Thema dauerhaft mit einem gemeinsamen Konzept zu bearbeiten und an die Politik heranzutragen. Ein Pflegegipfel könnte der Auftakt sein. Zu pflegende Menschen, aber auch die Pflegenden, dürfen keine Zukunftssorgen haben.“ bas/br/cri „Während der Coronapandemie sind Beschäftigte reihenweise aus den Pflegeberufen geflohen. Aber weil Staat und Gesellschaft wissen, dass es mit der häuslichen Pflege ein doppeltes Netz gibt, ging das bisher irgendwie gut.“ Milanie Kreutz INTERN 33 dbb magazin | September 2022
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