dbb magazin 10/2022

mitglieder eingegangen worden. „Bei einem Projekt liegt es auch an mir als Projektleitung, ob ich die unterschiedlichen Steuerungsbedarfe der Kolleginnen und Kollegen wahrnehme und dem nachkomme“, sagt Paul. „Manche möchten und können selbstständig Ziele verfolgen und erreichen, andere wiederum können mit enger gesteckten Teilzielen besser umgehen und brauchen regelmäßiges Feedback.“ Neben arbeitsorganisatorischen Aspekten sei die Fürsorgepflicht im Homeoffice stärker gefragt – ganz besonders deutlich wurde dies während des Corona-Lockdowns. Etwa ging es darum, herauszufinden, wie die Kolleginnen und Kollegen mit der neuen Situation klarkommen und ob es Probleme gebe – zum Beispiel weil es zu Hause keinen gut nutzbaren Arbeitsplatz gab oder weil Einsamkeit oder Angst die Menschen belasteten, teilt der stellvertretende Referatsleiter mit. Sven Paul und Anke Gladosch ist auch gemein, dass sie es am heimischen Schreibtisch vermissen, spontan jemanden aus einer anderen Abteilung auf dem Flur zu treffen und sich kurz auszutauschen. Im Homeoffice würde man eher nicht erfahren, wie andere Abteilungen und Referate ein bestimmtes Thema behandeln. Ansonsten sei die interne Kommunikation aber ähnlich geblieben. Es wurde schon früher meist nur telefoniert, um etwas zu besprechen und größere Konferenzen sind grundsätzlich Präsenzveranstaltungen. Die Erfahrung, dass Homeoffice, die Leistungsbewertung negativ beeinflusse, habe Paul nicht gemacht. Das Team sei immer fair anhand der erbrachten Arbeit und nicht nach Präsenz bewertet worden. Die Arbeit von zu Hause aus werfe aber die Folgefrage auf, ob die Büros einen Großteil der Woche leer stehen sollten. Paul fände es unter anderem gut, wenn für einige Modellprojekte flexiblere Formen gefunden würden. In großen Firmen oder in Co-Working-Spaces gebe es dafür genug Beispiele. Auf seinem persönlichen Arbeitszeitmodell – Flexwork in Vollzeit – beharre Paul nicht, falls sich privat oder jobtechnisch die Bedingungen ändern sollten: „Wenn meine Frau es sich wünscht, kann ich mir auch vorstellen, irgendwann in Teilzeit zu gehen“, sagt er. Damit bestätigt Paul den Trend. In den Jahren 2000 bis 2017 stieg der Anteil an Männern, die im öffentlichen Dienst in Teilzeit arbeiten, von sechs auf zehn Prozent und bei Frauen sogar von 40 auf 47 Prozent – wobei auch die Zahl der Frauen in leitenden Positionen deutlich zunahm. Zwar fehlen übergreifende Statistiken welche Positionen das genau sind, doch anhand der Besoldungsgruppen wird davon ausgegangen, dass im Jahr 2000 rund sieben Prozent der Frauen im öffentlichen Dienst in leitenden Positionen waren und Mitte 2017 bereits 21 Prozent. Konkreter und aktueller beziffert werden kann der Trend für die obersten Bundesbehörden. Dort stieg der Anteil an weiblichen Führungskräften zwischen 2011 und 2020 um zwölf Prozentpunkte auf insgesamt 39 Prozent an. Elf Prozent der Beschäftigten im höheren Dienst führen derzeit in Teilzeit. Die überwiegende Mehrheit (73 Prozent) davon sind jedoch Frauen. Aufstocken für einen neuen Lebensabschnitt In „großer“ Teilzeit mit 66 Prozent der Stunden hat Friederike Schubart, Leiterin des Referats Digitale Gesellschaft im BMFSFJ gearbeitet, als ihre drei Kinder noch klein waren. Diese Lösung sah vor, dass sie an einem Tag in der Woche einen vollen Arbeitstag hatte, um komplexere Aufgaben in Ruhe zu erledigen, an drei anderen Werktagen blieb sie bis 15 oder 16 Uhr und an einem Tag hatte sie frei. „Das war in dieser Phase ideal, weil der freie Tag mir erlaubt hat, zu Hause wichtige Dinge konzentriert zu erledigen“, sagt Schubart. Als sie dann die Referatsleitung übernahm, stockte sie ihre Stunden auf inzwischen 90 Prozent auf. Und dennoch leistet sie meist 100 Prozent der Stunden. Die so angesammelten Überstunden sind für sie gut kalkuliert: „Sie geben mir die Flexibilität, bei Bedarf früher zu gehen oder Zeitausgleichstage zu nehmen“, sagt Schubart. „Auch wenn ich ohne Probleme das Stundenkontingent für eine Vollzeitstelle zusammenbekomme, ist es auch ein Signal, dass ich noch andere Verpflichtungen habe.“ Als Leiterin des Referats für Digitale Gesellschaft arbeitete sie ganz nah am Thema Homeoffice und nutzte es – wie ihre Kolle- „Auch wenn ich ohne Probleme das Stundenkontingent für eine Vollzeitstelle zusammenbekomme, ist es auch ein Signal, dass ich noch andere Verpflichtungen habe.“ Friederike Schubart, Leiterin des Referats Digitale Gesellschaft im BMFSFJ In Belgien und versuchsweise auch in Island wurde die Vier-Tage-Woche eingeführt. Bei diesemModell können Angestellte ihre Arbeit anstatt über fünf Tage mit je acht Arbeitsstunden in vier Tagen mit je zehn Stunden Einsatz erledigen. Im Gegenzug haben sie einen Tag mehr pro Woche, beispielsweise freitags, frei. Die Rückmeldungen der praktizierenden Arbeitnehmer war bisher positiv. Sie hätten sich ausgeruhter, ideenreicher und produktiver gefühlt. Laut einer Umfrage des Forsa- Institutes wüschen sich rund 70 Prozent der Deutschen, dass es dieses Arbeitszeitmodell auch hierzulande gibt. Dafür gibt es aber bisher noch keine gesetzlichen Regelungen. Experiment: Die Vier-Tage-Woche Foto: r.classen/Colourbox.de FOKUS 25 dbb magazin | Oktober 2022

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