dbb magazin 10/2022

weitere Nachweise zu ergänzen. Gleichzeitig sollten die rechtlichen und sicherheitstechnischen Vorgaben der bestehenden Datenschutz- und IT-Sicherheitsstandards erhalten werden. Die geringe Verbreitung des elektronischen Identitätsnachweises in der Bevölkerung „war und ist nicht die Folge datenschutzrechtlicher Anforderungen“, betonte Ulrich Kelber, Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Vielmehr dürfe sie mit den geringen Anwendungsmöglichkeiten, den Kosten für die teilnehmenden Stellen und „jahrelang fehlender PR für dieses ambitionierte Projekt“ zu tun haben, befand er. Christian Kahlo sagte als Vertreter der netzpolitischen Zivilgesellschaft, dass der neue Personalausweis seiner Zeit wohl so sehr voraus gewesen sei, „dass das Potenzial nicht erkannt und verstanden werden konnte“. Dazu beigetragen hätten auch vergangene Bundesregierungen, welche die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit, um das Potenzial des nPA zu kommunizieren, „mindestens zweimal ersatzlos gestrichen haben“. Ähnlich sah das Carl Fabian Lüpke vom Chaos Computer Club (CCC): Statt die breite Verfügbarkeit dieses eID-Systems praktisch nutzbar zu machen, evaluiere die Bundesregierung eine neuartige Technologie, die sogenannte „Self Sovereign Identity“ (SSI). Die darauf basierende ID-Wallet-App habe aber strukturelle Sicherheitsschwachstellen und eine mangelhafte Leistungsfähigkeit. Lüpke forderte die Politik auf, die Forschungsvorhaben zur SSI-Technologie einzustellen und auf die vorhandene solide Technologie des nPA zu setzen. Mit der eID des Personalausweises verfügt Deutschland laut Isabel Skierka von der European School of Management and Technology (ESMT) über eine der weltweit technologisch sichersten und ausgereiftesten Identitätslösungen und -infrastrukturen. Die eID sei bisher aber weder besonders einfach nutzbar noch breit anwendbar gewesen. Sie kritisierte, dass eine Strategie der Bundesregierung für digitale Identitäten noch nicht klar erkennbar sei. Weitere Expertinnen und Experten hoben mit ihrer Kritik am IstZustand der eID in Deutschland auf fehlende digitale öffentliche Dienstleistungsangebote (Fraunhofer AISEC), unsichere europäische Perspektiven (D-Trust GmbH als Tochterunternehmen der Bundesdruckerei) und mangelnde Projektkoordination auf nationaler und europäischer Ebene (Bitkom) ab. Auch der dbb drängt auf schnelle Ergebnisse der Digitalstrategie, wie dbb Chef Ulrich Silberbach am 31. August 2022 betonte: „Schön, dass die Bundesregierung ihre längst überfällige Digitalstrategie nun endlich vorgelegt hat. Positiv ist, dass konkretere Ziele in den einzelnen Themenfeldern bis 2025 formuliert wurden. Allerdings hätten wir uns an einigen Stellen deutlich ambitioniertere Ziele gewünscht.“ Zuständigkeitswirrwarr beenden Zahlreiche Projekte in der neuen Digitalstrategie seien von der Vorgängerregierung initiiert, aber nicht umgesetzt worden. „An Projekten, Ankündigungen, Strategien und Programmen im Bereich der Digitalisierung hat es noch nie gemangelt. Schon immer wurden viele Versprechungen gemacht und hochtrabende Ziele verkündet. Es bleibt dabei: Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Die Bundesregierung muss jetzt abliefern. Am Ende sind nicht die festgelegten, sondern allein die erreichten Ziele entscheidend.“ Kritisch sieht Silberbach, dass die digitalpolitischen Vorhaben von einer Vielzahl von verschiedenen Ressorts in eigener Verantwortung umgesetzt werden sollen. „Wir werden nur vorankommen, wenn alle Ministerien bei der Umsetzung an einem Strang ziehen. Dass die Koalitionspartner mehr als acht Monate für die endgültige Ressortaufteilung bei der Digitalisierung gebraucht haben, setzt in der Hinsicht leider kein gutes Zeichen. Gewinnbringender als eine Koordinierung auf Staatssekretärsebene wäre für den Erfolg der Strategie die Einrichtung eines Digitalkabinetts unter Leitung des Bundeskanzlers“, so Silberbach. Vor allem sieht der dbb die Verwaltungsmodernisierung erneut scheitern: „Die Ampelkoalition ist in Sachen Digitalisierung mit ambitionierten Zielen stark gestartet, hat dann jedoch stark nachgelassen. Sie hat es bisher verpasst, die digitalpolitischen Kompetenzen entschiedener und mutiger zu bündeln. Stattdessen drohen geteilte Federführungen, Kompetenzgerangel, Zuständigkeitshickhack und eine unzureichende Koordinierung die Digitalisierung erneut auszubremsen“, sagte dbb Chef Ulrich Silberbach beim Zukunftskongress- Thinktank am 30. August 2022 in Berlin. Habe der Koalitionsvertrag 2021 vielen Akteuren der Staatsmodernisierung zunächst Hoffnung gemacht, stecke man noch immer im „Wimmelbild der Verantwortlichkeiten“ fest, kritisierte der dbb Bundesvorsitzende. „Die Verwaltungsmodernisierung kommt weiter nur im Schneckentempo voran, das Zuständigkeitschaos dauert an, sodass nach wie vor viele Digitalprojekte wegen komplizierter Ressortabstimmungen und diffuser Zuständigkeiten auf der Strecke bleiben. Kompetenzen und Federführungen sind zum Teil doppelt, dreifach oder überhaupt nicht verteilt – wer soll da eigentlich noch durchblicken?“ Die von Bürgerinnen, Bürgern und Beschäftigten so dringend erhoffte Verwaltungsdigitalisierung drohe insbesondere auf dem Feld der Dateninfrastruktur zu scheitern. „Ohne kompatible digitale Dateninfrastruktur ist im 21. Jahrhundert kein Staat zu machen“, so Silberbach. Problematisch sei, dass das Bundeswirtschafts- und das Bundesverkehrsministerium für die Umsetzung des hierfür maßgeblichen Data Act der Europäischen Union die Federführung gemeinsam übernehmen sollen, wobei das Erstere national, das Letztere europäisch führe. Darüber hinaus solle die nationale Datenstrategie in geteilter Federführung zwischen Bundesverkehrs- und Bundesinnenministeriumweiterentwickelt werden und das geplante Dateninstitut wiederum gemeinsam von Bundeswirtschafts- und Bundesinnenministerium verantwortet werden, wobei dort auch noch das Bundesministerium für Bildung und Forschung einen Anspruch auf die Co-Federführung angemeldet habe. „Damit wird klar: So wird das nix“, kritisierte der dbb Chef. ■ „Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Die Bundesregierung muss jetzt abliefern.“ Ulrich Silberbach FOKUS 29 dbb magazin | Oktober 2022

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