dbb magazin 11/2022

REPORTAGE Ausbildung im öffentlichen Dienst Kein Idyll Ländliche Regionen stehen vor der schwierigen Aufgabe, die Personallücken, die die Babyboomer reißen, mit frisch ausgebildetem Nachwuchs auszugleichen. Aber spielen die Schulabgänger in Sachsen-Anhalt da überhaupt mit? Die frühere Schuhfabrik beherbergt heute die Berufsbildenden Schulen „Conrad Tack“. Burg liegt an der Straße der Romanik: Unterkirche St. Nicolai Wer von Berlin in Richtung Westen fährt, kann im Vorbeifahren erleben, wie sich die Landschaft leert. Die Orte werden kleiner, die Autobahnausfahrten kommen seltener. Wälder, Felder, Seen, am Horizont mal eine rote Backsteinkirche oder sogar ein Burgfried. Eine ländliche Idylle, die hinter Potsdam beginnt und bis kurz vor die Elbbrücken bei Magdeburg reicht. Auch ein solches Idyll will verwaltet werden – schon damit es eines bleibt. Und weil die Menschen, die das hier seit den frühen Neunzigerjahren tun, sich langsam dem Ruhestand nähern, muss verstärkt ausgebildet werden. Der Fachkräftemangel macht sich auch im Land Sachsen-Anhalt deutlich bemerkbar. Wie gehen Landkreise mit dem Problem um? Wie finden sie geeignete Bewerber? Wie können sie im Landkreis gehalten werden? Fragen, die wir dem Landrat des Kreises Jerichower Land in Burg stellen wollen. Wir treffen Dr. Steffen Burchardt, einen agilen Mann um die 40, in seinem Büro im Landratsamt. Erstmals zog der SPDMann 2014 in den sanierten Verwaltungsbau aus der Kaiserzeit am Rande der Burger Altstadt. 2021 ist er mit Zweidrittelmehrheit wiedergewählt worden. Burchardt leitet eine Kreisverwaltung mit 530 Personen. Davon seien lediglich 50 verbeamtet. Von denen könnten schon jetzt nur etwa 50 Prozent besetzt werden. Weil das mittlere Alter in der öffentlichen Verwaltung des Kreises fehle, werden auch Quereinstiege ermöglicht, sagt der Landrat. Gebraucht würden aber auch deshalb mehr Mitarbeiter, weil inzwischen fast ein Drittel der Beschäftigten in Teilzeit arbeitete. Die Hälfte der Belegschaft mache den Job zudem teils von zu Hause aus. Unverbaute, weite Horizonte – die durchreisenden Großstädter lieben es. Die wenigen, die hier im Landkreis Jerichower Land leben, lieben es auch. Der Kreis hat nämlich eine Menge Platz für seine fast 90000 Einwohner: Die Bevölkerungsdichte liegt bei lediglich 56 Menschen pro Quadratkilometer – in Berlin sind es 4123. Die Liebe zur Heimat verlangt den Hiesigen Entbehrungen ab: Entbehrt werden hier zum Beispiel Bäcker, Lebensmittelhändler und Fachärzte, Postfilialen und Bahnhöfe, an denen Züge auch halten. Schulen mussten mangels Kindern schließen. Busse verkehren mancherorts, wenn überhaupt, nicht stündlich, sondern höchstens ein paarmal täglich. Die Einwohner waren in den ersten zwei Jahrzehnten nach der Wende von Schrumpfungsschmerzen geplagt und die Nachwirkungen spürt man bis heute. Als nach der Wende die beiden großen Arbeitgeber in der Kreisstadt Burg, die VEB Schuhfabrik „Roter Stern“ und der VEB Burger Bekleidungswerke dichtmachten, blieben vor allem die Kranken, die Alten und die schlecht Ausgebildeten. Die Jungen, die Flexiblen und die Akademiker zogen der Arbeit hinterher und kehrten zu selten zurück. Vor allem die jungen Frauen sahen für sich damals keine Perspektive, was dazu geführt hat, dass der Gegend nun die 15- bis 30-jährigen fehlen. Nachwuchsfachkräfte händeringend gesucht Das sind aber genau die, auf die Landrat Burchardt als Nachwuchskräfte im öffentlichen Dienst des Landkreises setzen muss. „Die Perspektivlosigkeit der Neunzigerjahre ist weg. Wer hier heute die Schule beendet, der hat eine ausreichende Auswahl an Arbeitsplätzen“, sagt er. Es gebe inzwischen 20 Prozent mehr Ausbildungsplätze als Schulabgänger. „Tendenz steigend.“ Kamen vor Jahren auf die fünf bis sieben Ausbildungsplätze des Jahrganges etwa 80 bis 100 Bewerber, haben sich für das gerade angelaufene Ausbildungsjahr nur etwa 75 Bewerber um zehn Plätze beworben. Burchardt und seine Kollegen konnten aus diesem Pool nicht alle Plätze besetzen. „Die hatten einfach zu viele Alternativen.“ Der Landrat möchte seine Bewerber nicht nur solide ausbilden. Er möchte, dass sie über die Stationen, die sie in der Ausbildung durchlaufen – laut Ausbildungsplan sind das 33 Sachgebiete – auch abzuschätzen lernen, wohin sie wollen, was ihnen liegt. dbb magazin | November 2022

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