dbb magazin 11/2022

„Wer hier seinen Abschluss macht, der bekommt ein Angebot. Die Besten können sich aussuchen, wohin sie gehen im Haus.“ Fast alle kämen aus der Region: „Die sind hier groß geworden. Die haben hier Anker.“ Wichtig sei ihm auch die Art des Miteinanders insgesamt im Haus, die Kollegialität, dass alle sich auf Augenhöhe begegnen, damit „die Leute hier ankommen und sich als Teil der Verwaltung fühlen“. Glück haben die Auszubildenden, weil sie auch die Berufsschule in Burg selbst besuchen können. Die bildet seit 2018 wieder Verwaltungsfachangestellte aus. Schwierig sei es imMoment, die Auszubildenden nach den Homeschooling-Perioden der Coronazeit erfolgreich durch die Prüfungen zu bringen. Die Durchfallquote habe zuletzt ungewöhnlich hoch bei 50 Prozent gelegen, sagt Burchardt. Die Berufsschüler müssten nun das Jahr wiederholen, was nicht nur teuer sei. Auch ihre fehlende Arbeitskraft könne direkt vor Ort nicht ohne Weiteres ersetzt werden. So was fuchst den Landrat regelrecht. Wie erreicht er die Bewerber überhaupt? „So eine Ausbildungsmesse ist mittlerweile ein schwieriges Format geworden“, findet der Landrat, der sich mit seiner Familie nach Studium und Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg für die Rückkehr in den Heimatkreis entschieden hat. „Diese Generation funktioniert anders.“ Mitunter fehle die Identifikation mit der Region; die Jungen seien viel mobiler. „Die sind viel eher bereit, etwas Neues auszuprobieren und das Gewohnte hinter sich zu lassen.“ Die künftigen Auszubildenden sagten teils eine Woche vor Ausbildungsstart ab – mitunter kämen sie einfach gar nicht, weil sie etwas Besseres gefunden hätten. Mit dieser Erfahrung steht Burchardt nicht allein da. Auch im Land Berlin, so hört man, können die Ausbilder im öffentlichen Dienst ein Lied davon singen. Sie würden in solchen Fällen Bewerber aus Reservepools ansprechen. Das kann so ein ländlicher Kreis wie das Jerichower Land nicht leisten. Die Bewerber hätten im August dann längst was anderes gefunden. Kurzer Ortswechsel: Belma Bekos arbeitet bei der Integrationsbeauftragten des Berliner Senates. Sie betreut unter anderem eine Kampagne, mit der das Land Schulabgänger und da speziell auch migrantische Jugendliche anspricht. Leute mit Migrationshintergrund seien vor allem in den Berliner Verwaltungen unterrepräsentiert, weiß sie. Die Integrationsbeauftragte setze das Berliner Partizipationsgesetz um und helfe so, das ist Bekos wichtig, bei „der Schaffung gleicher Zugänge“. Das Land Berlin braucht besonders viele Berufseinsteiger und bildet sehr breit aus: Eben nicht nur die 5 177 Verwaltungsfachangestellten, die im Jahr 2021 laut Senatsfinanzverwaltung eine Ausbildung begonnen hatten. Sondern auch Feuerwehrleute und Gärtner, Pflegepersonal oder KfzMechatronikerinnen ​– eigentlich wird alles gesucht. Deshalb heißt die Kampagne auch „MACH WAS DU WILLST, ABER MACHS MIT UNS“. Warum das erst jetzt erfolgt, obwohl Berlin seit Jahrzehnten ein Integrationsproblemmit jungen Leuten mit Migrationshintergrund hat, bleibt das Geheimnis der Vorgängerregierungen. Auch der Kreis Jerichower Land wolle, so Steffen Burchardt, eine Ausbildungsoffensive starten. Erstes Projekt sei ein Imagefilm, in dem die Menschen aus der Kreisverwaltung die Vielfältigkeit ihrer Arbeit vorstellen. „Es ist nach wie vor so, dass viele Jugendliche gar keine richtige Vorstellung haben: Was macht ein Kreis, was die Stadt? Du erreichst sie eben nur noch über so moderne Medien.“ In ganz Deutschland ergibt sich dasselbe Bild: In den kommenden zehn Jahren verlassen etwa 27 Prozent der Beamtinnen und Angestellten aller Ebenen den öffentlichen Dienst aus Altersgründen. In den kommenden 20 Jahren mehr als die Hälfte. Der Anteil der unter 25-Jährigen lag im Jahr 2021 jedoch bei lediglich etwa drei Prozent. Dieses riesige Loch zu stopfen oder gänzlich andere Wege zu finden, wie die Arbeit von weniger Menschen in der gleichen Qualität erbracht werden kann, ist eine der Hauptherausforderungen der kommenden beiden Jahrzehnte. Hinzu kommt, dass dieser Generationenwechsel auch die Wirtschaft betrifft. Aktuell spricht die Agentur für Arbeit von 846000 offenen Stellen in der Bundesrepublik. Das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hingegen meldet für das zweite Quartal 2022 1,9 Millionen offene Stellen. Was das die Volkswirtschaft kostet, hat vor einigen Wochen die Boston Consulting Group in einer Studie errechnet. Ausgehend von der Annahme, dass auf jedem dieser Arbeitsplätze eine durchschnittliche Jahreswirtschaftsleistung von 84 000 Euro erbracht werden würde, summiert sich das bei einer Million offener Stellen auf 84 Milliarden Euro, die dem Bruttosozialprodukt verloren gehen. Und so buhlen Die zehn Plätze des Landkreises Jerichower Land zur „Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten (m/w/d), Fachrichtung Kommunalverwaltung“ für August 2023 sind bereits seit Mitte Oktober auf Interamt ausgeschrieben. https://t1p.de/interamt Zehn freie Ausbildungsplätze „Wer hier seinen Abschluss macht, der bekommt ein Angebot.“ Landrat Steffen Burchardt will, dass sich die Auszubildenden mit dem Haus identifizieren. 20 FOKUS dbb magazin | November 2022

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