dbb magazin 12/2022

dbb magazin 12 | 2022 Zeitschrift für den öffentlichen Dienst Gewerkschaftstag 2022 | Staat. Machen wir! Interview | Nancy Faeser, Bundesministerin des Innern und für Heimat Einkommensrunde 2023 | Ein Lohnplus stabilisiert die Volkswirtschaft

Mit dem dbb den Staat modernisieren Der diesjährige Gewerkschaftstag hat ein umfangreiches Paket wegweisender Beschlüsse geschnürt, um den öffentlichen Dienst moderner zu gestalten. Das kommt letztendlich dem Staat zugute. Dass dieser sich schwer mit dem Ausstieg aus dem gegenwärtigen Krisenmodus tut, belegt eine dbb Umfrage, wonach nur elf Prozent der Bevölkerung dem Staat Krisenfestigkeit bescheinigen. In dieser Situation ist es besonders wichtig, dass ein qualifiziertes Team an der Spitze des gewerkschaftlichen Dachverbandes dbb bereitsteht. So hat der Gewerkschaftstag Ulrich Silberbach als Bundesvorsitzenden, Friedhelm Schäfer als Fachvorstand Beamtenpolitik und Volker Geyer als Fachvorstand Tarifpolitik für weitere fünf Jahre gewählt und diesem Führungstrio eine zum Teil neu besetzte Riege von stellvertretenden Bundesvorsitzenden an die Seite gestellt. In seiner Antrittsrede mahnte der dbb Chef vor allem die „gesamtgesellschaftliche Solidarität“ in Krisenzeiten an. Ein Highlight des Gewerkschaftstages war die Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz, der den öffentlichen Dienst als „Rückgrat unseres Landes“ verortete und seine Beschäftigten als „Gestalter der Zeitenwende“. Auch Bundestagsabgeordnete betonten in einer Podiumsdiskussion nicht nur die Unverzichtbarkeit des öffentlichen Dienstes, sondern sprachen sich auch für mehr materielle und ideelle Würdigung aus. red STARTER TOPTHEMA dbb Gewerkschaftstag 2022 15 AKTUELL NACHRICHTEN 4 MEINUNG Coronamanagement in Bund und Ländern: Wir müssen weiter wachsam sein 6 INTERVIEW Nancy Faeser, Bundesministerin des Innern und für Heimat 8 EINKOMMENSPOLITIK Rahmendaten zur Einkommensrunde 2023: Ein Lohnplus stabilisiert die Volkswirtschaft 12 FOKUS GEWERKSCHAFTSTAG Wertschätzung statt Misskredit für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes 14 Wahlen der Bundesleitung 15 Öffentliche Veranstaltung: Bundeskanzler Olaf Scholz 16 dbb Chef Ulrich Silberbach 17 Podiumsdiskussion – Attraktive Arbeitsumfelder für einen starken Staat 18 Antragsberatung 21 Ehrenmitglieder 22 Bundestarifkommission: Neue Geschäftsführung im Amt 23 Gewerkschaftstag goes multimedia 24 dbb setzt Zeichen für Umweltschutz 25 INTERN dbb forum ÖFFENTLICHER DIENST digital: Schwere Dienstvergehen einheitlich ahnden 28 FRAUEN Fachkräftegewinnung: Soziale Medien als Recruiting-Instrument 31 JUNGE BESCHÄFTIGTE Frauen in Führungspositionen: It’s (still) a man’s world 32 SERVICE 38 Impressum 41 KOMPAKT GEWERKSCHAFTEN 42 20 8 Foto: sabelskaya/Colourbox.de 31 AKTUELL 3 dbb magazin | Dezember 2022

NACHRICHTEN Bundesverwaltung Beschäftigte erwarten Initiative Der Reformstau bei den Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst des Bundes muss endlich angegangen werden. Das Vertrauen der Beschäftigten ist bereits schwer erschüttert. Das hat der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach im Gespräch mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser am 25. November 2022 deutlich gemacht. Die Beschäftigten erwarten von ihrer obersten Chefin mehr Initiative für den öffentlichen Dienst. Trotz der einschlägigen höchstrichterlichen Urteile ist die Alimentation der Beamtinnen und Beamten immer noch nicht verfassungskonform. Das ist ein unhaltbarer Zustand, der längst hätte beseitigt werden müssen. Spätestens mit der im Januar anstehenden Einkommensrunde muss nun zwingend ein großer Wurf her – und zwar über die angesichts der hohen Inflation berechtigte Forderung nach 10,5 Prozent, mindestens 500 Euro, mehr für beide Statusgruppen hinaus“, stellte Silberbach klar. Gerade bei den Beamtinnen und Beamten sei das Vertrauen in die politische Führung ohnehin seit Jahren schwer erschüttert, erklärte der dbb Chef: „Man muss es leider immer wieder betonen: Die Wochenarbeitszeit für die Beamtinnen und Beamten des Bundes wurde auf 41 Wochenstunden erhöht, weil man Geld sparen wollte. Den Kolleginnen und Kollegen hat man dabei versprochen, dass es sich um eine temporäre Maßnahme handelt. Um einen kurzfristigen Beitrag zur Krisenbewältigung. Das war 2006, vor 16 Jahren. Seitdem hat jede Bundesregierung die Beamtinnen und Beamten vertröstet. So macht sich Politik unglaubwürdig. Und so ruiniert man nicht nur die Motivation der Kolleginnen und Kollegen, so stellt man sich auch im Wettbewerb um Nachwuchskräfte ins Abseits – gerade wenn die jungen Leute ständig lesen können, dass in den anderen Branchen und Regionen gleichzeitig über eine Viertagewoche gesprochen wird.“ Der dbb Chef begrüßte, dass die Bundesinnenministerin sich zuletzt verstärkt um wichtige Themen der inneren Sicherheit bemüht habe. „Umso unverständlicher ist für uns, warum sich auch in diesem speziellen Bereich so wenig bewegt. Bei der vorigen dbb Jahrestagung hat Nancy Faeser angekündigt, dass die Polizeizulage ruhegehaltfähig werden soll, also auch bei der Versorgung im Alter wirkt – übrigens eine Regelung, die wir schon mal hatten und dann ebenfalls der Sparwut zum Opfer gefallen ist. Trotz dieser Zusage sind wir auch hier fast ein Jahr später nicht wirklich weiter. Die Beamtinnen und Beamten sind eine verlässliche Säule dieses Staates und diese Verlässlichkeit erwarten sie zu Recht auch von der Politik.“ ■ Deutsche verlieren weiter Vertrauen in den Staat Die meisten Sorgen machen sich die Deutschen aktuell um den immer spürbarer werdenden Klimawandel – gefolgt vom Krieg in der Ukraine und den hohen Energiekosten. So die Ergebnisse einer aktuellen forsaUmfrage im Auftrag des dbb beamtenbund und tarifunion. Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) warnte der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach am 25. November 2022 davor, dass die Menschen immer stärker das Vertrauen in den Staat und seine Schutzfunktion verlören: „Ich denke, weder Ampelkoalition noch Opposition haben verstanden, wie ernst die Lage wirklich ist.“ Der dbb Chef forderte deshalb erneut einen Investitionsplan, um Infrastruktur und Ausstattung des öffentlichen Dienstes zu verbessern. Finanziert werden sollte dieser nötige Investitionsschub, ähnlich wie bei der Bundeswehr, über ein Sondervermögen. Laut der Anfang November erhobenen forsa-Umfrage sorgen sich 59 Prozent der Bürgerinnen und Bürger, dass sich der Klimawandel immer stärker auf den Alltag auswirkt. 53 Prozent befürchten, dass der russische Angriffskrieg auf die Ukraine auf andere Länder übergreift oder sogar in einen Weltkrieg mündet. 52 Prozent fürchten sich vor zu großen Belastungen durch zu hohe Kosten für Strom und Energie. Mit 51 Prozent fast ebenso viele Menschen teilen die Sorge, dass es durch Cyberangriffe zu Ausfällen bei kritischen Infrastruktureinrichtungen kommt. 44 Prozent sorgen sich vor zu hohen Kosten für Lebensmittel. 42 Prozent treibt ein drohender Gasmangel für Haushalte und Wirtschaft um. Umfrage im Auftrag des dbb Bundesinnenministerin Nancy Faeser und dbb Chef Ulrich Silberbach © Jan Brenner 4 AKTUELL dbb magazin | Dezember 2022

Einkommensrunde 2023 „Wir müssen Reallohnverluste aufholen“ Im Interviewmit dem Handelsblatt (online am 18. November 2022) hat dbb Chef Ulrich Silberbach die Einkommensforderung der Gewerkschaften an Bund und Kommunen verteidigt. Beamtinnen und Beamte des Bundes Im Dienstrecht steht die Ampel auf der Bremse Knapp ein Jahr nach ihrem Amtsantritt habe die Bundesregierung kaum Fortschritte im Dienstrecht erzielt, kritisiert der dbb. Für die Beamtinnen und Beamte des Bundes war das erste Ampeljahr ein verlorenes Jahr. Ob Besoldung oder Dienstrecht: Viele Baustellen wurden nicht geschlossen. Die Alimentation beim Bund entspricht immer noch nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben“, stellte Friedhelm Schäfer, Zweiter Vorsitzender und Fachvorstand Beamtenpolitik des dbb, am 11. November 2022 im Gespräch mit der Bundestagsabgeordneten Petra Nicolaisen fest. Die CDU-Politikerin aus Schleswig ist Mitglied im Innenausschuss des Bundestages. Teilweise gefährde die Ampel durch Untätigkeit sogar ihre selbst gesteckten Ziele: „Kolleginnen und Kollegen fragen uns immer wieder, wann auch sie als Beamtinnen und Beamte des Bundes die Möglichkeit zum Fahrradleasing über den Dienstherrn, gemeinhin als ‚Jobrad‘ bekannt, bekommen. So eine Maßnahme für eine nachhaltigere Mobilität sollte für eine Bundesregierung mit ambitionierten Klimaschutzplänen ein Selbstverständlichkeit sein, zumal es eine entsprechende Regelung für die Tarifbeschäftigten des Bundes sowie in einigen Ländern für die dortigen Beamtinnen und Beamten längst gibt. Und das sind nur einige der Themen, bei denen die Ampel auf der Bremse steht.“ ■ Die Lebenshaltungskosten haben sich dramatisch erhöht und der größte Teil der Beschäftigten arbeitet im unteren und mittleren Dienst und wird nicht wie Staatssekretäre bezahlt“, begründet Ulrich Silberbach die dbb Forderung nach 10,5 Prozent, mindestens 500 Euro, mehr für die Beschäftigten von Bund und Kommunen. Auch die von den kommunalen Arbeitgebenden dafür kalkulierten Gesamtkosten seien kein schlagkräftiges Gegenargument. Silberbach: „Die Politik hat in kurzer Zeit 500 Milliarden Euro für Coronahilfen, Bundeswehr, Entlastungspakete und Gaspreisbremse mobilisiert. Da wären selbst 16 Milliarden nicht der Untergang des Abendlandes.“ Hinzu komme in der Einkommensdebatte für Arbeitnehmende sowie Beamtinnen und Beamte des öffentlichen Dienstes ein weiterer wichtiger Aspekt. „Der Staat kann es sich nicht erlauben, seine Bediensteten nur minimal besser zu behandeln als Grundsicherungsbezieher. Dazu gibt es inzwischen jede Menge höchstrichterliche Rechtsprechung. Bei der Bundespolizei sind Beschäftigte teils noch in A 6 oder A 7 eingruppiert, das bedeutet eine Grundvergütung von 2500 beziehungsweise 2600 Euro brutto imMonat. Durch das Bürgergeld wird der Druck noch größer werden, das Mindestabstandsgebot einzuhalten“, so der dbb Chef. Auch beim Thema Sanierung und Modernisierung der öffentlichen Infrastruktur erwarte der dbb entschiedenere Schritte der Politik. Silberbach: „Jeder Hausbesitzer und jede Firma wird genötigt, Energie zu sparen. Da kann ich nur sagen: Schaut euch mal die Schulen, Kitas und Verwaltungsgebäude an. Da pfeift es an allen Ecken und Enden.“ Natürlich seien die finanziellen Mittel begrenzt und ein generelles Festhalten an der Schuldengrenze sinnvoll. „Aber man muss schon fragen, ob man sie so hart anzieht, dass wir der nachkommenden Generationen eine dahinsiechende Infrastruktur ans Bein binden.“ ■ Foto: Colourbox.de Foto: eamesBot/Colourbox.de AKTUELL 5 dbb magazin | Dezember 2022

Coronamanagement in Bund und Ländern Wir müssen weiter wachsam sein Die Ampelregierung verfolgt in der Coronapandemie eine Strategie der Eigenverantwortung. Diese Gelassenheit kann trügerisch sein. Kurz vor dem dritten Coronawinter gibt es in Deutschland kaum noch Einschränkungen. Während viele Bundesländer im vergangenen Jahr Mitte November einen erneuten Lockdown verkündeten, gilt 2022 bundesweit nur noch in Arztpraxen, Krankenhäusern und Pflegeheimen sowie dem Fern- und mancherorts dem Nahverkehr eine Maskenpflicht. Im Umgang mit der Pandemie ist eine gewisse Gelassenheit spürbar. Die Ampelregierung setzt fast komplett auf Eigenverantwortung. Die Coronamaßnahmen wurden sukzessive zurückgefahren. Jeder kann selbst entscheiden, ob er in Menschenansammlungen Maske trägt und Abstand hält. Auch die Impfung bleibt ein freiwilliger Schutz. Die Herbstwelle scheint man so ohne große Not überstanden zu haben. Trotz sehr hoher Infektionszahlen hat kein Bundesland die Schutzmaßnahmen verschärft. Das liegt nicht daran, dass es nicht nötig gewesen wäre. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz lag Mitte Oktober bei fast 900. Dabei ist die Inzidenz kein verlässlicher Faktor, weil nicht alle Coronapositiven erfasst werden. In Sachsen müssen Infizierte nicht mal mehr einen PCR-Test machen – dabei fließen nur diese in die offizielle Statistik ein. Experten gehen deswegen von einer extrem hohen Dunkelziffer aus: Realistisch sei, dass dreimal so viele Menschen erkrankt waren. Auch in den Krankenhäusern wurden mehr COVID-19-Patienten behandelt. Die Omikron-Variante des Coronavirus führt zwar nicht so oft zu schweren Krankheitsverläufen wie noch die DeltaVariante. Trotzdem gibt es etwa 1000 Todesfälle durch COVID pro Woche. Für das Pflegepersonal in den Krankenhäusern bedeutet jeder Infizierte durch die nötige Isolation mehr Arbeit, egal ob er wegen oder mit Corona im Krankenhaus liegt. Einige Kliniken waren zusätzlich wegen des Personalausfalls im Herbst an der Überlastungsgrenze. Doch durch das Infektionsschutzgesetz sind auf Betreiben der FDP nur noch sehr wenige Schutzmaßnahmen überhaupt möglich und die Hürden für sie sehr hoch. Selbst für eine Maskenpflicht in Innenräumen brauchen die Länder einen Landtagsbeschluss. Flächendeckende Schließungen, Zugangsbeschränkungen oder Lockdowns können sie nicht verhängen. Diese Gelassenheit kann trügerisch sein. SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach rechnet mit einer „wahrscheinlich schweren Winterwelle“, auch eine ansteckendere Virusvariante kann nicht ausgeschlossen werden. Spätestens mit Beginn der Fußballweltmeisterschaft werden die Infektionen wieder zunehmen, nicht nur mit dem Coronavirus, sondern auch mit dem Grippeerreger. Anders als sonst findet diese WM nicht im Sommer statt, die Menschen werden sich statt beim Public Viewing in Innenräumen treffen – zu einer Zeit, in der sowieso schon vermehrt Infektionskrankheiten auftreten. Eine konsequente Unterbrechung von Coronainfektionsketten und die Reduzierung von Ansteckungsrisiken sind vor diesem Hintergrund in den kommenden Monaten wichtig. Einen schlechteren Zeitpunkt, um über die Abschaffung der Isolationspflicht zu sprechen, kann es deswegen kaum geben. Mehrere Bundesländer schlagen vor, dass Coronainfizierte andere Personen eigenverantwortlich mit Maske und Abstand schützen, statt sich wie derzeit mindestens fünf Tage isolieren zu müssen. Allerdings können auch symptomlose Coronainfizierte andere anstecken. Fällt die Isolationspflicht weg, würden die Fallzahlen deutlich steigen – und mit jeder Infektion auch die Wahrscheinlichkeit von schweren Verläufen, Post oder Long COVID. Das kann nicht das Ziel sein. Mehr Ansteckungen bedeuten mehr Erkrankungen – auch bei Mitarbeitern der kritischen Infrastruktur. Denn die Ursache der Personalausfälle ist nicht die Isolationspflicht, sondern ein hochansteckendes Virus. Auch milde Erkrankungen dauern in der Regel mindestens eine Woche. Jede Ansteckung ist deshalb dringend zu vermeiden – nicht nur im Gesundheitswesen. Kurz vor demWinter ist es unverantwortlich, den Coronaschutz noch mehr als bisher jedem Einzelnen zu überlassen. Corona verschwindet nicht, nur weil man die Augen davor verschließt. Die Pandemie ist nicht vorbei. Es nützt nichts, die Bevölkerung wegen der vielen anderen Krisen schonen zu wollen. Die Länder müssen wachsam bleiben und gegebenenfalls schnell reagieren, wenn die Infektionszahlen drohen, durch die Decke zu gehen. Andrea Schawe Andrea Schawe ist Redakteurin der Sächsischen Zeitung. Die Autorin ... Es ist unverantwortlich, den Coronaschutz noch mehr als bisher jedem Einzelnen zu überlassen. Die Pandemie ist nicht vorbei. Es nützt nichts, die Bevölkerung wegen der vielen anderen Krisen schonen zu wollen. MEINUNG Foto: Colourbox.de 6 AKTUELL dbb magazin | Dezember 2022

INTERVIEW Nancy Faeser, Bundesministerin des Innern und für Heimat ImMoment sehe ich keinen Spielraum, die wöchentliche Arbeitszeit abzusenken Frau Ministerin, der Fachkräftemangel ist ein riesiges Problem für dieses Land. Beim entsprechenden Gipfel und der Strategie der Bundesregierung spielte und spielt der öffentliche Dienst aber kaum eine Rolle, obwohl hier bereits heute 360 000 Beschäftigte fehlen. Wird sich das noch ändern? Auch der öffentliche Dienst kann von der breit angelegten Fachkräftestrategie profitieren. Der Bund ist zudem bereits sehr aktiv bei der Entwicklung von Strategien zur Gewinnung von Fachkräften, indem er die Arbeitsbedingungen für Fachkräfte nicht nur beim Gehalt mit zusätzlichen, gezielten Personalgewinnungsinstrumenten kontinuierlich verbessert. Der Bund bietet neben sinnstiftenden Jobs auch umfangreiche Entwicklungsmöglichkeiten. Es gibt großzügige Gleitzeitregelungen, Teilzeitmodelle, Langzeitkonten, Ausgleich von Mehrarbeit und Verkürzung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit bei Pflege und Betreuung. Insbesondere für die Generationen Y und Z ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein entscheidender Faktor, mit dem wir punkten können. Um diese Attraktivitätsfaktoren noch besser zu bewerben, wollen wir eine „Arbeitgeberdachmarke Bund“ etablieren. Im Rahmen dieser Kampagne werden wir die vielfältigen Vorzüge einer Beschäftigung beim Bund sowie die Einstiegschancen noch deutlicher herausstellen. Auf der Internetseite wir-sind-bund.de gehen wir zudem auch besonders auf Bewerberinnen und Bewerber mit Einwanderungsgeschichte oder aus dem Ausland ein. Welche Impulse zur Attraktivitätssteigerung des öffentlichen Dienstes wollen Sie in der anstehenden Einkommensrunde setzen? Und ist es nicht auch im Interesse von Bund und Kommunen, gerade angesichts der volatilen wirtschaftlichen Lage eine kurze Laufzeit zu vereinbaren? Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen leisten eine wertvolle und für unsere Gesellschaft unverzichtbare Arbeit. Sie sorgen dafür, dass unser Staat handlungsfähig ist, gerade in Krisenzeiten. Die Auswirkungen der aktuellen Krisen sowie der Inflation treffen auch die Beschäftigten selbst. Sie erwarten zu Recht, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften angemessene lohnpolitische Antworten auf die aktuellen Herausforderungen finden. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass wir in den kommenden Tarifverhandlungen gute und sachgerechte Lösungen finden werden. © Peter Jülich 8 AKTUELL dbb magazin | Dezember 2022

Der öffentliche Dienst wird auch weiterhin ein sicherer und attraktiver Arbeitgeber bleiben. In Ihrem direkten Einflussbereich, dem Dienstrecht des Bundes, gibt es hinsichtlich der Attraktivität des Staatsdienstes noch einige andere offene Baustellen: Die Bundesbesoldung an die verfassungsrechtlichen Vorgaben anpassen, die Weiterentwicklung der Familienbesoldung prüfen, die Wegstreckenentschädigung aktualisieren, die Ruhegehaltfähigkeit der Polizeizulage einführen und nicht zuletzt die überfällige Absenkung der Wochenarbeitszeit der Beamtinnen und Beamten des Bundes. Warum gibt es hier allenfalls überschaubare Fortschritte? Die erforderliche Anpassung der Bundesbesoldung an die Beschlüsse des BVerfG vom 4. Mai 2020 ist eine Herausforderung, der wir uns stellen. Allerdings gilt gerade hier: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in den vergangenen Jahren in verschiedenen Entscheidungen eingehend mit der Frage der Amtsangemessenheit der Alimentation befasst. Es geht also nicht nur um die Umsetzung der Beschlüsse vom 4. Mai 2020, sondern um ein in sich stimmiges Gesamtkonzept. Ein solches Konzept wirft eine Reihe dienstrechtspolitischer wie verfassungsrechtlicher Fragen auf, die zunächst abschließend zu klären sind. Daneben sind natürlich immer auch haushälterische Gesichtspunkte mit in den Blick zu nehmen. Die erforderlichen Vorabstimmungen, auch mit dem Bundesministerium der Finanzen und dem Bundesministerium der Justiz, sind inzwischen weit fortgeschritten, sodass ein entsprechender Gesetzentwurf, mit dem auch die Prüfergebnisse zur Familienalimentation umgesetzt werden, hoffentlich bald auch den Spitzenorganisationen der Gewerkschaften im Rahmen ihrer Beteiligungsrechte übermittelt werden kann. Zur Ruhegehaltfähigkeit der Polizeizulage habe ich bereits Ende April dieses Jahres einen Gesetzentwurf auf Basis der Vereinbarung des Koalitionsvertrages vorgelegt. Das Vorhaben ist mir persönlich ein sehr wichtiges Anliegen. Ich werde mich weiterhin für diesen Gesetzentwurf einsetzen. Die Bundesregierung hat im Klimaschutzprogramm 2030 eine höhere Wegstreckenentschädigung für die Nutzung privater Pkw ausgeschlossen, um auch bei Dienstreisen die wichtigen Aspekte Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit im Sinne der Klimaschutzziele zu stärken. Stattdessen werden nunmehr Kosten, die durch umweltverträgliches und nachhaltiges Reisen – wie etwa die Bahnnutzung – zusätzlich entstehen, vollständig erstattet. Die Frage der Wochenarbeitszeit muss aus meiner Sicht im Kontext der aktuellen Lage diskutiert werden. Als Bundesverwaltung liegt unser Fokus derzeit auf der Bewältigung der aktuellen Krisen und der Herausforderungen der Zukunft. Ich möchte beispielhaft die Pandemie, die Energieversorgungssicherheit nach dem russischen Angriffskrieg, die Digitalisierung und den ökologischen Umbau der Verwaltung anführen. Dafür braucht es einen leistungsstarken öffentlichen Dienst. Angesichts dieser ressourcenintensiven Aufgaben, der nach wie vor bestehenden hohen Arbeitsbelastung bei gleichzeitigem Fachkräftemangel in vielen Bereichen und der angespannten Haushaltslage sehe ich imMoment keinen Spielraum, die wöchentliche Arbeitszeit abzusenken. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, gerade auch mit Blick auf die Pflege, wird immer bedeutsamer. Und damit auch flexible Arbeitsformen und bedarfsgerechte Arbeitszeitmodelle, sowohl für die Bestandsbeschäftigten als auch für die Gewinnung von Nachwuchskräften. Wie wollen Sie diese Themen angehen? Gerade auch hinsichtlich Führungspositionen? Als öffentlicher Dienst möchten wir unseren Beschäftigten Arbeitsbedingungen anbieten, die zu ihrem persönlichen Lebensentwurf passen sowie Betreuungs- und Pflegeaufgaben berücksichtigen. Nach meiner Erfahrung ist dabei zentral, dass die Beschäftigten ihre Arbeitszeit und ihren Arbeitsort in einem vorgegebenen Rahmen flexibel gestalten können. In der Bundesverwaltung sind wir in diesem Bereich bereits sehr gut aufgestellt: Arbeitsmodelle wie die Teilzeit, Gleitzeit oder das erweiterte Angebot für mobiles Arbeiten ermöglichen es, die Beschäftigungsbedingungen an die individuelle Lebenssituation anzupassen. Das gilt auch für unsere Führungskräfte. Nicht zuletzt durch die Coronapandemie haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Flexibilisierungsinstrumente in der Praxis sehr gut funktionieren und deren Inanspruchnahme weiterhin gefördert werden sollte. Neben dem Fachkräftemangel ist die Digitalisierung der Verwaltung ein Megathema – beide Herausforderungen hängen natürlich auch unmittelbar zusammen. Wann haben Sie das letzte Mal eine digitale Behördenleistung in Anspruch genommen und welche war das? Ich finde es gut, dass Sie den Zusammenhang zwischen Fachkräftemangel und Verwaltungsdigitalisierung so klar benennen. Nur eine Verwaltung, die die digitalen Möglichkeiten ausschöpft, die einen modernen Arbeitsplatz anbietet, ist auch auf Dauer attraktiv für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Verwaltungsdigitalisierung – man sollte wohl sagen -modernisierung – ist hier ein ganz wichtiger Attraktivitätsfaktor. Menschen, die beim Staat arbeiten, erwarten eine sichere Arbeitsperspektive, aber auch Sinnhaftigkeit in ihrer Tätigkeit. Das geht auf Dauer nur, wenn das Arbeiten selbst modern gestaltet ist. Also ohne Fax und Papierberge, dafür etwa mit modernen digitalen Kooperationsmöglichkeiten – auch auf Augenhöhe und als Partner von Bürgern und Unternehmen. Weil Sie so konkret danach fragen: Es gibt die Online-Ausweisfunktion, mit der man zahlreiche Behördengänge vermeiden kann. Ich habe das schon genutzt. Im Großen und Ganzen sieht es jedoch so aus: Das Ziel vom Onlinezugangsgesetz, bis Ende des Jahres 575 Verwaltungsleistungen auch digital über Verwaltungsportale anzubieten, Die Frage der Wochenarbeitszeit muss aus meiner Sicht im Kontext der aktuellen Lage diskutiert werden. Als Bundesverwaltung liegt unser Fokus derzeit auf der Bewältigung der aktuellen Krisen und der Herausforderungen der Zukunft. AKTUELL 9 dbb magazin | Dezember 2022

wird Stand heute sicher nicht erreicht. Wann wird es denn sowohl für die Bürgerinnen und Bürger als auch für die Beschäftigten spürbare Fortschritte geben? Der Bund hat seine Verpflichtungen aus dem Onlinezugangsgesetz (OZG) im Wesent- lichen erfüllt – Basiskomponenten wie Bundesportal und BundID stehen bereit und werden stetig weiterentwickelt. 35 OZG-Projekte im Digitalisierungsprogramm Bund sind bereits vollständig abgeschlossen, für 111 weitere Projekte ist laut zuständigen Bundesressorts der Abschluss 2022 noch geplant. Aber es ist völlig klar, die Digitalisierung der Verwaltung wird mit dem Ende der OZG-Frist am 31. Dezember 2022 nicht abgeschlossen sein, sondern eine Dauer- und Querschnittsaufgabe bleiben. Die Fristsetzung war jedoch wichtig, damit wir vorankommen. Wichtig ist, dass wir die Abläufe in der Verwaltung nicht einfach von analog auf digital umstellen, sondern uns Prozesse insgesamt aus der Perspektive der Bürgerinnen und Bürger, aber auch den Beschäftigten in der Verwaltung genauer anschauen und sie hinterfragen. So planen wir beispielsweise gerade, dass künftig bestimmte Ausweisdokumente zu den Bürgerinnen und Bürgern direkt von der Bundesdruckerei nach Hause geschickt werden. Die größte Herausforderung weltweit ist derzeit der Klimawandel und seine Folgen. Welchen Beitrag kann der öffentliche Dienst, insbesondere auf Bundesebene, aus Ihrer Sicht für einen besseren Klimaschutz leisten? Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Sollte es nicht auch für die Beamtinnen und Beamten des Bundes die Möglichkeit eines Fahrradleasings (Beispiel „Jobrad“) geben, wie das bei den Tarifbeschäftigten und in einigen Ländern schon der Fall ist? Der Klimaschutz ist ein überaus wichtiges Ziel der Bundesregierung, das auf allen Ebenen verfolgt wird. Der öffentliche Dienst geht dabei mit gutem Beispiel voran. Auf meiner Behördenleitungstagung im September war die Klimakrise das Schwerpunktthema. Zur Erreichung der Klimaziele wird der öffentliche Dienst und damit auch mein Ressort seinen Beitrag leisten. Weil Sie konkret danach fragen: Ein Baustein ist die Förderung der Fahrradmobilität. Ressortübergreifend wird unter der Federführung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales eine Richtlinie zur Förderung der Fahrradmobilität erarbeitet, die die bereits bestehende Regelung über die Zahlung von Zuschüssen zum Jobticket ergänzen soll. Die Förderung der Fahrradmobilität hat allerdings nicht die Hebelwirkung wie etwa die Reduzierung des Wärmeverbrauchs von Bundesliegenschaften, also die energetische Sanierung. Bei der Förderung der Fahrradmobilität müssen Aufwand und Nutzen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen und der bürokratische Aufwand gering gehalten werden. Das Modell des Jobradleasings, bei dem der administrative Aufwand in keinem günstigen Verhältnis zum Nutzen steht, wird deshalb nicht weiterverfolgt. In diesem Jahr wurde das Ergebnis einer umfangreichen Studie zur Gewalt gegen Beschäftigte vorgestellt, die von Ihrem Haus initiiert und von den Gewerkschaften begleitet wurde. Daraus geht unter anderem hervor, dass einer von vier Beschäftigten im öffentlichen Dienst schon Gewalt erfahren hat. Sie haben angekündigt, dass mehr getan werden muss, um die Menschen zu schützen, die unser Land jeden Tag am Laufen halten. Was planen Sie für eine bessere Gewaltprävention und den Schutz der Beschäftigten? Ich bin den Gewerkschaften sehr dankbar, dass sie bei diesem Thema so engagiert an der Studie mitgearbeitet haben. Wie wir gemeinsam feststellen konnten, besteht hier Handlungsbedarf. Die Studie war breit angelegt und umfasste sowohl Beschäftigte beim Bund als auch bei Ländern und Kommunen. Letztere stellen mit 4,5 Millionen den Großteil der insgesamt rund fünf Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Deshalb wurden die Ergebnisse der Studie auch im Rahmen einer Tagung im Sommer dieses Jahres einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt und auf einer gemeinsamen Internetplattform den Ländern zugänglich gemacht. Im Rahmen einer Bund-Länder-Besprechung im September dieses Jahres wurde die Umsetzung der in der Studie herausgearbeiteten Handlungsempfehlungen erörtert. Wir sind uns einig, dass es jetzt ganz schnell an die weitere Umsetzung gehen muss, dafür bleiben wir mit allen Beteiligten im Gespräch. ■ Menschen, die beim Staat arbeiten, erwarten eine sichere Arbeitsperspektive, aber auch Sinnhaftigkeit in ihrer Tätigkeit. Das geht auf Dauer nur, wenn das Arbeiten selbst modern gestaltet ist. Also ohne Fax und Papierberge, dafür etwa mit modernen digitalen Kooperationsmöglichkeiten. © Angelika Aschenbach 10 AKTUELL dbb magazin | Dezember 2022

EINKOMMENSPOLITIK Rahmendaten zur Einkommensrunde 2023 Ein Lohnplus stabilisiert die Volkswirtschaft Ein Blick auf die geopolitische Welt- und Wirtschaftslage verheißt wenig Gutes: Pandemiefolgen, Ukraine-Krieg, Taiwan-Krise, Türkei-Griechenland-Konflikt, internationale Handelsstreitigkeiten und eine mögliche Rezession gehen mit dem stärksten Anstieg der Inflation seit Jahrzehnten einher. Die kritische Gemengelage dient extremen politischen Kräften zudem als idealer Nährboden für ihre gefährlichen Ideologien. Dem gilt es, Fakten entgegenzusetzen – und einen starken, funktionsfähigen öffentlichen Dienst. Der öffentliche Dienst galt in vergangenen Krisen als Stabilitätsanker. Als größter Arbeitgeber Deutschlands sorgt er auch jetzt für das reibungslose Funktionieren von Rechtsstaat, Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Personell zwischenzeitlich stark zusammengeschrumpft, kämpft die öffentliche Hand heute allerdings auch mit demografischen Problemen und Fachkräftemangel. Bei der politischen Erkenntnis, dass es einer wirksamen Fachkräfteinitiative bedarf, darf es aber nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben. Einen öffentlichen Dienst, der krisenresilient ist und unverzichtbaren Service für Wirtschaft und Gesellschaft leistet, gibt es nicht im Sonderangebot. Daher können auch die Forderungen der Gewerkschaften für die Einkommensrunde 2023 für die Beschäftigten von Bund und Kommunen nicht losgelöst von den derzeit vorherrschenden Krisen und ihren Folgen betrachtet werden. Explodierende Preise Folgen der geopolitischen Spannungen sind unter anderem in explodierenden Preisen für Energie und Nahrungsmittel zu beobachten. Erste Firmen haben bereits Insolvenz angemeldet, Gesellschaft und Wirtschaft sind gleichermaßen verunsichert. Eine Insolvenz des Staates ist jedoch nicht zu befürchten, und der öffentliche Dienst fungiert auch jetzt als Stabilitätsfaktor, der unter anderem für die Umsetzung der Entlastungspakete sorgt. Im Volumen belaufen sie sich inklusive des von Bundeskanzler Scholz als „Doppelwumms“ bezeichneten Wirtschaftsstabilisierungsfonds zur Energieentlastung auf gut 295 Milliarden Euro. Die Summe ist zwar einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik. Dennoch können steuerbefreite Einmalzahlungen allein die sogenannte Lohn-Preis-Spirale nicht aushebeln, denn damit laufen Löhne und Gehälter der Preisentwicklung langfristig hinterher. Die Antwort können nur Lohnsteigerungen sein, die mit den wirtschaftlichen Rahmendaten korrespondieren und die Inflation berücksichtigen. Die Absicht der Bundesregierung, sich auf europäischer Ebene für weitere Preisdämpfungen auf den Energiemärkten einzusetzen, ist zwar positiv zu bewerten, bleibt als Absichtserklärung aber zu vage. Insgesamt sind diese Eingriffe in die marktwirtschaftliche Ordnung in der aktuellen Krisensituation jedoch zu rechtfertigen und sinnvoll. ZumModus Operandi dürfen sie aber nicht gemacht werden, denn das wäre nicht bezahlbar und schadete der Volkswirtschaft auf Dauer. Preissteigerungen berücksichtigen Neben der Inflation bleiben die Argumente für einen angemessenen Tarifabschluss die gleichen wie seit Jahren: Der öffentliche Dienst als größter Arbeitgeber in Deutschland muss eine Vorreiterrolle einnehmen. Es geht nicht nur darum, die Beschäftigten auskömmlich und wertschätzend zu bezahlen. Der öffentliche Dienst muss wieder als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen werden, um Fachkräfte gewinnen und binden zu können. Das zu erzielende Tarifergebnis wird aufgrund der aktuellen Inflation auch in die Zukunft wirken. Bleiben Tarifsteigerungen hinter der Inflationsrate zurück, schlägt das im Endeffekt auch auf die Foto: Mykola Mazuryk/Colourbox.de 12 AKTUELL dbb magazin | Dezember 2022

späteren Renten und Pensionen durch. Auch die übrigen Sozialabgaben sind inflationsgetrieben: Besonders die Kranken- und Pflegeversicherung spürt noch die Nachwehen der Coronapandemie. Mit weiter stark steigenden Kosten für Löhne, Arzneimittel und medizinisches Gerät sowie für Mieten für Praxen und Krankenhäuser wird das Einfluss auf die Sozialversicherungsbeiträge haben. Gefahr der Rezession Mittlerweile befürchten viele Experten, dass eine Rezession in Deutschland nicht mehr abzuwenden ist. Die aktuellste Prognose des Ifo Instituts geht davon aus, dass sich Deutschland auf dem Weg in eine Winterrezession befindet. Für das kommende Jahr erwartet das Institut einen leichten Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,3 Prozent, für dieses Jahr aber immerhin noch ein Wachstum von 1,6 Prozent. Aber es gibt auch positive Nachrichten: So hat der reale, preisbereinigte Auftragsbestand im Verarbeitenden Gewerbe im Juli 2022 kalender- und saisonbereinigt um 0,7 Prozent gegenüber dem Vormonat zugenommen. Der Auftragsbestand ist ein guter Indikator für die zukünftige Entwicklung. Im Vergleich zum Vorjahresmonat Juli 2021 lag der Auftragsbestand im Juli 2022 kalenderbereinigt sogar um 12,6 Prozent höher. Damit hat der Auftragsbestand des Verarbeitenden Gewerbes einen neuen Höchststand seit Beginn der Erfassung im Jahr 2015 erreicht. Die Inflation bleibt hoch Die Inflationsrate dürfte nach den aktuellsten Voraussagen mehrerer Wirtschaftsforschungsinstitute jahresdurchschnittlich bei 7,8 Prozent in diesem Jahr und 7,1 Prozent im Jahr 2023 liegen. Weiter verhindern die Kürzungen der Gaslieferungen aus Russland und die dadurch ausgelösten drastischen Preissteigerungen die wirtschaftliche Erholung nach Corona. Im Vergleich zum Juni senkt das Ifo Institut seine Wachstumsprognose für 2023 deutlich um vier Prozentpunkte und erhöht die Inflationsprognose kräftig um sechs Prozentpunkte. Damit gehen die realen Haushaltseinkommen kräftig zurück, die Kaufkraft sinkt spürbar. Das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung dürfte diesem Rückgang zwar etwas entgegenwirken, ihn aber bei Weitem nicht ausgleichen. Für 2024 wird dann mit einer Normalisierung von Wachstum und Inflation gerechnet. Kaufkraftverlust Der Kaufkraftverlust ist, gemessen am Rückgang der realen Pro-Kopf-Entgelte in diesem und im kommenden Jahr um je- weils etwa drei Prozent so hoch wie nie zuvor seit dem Beginn der heutigen volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen im Jahre 1970. Hier droht die Inflation den Stabilitätsanker „privater Konsum“ abzuwürgen, was die Wirtschaftsentwicklung weiter drosseln würde. Insofern führt zur Stabilisierung des Wirtschaftsgeschehens kein Weg an einer adäquaten Entgelterhöhung in den nächsten Einkommensrunden vorbei. Mehreinnahmen durch Steuern Das gilt umso mehr, da der Staat selbst von der steigenden Inflation profitiert. So wurden im ersten Halbjahr 2022 bei der Umsatzsteuer knapp 29 Milliarden Euro mehr eingenommen als im Vorjahreshalbjahr. Das entspricht einer Steigerung von 25,7 Prozent. Hielte der Trend an, könnte das Aufkommen allein bei der Umsatzsteuer am Ende des Jahres 60 Milliarden Euro mehr betragen. Auch bei den Energiesteuern nahm der Fiskus 5,5 Prozent oder 13,5 Milliarden Euro mehr ein. Insgesamt erreichte der Staat im ersten Halbjahr ein Einnahmeplus bei den Steuern von 17,5 Prozent, die gesamten Steuereinnahmen stiegen auf 408 Milliarden Euro. Die Einnahmen der Gemeinden aus dem Gemeindeanteil an den Gemeinschaftssteuern stiegen im Berichtszeitraum um 12,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der neuesten Steuerschätzung vom Oktober 2022 zufolge werden die Einnahmen auch in den kommenden Jahren weiter steigen. Die Steuerschätzer gehen davon aus, dass Bund, Länder und Kommunen bis 2026 rund 126,4 Milliarden Euro mehr einnehmen als in der Steuerschätzung von Mai 2022 erwartet. Allerdings sollen die Steuereinnahmen 2022 um 1,7 Milliarden Euro geringer als vorhergesagt ausfallen. Für 2023 werden Mehreinnahmen in Höhe von 8,9 Milliarden Euro erwartet. Das würde Rekordeinnahmen von 937,3 Milliarden Euro bedeuten. Die prognostizierten Steuereinnahmen liegen im Vergleich zur Schätzung imMai 2022 dabei vor allem in den Jahren 2024 bis 2026 höher, um rund 28,3 Milliarden Euro in 2024 bis zu rund 46,8 Milliarden Euro im Jahr 2026. Privaten Konsum stärken Allerdings muss der Staat bei Investitionen und Ausgaben einerseits ebenfalls höhere Preise zahlen. Andererseits hat der private Konsum gegenüber dem Export mittlerweile einen höheren Stellenwert eingenommen als noch vor einigen Jahren, die Binnenkonjunktur nimmt einen höheren Stellenwert ein. Insofern sollten die öffentlichen Arbeitgeber ihren Beitrag dazu leisten, dass die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes mit angemessenen Einkommenssteigerungen in die Lage versetzt werden, die Binnenkonjunktur auch weiterhin zu stützen. Darüber hinaus ist der öffentliche Dienst als größter Anbieter und Betreiber von Infrastrukturen ein Wegbereiter des Erfolgs unserer Volkswirtschaft. Von einer angemessenen Bezahlung seiner Angehörigen profitiert letztlich die ganze Gesellschaft. rh/krz 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 Verlauf der Infla�onsrate in % Für das Jahr 2022 und das Jahr 2023, Durchschnitt aus den Prognosen von fünf Wirtschaftsforschungsinstituten (RWI, IWH, HWWI, IfW, Ifo), Stand September 2022 AKTUELL 13 dbb magazin | Dezember 2022

GEWERKSCHAFTSTAG Grußwort Wertschätzung statt Misskredit für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes Die Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey, würdigte zum Auftakt des dbb Gewerkschaftstages die Leistung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Zu den Delegierten sagte Giffey am 28. November 2022: „Ihr Gewerkschaftstag ist ein wichtiger Impulsgeber für den funktionierenden Staat. Und die 906 Anträge, die Sie sich vorgenommen haben, sind für mich ein Beleg für die Leidenschaft, mit der Sie sich um die Erhaltung und Weiterentwicklung eines funktionierenden öffentlichen Dienstes einsetzen.“ Aktuell werde gerade auch in Berlin viel über die funktionierende Stadt und damit über eine funktionierende Verwaltung diskutiert: „Ich möchte hierzu klarstellen, dass ich nicht bereit bin, mich an einer Debatte zu beteiligen, in der die Berliner Verwaltung diskreditiert wird. Die Berliner Kolleginnen und Kollegen haben – wie die Beschäftigten in den Verwaltungen anderer Städte und Gemeinden – zuerst Anerkennung und Wertschätzung verdient“, bekräftigte Giffey. Alle hätten in den letzten zweieinhalb Jahren eine absolute Ausnahmesituation zu meistern gehabt. „Ich spreche nicht nur von Corona, sondern auch von den Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Berlin hatte als Hauptankunftsort der Geflüchteten im Frühjahr 2022 bis zu 10000 Ankömmlinge pro Tag zu versorgen. 300000 Menschen sind in unsere Stadt gekommen, 100000 sind geblieben.“ Als weitere Belastung komme nun die Energiekrise hinzu, so Giffey: „Wenn große Entlastungpakete beschlossen werden, dann bedeutet es auch, dass es in den Verwaltungen Menschen geben muss, die das umsetzen, ohne die notwendigen Zukunftsinvestitionen aus den Augen zu verlieren.“ Damit diesen Menschen mehr als die ihnen zustehende Wertschätzung geboten wird, habe Berlin entschieden, in den Streckenausbau des öffentlichen Nahverkehrs zu investieren. Mit einem 29-Euro-Ticket soll in der Großstadt zudemMobilität für weniger als einen Euro pro Tag angeboten und soziale Teilhabe ermöglicht werden. Als wichtiges Mittel, die Handlungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes sicherzustellen, nannte die Regierende Bürgermeisterin der Hauptstadt die Attraktivität der Arbeit zu erhöhen und gezielt junge Menschen anzuwerben, wie es in Berlin beispielsweise mit dem sogenannten „Karrierebus“ getan werde. Viele Jüngere suchten heute eine sinnhafte Tätigkeit. „Und was kann sinnhafter sein, als für das Gemeinwesen zu arbeiten?“, fragte Giffey. Als Beispiele für das Bemühen um Fachkräfte führte Giffey die Berliner Einstellungsoffensiven bei Polizei und Feuerwehr an und nannte in diesem Kontext auch die Entscheidung, Lehrerinnen und Lehrer nach 18 Jahren wieder zu verbeamten. Berlin könne es sich nicht leisten, jedes Jahr 500 bis 600 Lehrkräfte zu verlieren. „Wenn 15 Bundesländer die Verbeamtung für eine gute Idee halten, darf Berlin nicht außen vor bleiben.“ Auch beim Thema Digitalisierung sieht die Regierende Bürgermeisterin die Hauptstadt durch die Bestellung eines „Chief of Digitalisierung“ im Rang eines Staatsekretärs auf dem richtigen Weg. Zugleich werde noch im Dezember die Reform der Verwaltung auf den Weg gebracht, damit ungeeignete Arbeitsprozesse gar nicht erst digitalisiert würden. „Bisher haben wir bei den Digitalisierungsleistungen 40 Topseller identifiziert, mit denen wir 80 Prozent der Kundenwünsche erfüllen können“, erklärte Giffey. Weiterhin keinerlei Toleranz ist aus Giffeys Sicht beim Thema Gewalt gegen staatliche Beschäftigte angebracht. „Wenn wir wollen, dass sich Menschen für den öffentlichen Dienst entscheiden und bereit sind, sich für unsere Demokratie einzuset- zen, müssen wir ihnen neben Wertschätzung auch Schutz bieten. In Berlin sagen wir deshalb: ‚Deine Freiheit, deinen Arm zu schwingen, endet da, wo meine Nase anfängt.‘“ ■ „Wenn wir wollen, dass sich Menschen für den öffentlichen Dienst entscheiden, müssen wir ihnen nebenWertschätzung auch Schutz bieten.“ Franziska Giffey, Regierende Bürgermeisterin von Berlin © Marco Urban 14 FOKUS dbb magazin | Dezember 2022

Wahlen der Bundesleitung Delegierte setzten auf Kontinuität Ulrich Silberbach bleibt dbb Chef. Der Gewerkschaftstag bestätigte auch Friedhelm Schäfer als Zweiten Vorsitzenden des dbb und Fachvorstand Beamtenpolitik sowie Volker Geyer als stellvertretenden dbb Bundesvorsitzenden und Fachvorstand Tarifpolitik in ihren Spitzenämtern. Ulrich Silberbach, dessen Heimatgewerkschaft die komba ist, führt den dbb beamtenbund und tarifunion seit fünf Jahren an. Er setzte sich im ersten Wahlgang gegen Jürgen Böhm (VDR) durch, der ebenfalls für das Amt des dbb Bundesvorsitzenden kandidiert hatte und seit 2017 stellvertretender Bundesvorsitzender des dbb war. Silberbach betonte vor den Delegierten, dass Deutschland nur mit einemmodernen und leistungsfähigen öffentlichen Dienst gut durch die aktuelle wirtschaftliche Krise kommen und seine Zukunftsaufgaben erfolgreich meistern werde. Der dbb, „die einzig wahre Spitzenorganisation des öffentlichen Dienstes“, werde die Verantwortlichen in der Politik daran messen, „welche Anstrengungen und Investitionen sie für jene auf den Weg bringen, die dafür sorgen, dass dieses Land funktioniert – Beamtinnen wie Beamte und Tarifbeschäftigte“, sagte Silberbach unmittelbar nach seiner Wahl. Der öffentliche Dienst habe in den vergangenen drei Jahren eindrucksvoll unter Beweis gestellt, wie wichtig er für die volkswirtschaftliche Stabilität und den gesellschaftlichen Zusammenhalt sei. „Diesen Wert müssen wir erhalten, und dafür werde ich gemeinsammit den 1,3 Millionen Kolleginnen und Kollegen im dbb weiter leidenschaftlich kämpfen“, betonte Silberbach. ​Nach der Bestätigung von dbb Chef Ulrich Silberbach im Amt wählten die 631 stimmberechtigten Delegierten des Gewerkschaftstages die weiteren Mitglieder der dbb Bundesleitung. Friedhelm Schäfer, der bisherige Zweite Vorsitzende des dbb und Fachvorstand Beamtenpolitik, bekleidet sein Amt ebenso wie Volker Geyer, bisheriger stellvertretender dbb Bundesvorsitzender und Fachvorstand Tarifpolitik, für weitere fünf Jahre. Komplettiert wird die neue Bundesleitung des dbb durch die weiteren stellvertretenden dbb Bundesvorsitzenden, die die Delegierten des dbb Gewerkschaftstages am 28. November 2022 in Berlin wählten. Neu in der dbb Bundesleitung vertreten sind Simone Fleischmann (Verband Bildung und Erziehung – VBE), Andreas Hemsing (komba gewerkschaft), Milanie Kreutz (Deutsche Steuer-Gewerkschaft – DSTG) und Heiko Teggatz (DPolG Bundespolizeigewerkschaft). Maik Wagner (Gewerkschaft der Sozialversicherung – GdS) und Claus Weselsky (Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer – GDL) wurden als stellvertretende dbb Bundesvorsitzende bestätigt. Qua Amt gehören der dbb Bundesleitung zudem als beratende Mitglieder ohne Stimmrecht die Vorsitzenden der dbb jugend (Matthäus Fandrejewski) und der dbb bundesseniorenvertretung (Horst Günther Klitzing) an. Im Fall des Seniorenvorsitzenden Klitzing war der Aufnahme in die Bundesleitung des dbb ein entsprechender satzungsändernder Antrag vorangegangen. ■ Der dbb Gewerkschaftstag mit insgesamt rund 900 Delegierten ist das höchste Beschlussgremium des gewerkschaftlichen Dachverbands dbb beamtenbund und tarifunion, in demmehr als 1,3 Millionen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes und der privatisierten Bereiche – Beamtinnen, Beamte und Arbeitnehmende – in 41 Fachgewerkschaften und 16 Landesbünden organisiert sind. Der Gewerkschaftstag tritt alle fünf Jahre zusammen, wählt die neue dbb Bundesleitung und beschließt die künftigen Leitlinien für die politische Arbeit. In diesem Jahr tagte das Gremium vom 27. bis 30. November 2022 in Berlin. Höchstes Beschlussgremium des dbb © Marco Urban Die neue Bundesleitung des dbb (vorn von links): Simone Fleischmann, Bundesvorsitzender Ulrich Silberbach, Milanie Kreutz, Fachvorstand Beamtenpolitik Friedhelm Schäfer. Hintere Reihe von links: Heiko Teggatz, Claus Weselsky, Maik Wagner, Fachvorstand Tarifpolitik Volker Geyer und Andreas Hemsing FOKUS 15 dbb magazin | Dezember 2022

Politischer Schlagabtausch Bundeskanzler Olaf Scholz: Deutschland braucht einen starken öffentlichen Dienst Bundeskanzler Olaf Scholz betonte als Gast des dbb Gewerkschaftstages die Bedeutung des öffentlichen Dienstes. Er dankte den Beschäftigten – sie seien „die Gestalter der Zeitenwende“. Deutschland braucht einen starken öffentlichen Dienst – gerade jetzt in diesen Krisenzeiten“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz bei der öffentlichen Veranstaltung des dbb Gewerkschaftstages am 29. November 2022 in Berlin. Die Zeitenwende, ausgelöst durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und den damit einhergehenden Bruch der europäischen Friedensordnung, mache nirgendwo halt und betreffe in ihren Auswirkungen sämtliche Bereiche des öffentlichen Dienstes, wo die Beschäftigten neben den „normalen“ Aufgaben unter Hochdruck an der Unterstützung für Geflüchtete, der Abfederung von Härten durch Inflation und Energiepreisexplosion sowie der Umsetzung der Energiewende arbeiteten. „Sie sind die Gestalter der Zeitenwende“, adressierte der Bundeskanzler an die Mitarbeitenden des öffentlichen Dienstes in Deutschland, „Staat machen Sie, und das sehr gut. Und dafür danke ich Ihnen von ganzem Herzen.“ Scholz bezeichnete den öffentlichen Dienst als „Rückgrat unseres Landes“, dem in Zeiten von Krisen, Veränderungen und Unsicherheit eine besondere Bedeutung zukomme. „Umso wichtiger ist ein Staat, der liefert, der spürbar an der Seite der Bürgerinnen und Bürger steht“, unterstrich der Kanzler. Deutschland stehe mit der Energiewende vor der größten Transformation seit Beginn der Industrialisierung. Um diesen Prozess erfolgreich und innerhalb des eng gesteckten Zeitrahmens voranzutreiben, brauche man Behörden und Verwaltungen – und die bisher erreichten Zwischenziele zeigten, dass der öffentliche Dienst nicht beweisen müsse, „dass er Tempo machen kann. Sie machen Tempo, meine Damen und Herren“, erkannte der Bundeskanzler an. In einer „für unser Land fast atemberaubenden Geschwindigkeit“ entstünden an der Nordsee Flüssiggasterminals, würden innovative internationale Unternehmen wie Tesla für Standorte in Deutschland gewonnen. „All das haben unsere Verwaltungen entscheidend vorangetrieben“, stellte Scholz fest. © Marco Urban (2) 16 FOKUS dbb magazin | Dezember 2022

Ulrich Silberbach: Krisenbewältigung funktioniert nur mit starkem öffentlichen Dienst dbb Chef Ulrich Silberbach forderte in seiner Grundsatzrede auf dem Gewerkschaftstag eine Kehrtwende in der Finanz- und Personalausstattung des öffentlichen Dienstes. Ins Unsichere sind wir gerade alle gemeinsam unterwegs. Kostenexplosion, Coronakrise, Krieg und Klimawandel: Das Land, ja die ganze Welt, hat mit vielen parallelen Krisen zu kämpfen. Gleichzeitig hält nur noch ein Drittel der Bevölkerung den Staat für handlungsfähig, das hat unsere dbb Bürgerbefragung im Herbst gezeigt. Das ist gefährlich. Am langen Ende für die Demokratie selbst“, sagte der dbb Bundesvorsitzende am 29. November 2022. Das erste Jahr der Ampelkoalition sei für die Beschäftigten enttäuschend gewesen, weil in wichtigen Bereichen wie Bezahlung, Digitalisierung oder Fachkräftegewinnung keine nennenswerten Fortschritte erzielt worden seien. „Diese Probleme im öffentlichen Dienst sind nicht vom Himmel gefallen, sie beschäftigen uns schon seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten. Aber in Krisenzeiten rächen sie sich doppelt und dreifach. Deutschland hat aktuell nur eine Schönwetterdaseinsfürsorge. Wir brauchen eine Kehrtwende in der Finanz- und Personalausstattung des öffentlichen Dienstes.“ Am Beispiel des Kampfes gegen den Klimawandel und der Bewältigung seiner Folgen machte Silberbach die Probleme des öffentlichen Dienstes deutlich. Auch hier nahm er die Regierungen von Bund und Ländern in die Pflicht, der Staat müsse eine Vorbildfunktion einnehmen: „Nur ein Beispiel: Immer schärfer werden die Energiesparvorgaben für Wirtschaft und Bevölkerung. Politik will dem Häuslebauer die Photovoltaikanlage auf dem Dach und das E-Auto in der Garage vorschreiben und reguliert in manchen Ländern sogar die Gestaltung der Vorgärten. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Das kann man alles diskutieren, vieles mag auch sinnvoll sein. Aber von Parteien, die wahlweise die Eigenverantwortung oder den Umweltschutz hochhalten, möchten die Bürgerinnen und Bürger dann doch auch erfahren: Was macht eigentlich der Staat? Warum sitzt unsere Polizei in zugigen Revieren? Und warum pfeift unseren Kindern jetzt gerade in diesemMoment der kalte Novemberwind durch kaputte Schulfenster um die Ohren? Wenn Politik es ernst meint mit dem Klimaschutz, dann gehört jedes öffentliche Gebäude saniert. Eine Photovoltaikanlage aufs Dach. Und die Fahrzeugflotte jeder Behörde klimaneutral modernisiert. Sie wollen weniger Verkehrsemission? Dann schieben sie sich bei der Organisation eines attraktiven und bezahlbaren ÖPNV nicht immer gegenseitig die Verantwortung zu. Das ist unerträglich und grenzt schon an Arbeitsverweigerung. Und lassen Sie doch endlich die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, wo immer es möglich und von ihnen gewünscht ist, im Homeoffice arbeiten. So und nicht anders geht Vorbildfunktion.“ Es stehe außer Frage, betonte der Kanzler, dass die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes bei der Gestaltung der Zukunftsaufgaben auf die richtigen Rahmendbedingungen und politische Unterstützung angewiesen seien. „Beides will ich Ihnen heute zusagen“, versprach Scholz und sicherte sowohl mit Blick auf die amtsangemessene Alimentation und leistungsgerechte Bezahlung als auch in Sachen Digitalisierung der Verwaltung Verbesserungen zu: „Leistung und Anstrengung müssen sich lohnen, das gilt insbesondere für die, die ihre Arbeitskraft in den Dienst der Allgemeinheit stellen.“ Der Kanzler forderte eine „Selbstverpflichtung der Politik: Gesetzgebung und Verwaltung dürften nicht auseinanderfallen, „wir hören auf diejenigen, die die Regelungen nachher umsetzen müssen“. Der Regierungschef bekannte sich zudem klar für eine Attraktivierung des öffentlichen Dienstes als Arbeitgeber. Man habe zwar mittlerweile zusätzliche Stellen geschaffen, um dem Personalmangel entgegenzuwirken, „aber diese Stellen müssen jetzt auch mit guten Köpfen besetzt werden können“, sagte Scholz. Dies gelänge nur mit einer wettbewerbsfähigen Bezahlung und attraktiven Arbeitsbedingungen wie modernen digitalen Abläufen, Homeoffice, Qualifizierungs- und Aufstiegsperspektiven. Scholz appellierte im Zusammenhang mit der Nachwuchsgewinnung an Klimaaktivistinnen und -aktivisten: „Wer sich für den Klimaschutz einsetzen will, muss sich dafür nicht auf Start- und Landebahnen von Flughäfen festkleben, sondern kann im öffentlichen Dienst viel mehr voranbringen.“ ■ „Leistung und Anstrengung müssen sich lohnen, das gilt insbesondere für die, die ihre Arbeitskraft in den Dienst der Allgemeinheit stellen.“ Bundeskanzler Olaf Scholz © Marco Urban FOKUS 17 dbb magazin | Dezember 2022

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