dbb magazin Krisenbewältigung | Comeback des starken Staates? Interview | Ulrich Silberbach, Bundesvorsitzender dbb beamtenbund und tarifunion Monitor öffentlicher Dienst 2023 | Effizienz braucht Ressourcen 1-2 | 2023 Zeitschrift für den öffentlichen Dienst
Der Krisenmodus darf nicht zum Normalfall werden Die 64. Jahrestagung des dbb am 9. und 10. Januar 2023 in Köln hat gezeigt, wie gefährdet die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes in Deutschland ist. In den Doppel- und Dreifachkrisen der vergangenen Jahre sind die Kolleginnen und Kollegen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gegangen, oft sogar darüber hinaus. Sie haben damit nicht nur einen unverzichtbaren Service für Gesellschaft und Wirtschaft geleistet. Sie haben damit ebenso das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen gestützt und dazu beigetragen, die Demokratie lebendig und streitbar zu halten. Jetzt ist die Politik am Zuge zu beweisen, dass sie das Vertrauen der Beschäftigten verdient. Nicht nur finanziell mit einem angemessenen Tarifabschluss in der laufenden Einkommensrunde für den öffentlichen Dienst in Bund und Kommunen. Auch was Investitionen in die Ausstattung, in Digitalisierung und vor allem in die Personalgewinnung betrifft. Wenn der Krisenmodus in der Daseinsvorsorge zum Normalfall wird, gefährdet das auf lange Sicht den gesellschaftlichen Zusammenhalt und mit diesem die Demokratie selbst. Die Gäste der Jahrestagung aus Politik, Wissenschaft, Institutionen und Gewerkschaften sind sich des Ernstes der Situation bewusst. Jetzt geht es darum, die Strategien für die Zukunftsfähigkeit des öffentlichen Dienstes schnell und konsequent umzusetzen. br STARTER TOPTHEMA dbb Jahrestagung 2023 20 AKTUELL EINKOMMENSRUNDE 2023 Verweigerung provoziert Warnstreiks 4 NACHRICHTEN 5 FOKUS DBB JAHRESTAGUNG 2023 Deutschland im Krisenmodus: Comeback des starken Staates? 8 Plädoyers für Investitionen 13 Topthema Fachkräftegewinnung 15 Der ökologische Wandel ist das Schlüsselinvestment für die Zukunft 17 INTERVIEW Ulrich Silberbach: Uns stehen ein paar harte Kämpfe bevor 20 STATISTIK Monitor öffentlicher Dienst 2023: Effizienz braucht Ressourcen 22 EINKOMMENSPOLITIK Beamte: Handlungsbedarf bei Besoldung und Versorgung 24 MEINUNG Öffentliche Infrastruktur: Handlungsunfähig durch Überregulierung 26 INTERN SOZIALWAHL Darum lohnt sich die Wahl 29 JUGEND Staat bleibt „Befristungschampion“ 31 EUROPA EU-Sanktionen gegen Russland: Keine Kontrolle ohne Verwaltung 32 FRAUEN Vorgestellt: Bundesstiftung Gleichstellung 34 SERVICE Impressum 41 KOMPAKT GEWERKSCHAFTEN 42 8 31 Modelfoto: Astrid Gast/Colourbox.de 29 AKTUELL 3 dbb magazin | Januar/Februar 2023
Einkommensrunde für die Beschäftigten von Bund und Kommunen Verweigerung provoziert Warnstreiks Die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten von Bund und Kommunen sind am 24. Januar 2023 in Potsdam nach wenigen Stunden ergebnislos vertagt worden. Der dbb hat die Blockade der Arbeitgeberseite deutlich verurteilt und Proteste angekündigt. Bund und Kommunen bringen das Kunststück fertig, gegen Tarifrituale zu wettern, die sie selbst immer wieder erzwingen. Wir brauchen ein verhandlungsfähiges Angebot und nicht diese Rituale der Respektlosigkeit“, sagte der dbb Bundesvorsitzende und Verhandlungsführer Ulrich Silberbach in Potsdam nach der ersten Verhandlungsrunde mit dem Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) und der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA). „Die Kolleginnen und Kollegen verlangen zu Recht, dass ihre Reallohnverluste ausgeglichen werden. Es kann nicht sein, dass die, die uns so sicher durch die Mehrfachkrisen der letzten Jahre geführt haben, jetzt auch noch die Zeche dafür zahlen sollen. Das erzeugt Frust und der wird sich auf Straßen und in Betrieben zeigen“, kündigte der dbb Chef an. Bereits im Vorfeld der ersten Verhandlungsrunde hatte Silberbach gegenüber den Medien klargemacht, dass auch die Beschäftigten im öffentlichen Dienst den stärksten Preisanstieg in der Geschichte der Bundesrepublik zu verkraften hätten. „Und die Experten weisen darauf hin, dass sich die bereits seit einem Jahr andauernde Inflation nicht schnell in Luft auflösen wird. Genau deshalb sind 10,5 Prozent, mindestens jedoch 500 Euro, eine realistische, eine notwendige Forderung. Die Zeit der Sonntagsreden ist vorbei. Ich habe in unserer Verhandlungskommission dafür geworben, dieses Mal schon frühzeitig und entschlossen mit Streikmaßnahmen zu beginnen.“ „Es geht dabei darum, wirksame und schmerzhafte Nadelstiche zu setzen“, erläuterte Volker Geyer, dbb Fachvorstand Tarifpolitik. „Wir haben jetzt etwa einen Monat bis zur nächsten Verhandlungsrunde Zeit, den Arbeitgebern klarzumachen, dass warme Worte nicht reichen, wenn wir für die Wärme in unseren Wohnungen jetzt Strom- und Gasrechnungen in bisher nicht vorstellbarer Höhe zu begleichen haben.“ Der dbb hat seinen Mitgliedsgewerkschaften die allgemeine Freigabe zu Warnstreiks erteilt. ■ Vom Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) sind insgesamt über 2,5 Millionen Beschäftigte direkt oder indirekt betroffen: Fast 1,6 Millionen Arbeitnehmende des Bundes und der Kommunen und weiterer Bereiche, auf die der TVöD direkte Auswirkungen hat, sowie Auszubildende (6350 beim Bund, 56300 bei den Kommunen), Praktikantinnen und Praktikanten sowie Studierende in ausbildungsintegrierten dualen Studiengängen und auch knapp 190000 Bundesbeamtinnen und Bundesbeamte, Anwärterinnen und Anwärter (16885 beim Bund) sowie über 500000 Versorgungsempfängerinnen und -empfänger beim Bund, auf die der Tarifabschluss übertragen werden soll. Mittelbar hat die Einkommensrunde auch Auswirkungen auf weitere Bereiche des öffentlichen Dienstes (zum Beispiel Bundesagentur für Arbeit, Deutsche Rentenversicherung). Weitere Verhandlungsrunden sind für den 22. und 23. Februar und den 27. und 28. März 2023 in Potsdam geplant. Hintergrund Ernüchternder Verhandlungsauftakt: Gewerkschaften und Arbeitgeberseite vertagten sich nach wenigen Stunden ohne Tarifangebot von BMI und VKA. Bereit, den Druck der Beschäftigten auf die Straße zu bringen: dbb Verhandlungsführer Ulrich Silberbach (links) und dbb Tarifchef Volker Geyer in Potsdam. EINKOMMENSPOLITIK © FriedhelmWindmüller (2) 4 AKTUELL dbb magazin | Januar/Februar 2023
stehen da draußen im wahrsten Sinn des Wortes im Feuer. Wir brauchen auch keine Gesetzesverschärfung“, die geltenden Regelungen müssten nur konsequent angewandt werden, forderte Silberbach. Ein Grundproblem sei die bestehende Personallücke im öffentlichen Dienst von derzeit rund 360000 Stellen. Der Personalmangel bei der inneren Sicherheit betreffe nicht nur die Polizei, sondern auch die Justiz. Mit Blick auf die Gewaltausbrüche in der Silvesternacht drängte Silberbach auf eine konsequente Strafverfolgung: „Dazu braucht es Staatsanwaltschaften, die personell so gut ausgestattet sind, dass sie mit der Fülle an Verfahren klarkommen. Flankiert wird das vom Richtermangel. Es sorgt doch für Frust in der Bevölkerung, wenn Randalierer ungeschoren davonkommen, weil Verfahren verfristen. So erzeugen Sie außerdem bei den Tätern den Eindruck, sie könnten tun und lassen, was sie wollen. Der Respekt vor dem Staat kommt bei einer bestimmten Klientel völlig abhanden.“ Um einen funktionierenden Staatsapparat zu garantieren, sei der öffentliche Dienst auf mehr junge Menschen angewiesen, die mit einer Karriere beim Staat durchstarten wollten. Der Staat sei gefordert wie nie, ihnen konkurrenzfähige Rahmenbedingungen zu bieten. ■ Ein Teil der Bevölkerung macht sich einen Spaß daraus, Polizei- und Rettungskräfte tätlich anzugreifen. Von den Beleidigungen spricht ja schon keiner mehr. Da fällt es zunehmend schwerer, Menschen für diese Jobs zu motivieren. Wir müssen uns fragen, wie wir die Beschäftigten besser schützen können“, sagte der dbb Bundesvorsitzende im Interview mit der „Rheinischen Post“ in der Ausgabe vom 7. Januar 2023. „Wir brauchen nicht noch mehr Studien und Lagebilder. Das ist hilfloser Aktionismus, der für mich am Thema vorbeigeht. Unsere Kollegen NACHRICHTEN Gewalt gegen Polizei und Rettungskräfte Kein Respekt mehr vor dem Staat Gewalt gegen Polizei und Rettungskräfte bekämpfe man nicht mit neuen Studien und Gesetzesverschärfungen, sondern mit konsequenter Strafverfolgung, sagt dbb Chef Ulrich Silberbach. Ausstattung der Justiz Der Rechtsstaat ist unterfinanziert Der dbb hat Bund und Länder aufgefordert, ihren Streit um die dringend benötigten Mittel für Personal und Digitalisierung der Justiz umgehend beizulegen. Justiz und Rechtspflege sind chronisch überlastet. Deshalb war es enorm wichtig, dass mit dem ‚Pakt für den Rechtsstaat‘ zusätzliche Stellen geschaffen wurden. Wir brauchen hier aber zusätzliche und nachhaltige Investitionen – auch um die Digitalisierung voranzutreiben. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten eine funktionierende Justiz und keine kleinteiligen Streitereien zwischen Bund und Ländern“, sagte der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach am 7. Dezember 2022 im Vorfeld des Treffens zwischen der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) und Bundeskanzler Olaf Scholz. Der Rechtsstaat dürfe in einer der reichsten Volkswirtschaften der Welt nicht an fehlendem Geld scheitern. Der dbb Chef machte deutlich: „Bund und Länder können mit einer schnellen Einigung auch ein wichtiges Signal an potenzielle Bewerberinnen und Bewerber senden. ImWettbewerb etwa mit schicken Großkanzleien hat es der Staat ohnehin schwer genug. Da ist eine ordentliche Personal- und IT-Ausstattung in der Justiz und Rechtspflege ja wohl das Minimum. Wer sich in diesem elementaren Bereich in den Dienst der Gesellschaft stellt, sollte sich auf die nötige politische Rückendeckung verlassen können.“ ■ Modelfoto: Knud Nielsen/Colourbox.de AKTUELL 5 dbb magazin | Januar/Februar 2023
75 Jahre NBB Öffentlicher Dienst schützt Demokratie Der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach hat vor zunehmender Radikalisierung in Teilen der Gesellschaft gewarnt. Ein Mittel dagegen sei eine starke Daseinsfürsorge. Ob politische und religiöse Extremisten oder Verschwörungsgläubige wie die sogenannten Reichsbürger: Die Radikalisierung von Einzelnen schreitet oft schnell, aber auch unbemerkt voran. Das hat etwas damit zu tun, dass der Zusammenhalt in der Gesellschaft bröckelt und die Daseinsfürsorge kaputtgespart wurde. Beide Phänomene verstärken sich zudemnoch gegenseitig. Deshalbmuss in den Staat investiert werden, damit er Gesundheit, Bildung, Recht und Sicherheit wieder für alle garantieren kann“, forderte der dbb Chef am11. Januar 2023 bei der Feier zum75-jährigen Bestehen des NBB – Niedersächsischer Beamtenbund und Tarifunion. Silberbach erinnerte daran, dass Gesetzestreue von der Politik auch vorgelebt werdenmüsse: „In den vergangenen Jahrenmussten Beamtinnen und Beamte immer wieder bis zumBundesverfassungsgericht klagen, um eine amtsangemessene Alimentation zu erstreiten. Das ist doch ein Trauerspiel. Ich bin froh, dass unsere dbb Landesbünde hier entschlossen dagegenhalten. Sie setzen sichmit Fachkenntnis und Leidenschaft für die Interessen der Beschäftigten und damit für ein funktionierendes gesellschaftliches Miteinander ein. Im Fall des NBB sogar schon seit 75 Jahren. Dafür danke ich den Kolleginnen und Kollegen und gratuliere zum Jubiläum.“ ■ Autobahn GmbH Inflationsausgleich zugesagt Die Beschäftigten der Autobahn GmbH erhalten eine steuerfreie Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 3 000 Euro. Geschäftsführung und Gesamtbetriebsrat haben dem Paket Anfang Dezember 2022 zugestimmt. Der dbb hat Druck gemacht. Angesichts der schwierigen Situation in unserem Land kommt die beschlossene Hilfe schnell und ist sehr konkret. Das ist ein großer Erfolg für uns und er ist für die Arbeitnehmenden bei der Autobahn konkret erfahrbar. So muss es sein“, kommentierte dbb Tarifchef Volker Geyer, der für die Gewerkschaften im Aufsichtsrat der Autobahn GmbH mitarbeitet, die erfolgreiche Umsetzung. Die Auszahlung wurde für Dezember 2022 angekündigt. Demnach sollen Arbeitnehmende, beurlaubte Beamtinnen und Beamte sowie Arbeitnehmende, die sich in Eltern- oder Altersteilzeit befinden, 3000 Euro erhalten; Azubis, Studierende und Werkstudierende 1500 Euro. Teilzeitbeschäftigte sollen die Prämie anteilig bekommen. Der dbb hat die Geschäftsführung der Autobahn GmbH aufgerufen, sich bei der Bundesregierung dafür einzusetzen, dass die Inflationsausgleichsprämie auch an die zugewiesenen Beamtinnen und Beamten gezahlt werden kann: „Alles andere würde den Betriebsfrieden erheblich belasten, denn es geht um eine nicht unerhebliche Zahl zugewiesener Beamtinnen und Beamte des Gesamtpersonalbestands, die mit der derzeitigen Regelung noch leer ausgehen“, so Geyer. Zur Lösung von immer wieder auftretenden Problemen sei zudem für die bei der Autobahn GmbH eingesetzten Beamtinnen und Beamten ein „Sonderdienstrecht“ wie bei den Postnachfolgeunternehmen notwendig. Dennoch zeige das Ergebnis deutlich, dass die Autobahn GmbH es ernst damit meine, sich als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren. Ihre Arbeits- und Entgeltbedingungen suchten im Bereich des öffentlichen Dienstes ihresgleichen. Geyer: „Außerdem zeigt das Vorgehen: Konkrete und schnelle Hilfe ist machbar. Das haben wir hier gezeigt. Für 2023 bin ich zuversichtlich, dass es dem dbb weiterhin gelingen wird, die Autobahn GmbH für heutige und künftige Arbeitnehmende attraktiv zu gestalten.“ ■ Foto: RuckZack/Colourbox.de 6 AKTUELL dbb magazin | Januar/Februar 2023
DBB JAHRESTAGUNG dbb Jahrestagung 2023 Deutschland im Krisenmodus: Comeback des starken Staates? Krisen bestimmen unseren Alltag und erhöhen den Druck auf die staatlichen Institutionen. Die Planbarkeit von Haushaltsmitteln wird zunehmend komplexer, zentrale Entscheidungen müssen in immer kürzerer Zeit getroffen werden. Die sozialen Sicherungssysteme, die gesundheitliche Grundversorgung, das Bildungswesen, Gewährleistung der inneren Sicherheit und eine stabile Infrastruktur – wichtige Grundpfeiler unserer Gesellschaftsordnung – werden zunehmend auf die Probe gestellt. Was also ist notwendig für ein Comeback des starken Staates? Lösungsansätze lieferten hochkarätige Gäste aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Gesellschaft auf der 64. dbb Jahrestagung am 9. und 10. Januar 2023 in Köln. Mit Blick auf die bekannten Missstände unter anderem im Bildungs- und Gesundheitssystem, bei der Sicherheit und in der Justiz sowie angesichts der mangelhaften Digitalisierung und der Erosion des Vertrauens in den Staat forderte der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach am 9. Januar 2023 in Köln von der Politik und insbesondere gegenüber Bundesinnenministerin Nancy Faeser: „Wir müssen raus aus dem Krisenmodus. Die größte Gefahr für die Demokratie, für den Zusammenhalt unseres Gemeinwesens und auch für unsere Wirtschaft und unseren Wohlstand ist ein kaputtgesparter, nicht funktionsfähiger öffentlicher Dienst.“ Die politisch Verantwortlichen müssten sich gegenüber den Menschen im Land endlich ehrlich machen und nichts versprechen, was nicht zu halten sei. „Wenn wir den Personalmangel im öffentlichen Dienst nicht stoppen, den peinlichen Digitalisierungsstau nicht auflösen, dann gibt es weniger Daseinsvorsorge“, machte Silberbach deutlich. „Die Bürgerinnen und Bürger wollen nicht weichgespült, sondern einfach gut regiert, die Beschäftigten professionell geführt werden. Und dazu gehören unabdingbar eine funktionierende Daseinsvorsorge und ein zeitgemäß ausgestatteter und gestalteter öffentlicher Dienst.“ Der dbb Chef zeigte sich stolz darauf, „dass die Millionen Kolleginnen und Kollegen auch weiterhin Tag für Tag und Nacht für Nacht alles dafür tun, damit dieses Land funktioniert. Damit Menschen und Unternehmen trotz mittlerweile eklatanter und flächendeckender Infrastruktur- und Personalmängel in der Daseinsvorsorge weiterhin einen halbwegs verlässlichen Staat an ihrer Seite haben und über die Runden kommen. Damit von der Politik beschlossene Hilfspakete und Unterstützungsleistungen dort landen, wo sie hingehören – und seien sie handwerklich auch noch so schlecht und ohne jede Rückkopplung mit jenen gemacht, die „Daseinsvorsorge muss raus aus dem Krisenmodus.“ Ulrich Silberbach © Marco Urban (8) 8 FOKUS dbb magazin | Januar/Februar 2023
Ahnung von der Materie haben und sie umsetzen müssen.“ Nun aber brauche es „ein Bündel konzertierter Maßnahmen als Antworten auf die realen Herausforderungen, vor denen der Staat und damit in erster Linie der öffentliche Dienst steht“. Beim traditionellen politischen Schlagabtausch des dbb Bundesvorsitzenden mit der Bundesinnenministerin standen auch die Debatte über Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst und die Angriffe auf Polizei und Rettungskräfte in der Silvesternacht im Blickpunkt. Menschen im öffentlichen Dienst, die nicht mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Verfassung stehen, müsse „konsequent klare Kante“ gezeigt werden, denn „sie beschädigen das Vertrauen der Menschen in die öffentlichen und demokratischen Institutionen. Vor allem aber diskreditieren sie die Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die tagtäglich rechtschaffen und verlässlich ihren Job machen“, betonte Silberbach. Zugleich warnte er aber davor, den gesamten öffentlichen Dienst „wegen einzelner krimineller Extremisten unter Generalverdacht“ zu stellen und bei einer gewünschten Beschleunigung des Entfernens aus dem Dienst rechtsstaatliche Verfahren zu missachten. Den gleichen Lösungs- und Umsetzungseifer, den die Politik derzeit bei Änderungen des Disziplinarrechts an den Tag lege, wünsche er sich vor allem in Sachen Gewalt gegen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes. „Hier bedarf es einer klaren Antwort unseres Rechtsstaates. Und die kann nicht lauten: Personalien aufgenommen und ‚Tschüss‘. Strafverfolgung findet nämlich wegen einer total unterbesetzten Justiz nicht immer ausreichend statt“, kritisierte Silberbach. Um Land, Wirtschaft und vor allem das Vertrauen in die staatlichen Institutionen zu stabilisieren, brauche es endlich eine Kehrtwende der Politik in der Personal- und Finanzausstattung des öffentlichen Dienstes. Es brauche „Tatendrang, mehr Personal, attraktive Beschäftigungsbedingungen, Digitalisierung“ und eine nachhaltige Einbindung der Beschäftigten und ihrer Spitzenorganisationen bei der Gestaltung und Umsetzung politischer Vorgaben und Arbeitsprozesse. „Legen Sie endlich los! Land, Leute und Wirtschaft warten. Und diese Warterei kostet Nerven, Vertrauen und viel Geld“, so Silberbach. Meine Wertschätzung gilt dem öffentlichen Dienst in Bund, Ländern und Kommunen. Die Beschäftigten sind wahre Alltagshelden“, betonte die Bundesministerin des Innern und für Heimat, Nancy Faeser. Ohne sie sei etwa die Umsetzung der dringend benötigten Entlastungspakete der Bundesregierung für die Bürgerinnen und Bürger nicht möglich. „Gerade die Leistung der kommunalen Bediensteten kann hier nicht hoch genug bewertet werden.“ Um die Nachwuchs- und Fachkräftegewinnung zu verbessern, stellte die Bundesinnenministerin konkrete Maßnahmen in Aussicht: „Wir brauchen die klügsten Köpfe. Deshalb werden wir eine crossmediale Kampagne für die Bundesverwaltung starten, um für die Arbeit beim Staat zu werben.“ Die Bundesregierung wolle außerdemmehr Menschen mit Migrationshintergrund für den öffentlichen Dienst gewinnen und dafür beispielsweise Bewerbungsprozesse optimieren. Hinsichtlich attraktiver Arbeitsbedingungen versprach Faeser mit Blick auf die in zwei Wochen beginnende Einkommensrunde für Bund und Kommunen: „Wir werden zu einer tragfähigen Lösung kommen.“ Für die verfassungskonforme Besoldung und Versorgung beim Bund wolle sie außerdem darauf drängen, dass ein entsprechendes Gesetz „sehr bald“ kommt. Auch beim langjährigen Streit um die Arbeitszeit der Bundesbeamtinnen und -beamten signalisierte sie Gesprächsbereitschaft: „Ich lasse prüfen, wie wir hier für besonders belastete Berufsgruppen Entlastung schaffen können.“ Nach den Attacken auf Einsatzkräfte in der Silvesternacht betonte Nancy Faeser erneut: „Angriffe auf Beschäftigte werden wir nicht hinnehmen. Der Staat muss sich vor die Beschäftigten stellen. Täter müssen schnell bestraft werden, nur das schafft Respekt vor dem Rechtsstaat.“ Auch zu der Diskussion um sogenannte Reichsbürger im öffentlichen Dienst betonte die Bundesinnenministerin erneut: „Wer für den Staat arbeitet, muss sich aktiv zu unseren Grundwerten bekennen. Wir lassen nicht zu, dass der Rechtsstaat von Extremisten sabotiert wird – sie haben im öffentlichen Dienst nichts zu suchen.“ „Wir haben einen starken und handlungsfähigen Staat.“ Nancy Faeser Die Oberbürgermeisterin von Köln, Henriette Reker, würdigte in ihrer Begrüßung die Leistung des öffentlichen Dienstes während der Pandemie. Diese und aktuelle Krisen hätten gezeigt, „dass der Staat handlungsfähig und resilient ist“. Das sei auch auf die föderalen Strukturen in der Bundesrepublik zurückzuführen, die es ermöglichten, auf regionale Eigenheiten einzugehen und Stärken zu nutzen. „Die Menschen in Deutschland können sich auf ihre Städte, Gemeinden und Kreise und auch auf deren Bedienstete verlassen.“ Nicht zuletzt daraus sei eine neue Wertschätzung der kommunalen Selbstverwaltung erwachsen. Sie impliziere aber, dass die Kommunen ihre Aufgaben dauerhaft aus eigenen Mitteln wahrnehmen können. „Dazu brauchen wir unter anderem höhere kommunale Steueranteile und eine Reform der Gemeindeordnung“, so Reker. Reker: Der Staat ist handlungsfähig FOKUS 9 dbb magazin | Januar/Februar 2023
Bei der Digitalisierung der Verwaltung – insbesondere beim Onlinezugangsgesetz – räumte Faeser ein: „Hier muss der Staat auf allen Ebenen besser und schneller werden.“ Hier dürften Prozesse allerdings nicht einfach digitalisiert, sondern müssten zuvor grundlegend verbessert werden. „Angesichts von 40 000 Behörden im Land und alleine 11000 Städten und Gemeinden ist das allerdings weiter eine Mammutaufgabe.“ Prof. Dr. Udo Di Fabio, Bundesverfassungsrichter a. D., hat ein Plädoyer für den öffentlichen Dienst als Stabilisator für den gesellschaftlichen Zusammenhalt gehalten. Der Verfassungsrechtler war der Tagung digital zugeschaltet und skizzierte in seiner Keynote den Zusammenhang zwischen Daseinsvorsorge und Vertrauen in staatliche Institutionen. So erlahme die öffentliche Aufmerksamkeit zum Beispiel regelmäßig, nachdemGesetze beschlossen seien. Um deren Vollzug werde sich danach kaum noch gekümmert. „Dabei haben Verwaltungsdienstleistungen eine ganz elementare Bedeutung für das Ansehen des Staates. Funktionieren Verwaltungen nämlich für längere Zeit nicht richtig, erodiert das Vertrauen der Bevölkerung in Rechtsstaat und Demokratie.“ Daher sei der öffentliche Dienst ein „Grundelement der Demokratie und eine Forderung des Sozialstaatsprinzips.“ Das werde besonders dort deutlich, wo Defizite entstünden. Zum Beispiel, wenn die öffentliche Sicherheit nicht mehr flächendeckend gewährleistet werden könne. „Davon sind zuerst die sozial Schwächeren betroffen. Aber der Rechtsstaat hat das Verfassungsversprechen einzulösen, dass alle Menschen vor demGesetz gleich sind. Dies kann er nur einlösen, indem er Sicherheit für alle gewährt.“ Aktuell sei in Deutschland die Tendenz zu beobachten, dass der öffentliche Dienst durch überbordende Gesetzgebung überfordert sei, so Di Fabio weiter. Im Gegenzug müsse daher sichergestellt werden, dass „Personal, Mittel und Besoldung passen, damit Dienstherrn und Arbeitgeber ihre Beschäftigten motivieren können, für den Gesetzesvollzug zuständig zu sein“. Unter diesem Gesichtspunkt sieht auch Di Fabio die Personaldecke derzeit als zu dünn an. „Und schauen wir auf die Demografie, stehen uns die Engpässe sogar noch bevor.“ Da der öffentliche Dienst beim Kampf um Nachwuchskräfte nicht mit der Wirtschaft Schritt halten könne, sei es unausweichlich, dass der Staat die Aufgaben seines „stabilisierenden Elements öffentlicher Dienst“ so zuschneide, dass Gesetze auch umgesetzt werden können. Außerdem könne der öffentliche Dienst seine Attraktivität für Nachwuchskräfte steigern, erklärte der Bundesverfassungsrichter a. D., indem er das Ethos, das viele junge Menschen bewege, für den Staat zu arbeiten, auch entsprechend wertschätze: „Die Überzeugung, etwas Wichtiges für die Gesellschaft zu tun, ist ein starker Antrieb.“ Das müsse sich aber auch in einer schnellen Rechtsprechung bei Gewaltdelikten gegen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes widerspiegeln, denn letztlich sei „jeder Angriff auf die Beschäftigten ein Angriff auf die demokratische Kultur“. Insgesamt habe sich die Bundesrepublik zu sehr an das „tragende Fundament öffentlicher Dienst“ gewöhnt, ohne von Zeit zu Zeit auf Bruchstellen zu achten. „Wir haben zu viel Vertrauen in eine scheinbar ewig funktionierende Infrastruktur entwickelt, zu wenig investiert und sich verändernde Rahmenbedingungen ignoriert.“ Eine Diagnose, die auch Verwaltungsdienstleistungen und Verfahren umfasse. Solle am Ende nicht aus vielen kleinen Krisen eine große Staatskrise werden, müsse die Politik wieder stärker in den Fokus nehmen, „dass der öffentliche Dienst die verfassungsrechtliche Grundlage für das öffentliche Gemeinwesen bildet und gleichzeitig eine Garantie für entsprechende Infrastrukturen und Dienstleistungen gewährt“. Publizist Albrecht von Lucke erläuterte die Zusammenhänge zwischen einem geschwächten Staat und zunehmender Radikalisierung. Übertrage die Politik der Verwaltung Aufgaben, die jene nicht bewältigen könne, schwäche sie sich gleichzeitig selbst. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Staates werde für alle sichtbar, machte von Lucke deutlich. Die Silvesternacht mit ihren gewalttätigen Krawallen und Attacken auf Einsatz- und Rettungskräfte habe quasi als Signatur der Zeit „Der öffentliche Dienst ist Grundelement der Demokratie.“ Udo Di Fabio „Nie erscheint der Staat angreifbarer, wenn er die eigenen Leute nicht schützen kann.“ Albrecht von Lucke 10 FOKUS dbb magazin | Januar/Februar 2023
gezeigt, dass der Staat zumindest in Teilen nicht mehr als stark, stabil, wehrhaft, handlungsfähig und auf der Höhe der Zeit agiere. Das Grundmotiv der Gesellschaft, Sicherheit für die Bürger, vor allem auch für die Bediensteten dieses Staates, sei bei den Ausschreitungen nicht gegeben gewesen und habe die Exekutive am Rande ihrer Handlungsfähigkeit gezeigt. „Nie erscheint der Staat angreifbarer, wenn er die eigenen Leute nicht schützen kann“, so der Jurist und Politikwissenschaftler. Von Lucke stellte die Frage, ob sich die Gesellschaft längst an diesen Zustand gewöhnt habe? Seit einigen Jahren würden alle Krisen auf die Verwaltungsebene nach unten durchgereicht. Diese solle erlassene Gesetze konkret durchsetzen, sei damit jedoch völlig überfordert. „Der gute Wille des Staates ist zu erkennen, aber er ist nicht handlungsfähig.“ Auch das Beispiel der Coronaimpfpflicht, die nicht durchgesetzt werden konnte, habe gezeigt, wie der Staat an die Grenze seiner Handlungsfähigkeit komme. Als Ursache für die schwierige Lage des Staates identifizierte von Lucke die „Nichtexistenz von Staatsbürgerbewusstsein“. Ursprünglich lautete das Versprechen selbst eines autokratischen Staates, der Garant der Sicherheit der Bürger zu sein. Das Bewusstsein moderner Staatsbürgerinnen und Staatsbürger – „l’état, c’est nous“ („der Staat sind wir alle“) – sei in den letzten Jahrzehnten unter die Räder geraten. Das Untertanenbewusstsein des Deutschen Kaiserreiches sei inzwischen in sein Gegenteil umgeschlagen. Von Lucke zeichnet die Liberalisierungsbewegung von den Studentenunruhen des Jahres 1968, über Willy Brandts Versprechen, mehr Demokratie zu wagen, den Mauerfall und die Globalisierung bis hin zur Maxime „Privat vor Staat“ der 90er-Jahre nach. All das habe zu einem Verfall des staatsbürgerlichen Bewusstseins geführt. Wutbürger, Reichsbürger anerkennten nur noch das eigene Ego als Maßstab, viele Menschen stellten mit ihren zunehmend radikaleren Protestformen den Staat grundsätzlich infrage, so von Lucke und empfahl als „Ausweg“ eine breite Debatte zur Frage, wann und in welchemMaße dem Staat Respekt geschuldet werde? Die Sichtbarkeit des Staates müsse vor allem an Brennpunkten vergrößert, die politische Bildung vor allem in der Schule verbessert werden. Es brauche mehr personelle und materielle Mittel sowie eine „geistig-moralische Wende“ im Verhältnis vom Öffentlichen und Privaten. Der Staat brauche eine Generalüberholung, und dafür seien schlicht Steuererhöhungen vonnöten, erklärte von Lucke. Wenn in die öffentlichen Angelegenheiten investiert werde, dann bedeute das für privaten Konsum einen gewissen Rückschritt. Für einen starken Staat aber müsse eine Debatte geführt werden, was die Demokratie den Menschen wert sei. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst, hat auf der dbb Jahrestagung die Bedeutung einer leistungsfähigen öffentlichen Verwaltung für die Wirtschaft betont. Er machte in seinem Grußwort deutlich, welche große Verantwortung dem Staat und dem öffentlichen Dienst in den aktuellen Mehrfachkrisen zukommt. Insbesondere mit Blick auf die Folgen des Ukraine-Kriegs und die Versorgung von Flüchtlingen sei auf die Kommunen und den öffentlichen Dienst stets Verlass. „Das macht mich sehr, sehr dankbar. Wir haben diesen starken Staat – weil er auch in der Krise verlässlich ist, weil er einen sicheren Rahmen bietet“, betonte der Regierungschef des Landes Nordrhein-Westfalen. Umso bestürzter zeigte sich Wüst angesichts der gewalttätigen Ausschreitungen in der Silvesternacht. Die Bediensteten hätten ein Recht auf Unversehrtheit: „Angriffe auf Einsatz- und Rettungskräfte sind vollkommen inakzeptabel. Gewalt gehört weder zum Feiern noch zum Demonstrieren, daran dürfen wir uns in diesem Land nicht gewöhnen.“ Auch mit Blick auf den Klimawandel und seine Folgen, die bereits jetzt durch Überflutungen wie etwa im Ahrtal und Waldbränden nach Dürreperioden sichtbar würden, müsse Deutschland besser werden. Es gehe vor allem darum, „Klimaschutz zu schaffen und gleichzeitig Wohlstand zu erhalten“. Diese Aufgabe könne nur gelingen, wenn ein starker öffentlicher Dienst dabei auch eine zentrale Rolle spiele, zeigte sich Wüst überzeugt. „Um etwa den Umbau hin zur klimaneutralen Anlage in der Industrie zu meistern, brauchen wir eine deutliche Beschleunigung der Genehmigungsverfahren. Dazu braucht man Beschäftigte, die fachlich auf der Höhe sind und einen innovativen öffentlichen Dienst auf der Höhe der Zeit.“ Um die hierfür dringend benötigten Nachwuchskräfte zu mobilisieren, habe man in NRW eine Modernisierungsoffensive in enger Abstimmung mit Gewerkschaften und Beschäftigten gestartet. Neben der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie stehe dabei die Digitalisierung der Verwaltung im Fokus: „Wir müssen jetzt dranbleiben und erheblich zulegen. Das ist auch eine Frage der Attraktivität des Staates als Arbeitgeber.“ ada, bas, br, ef, iba „Angriffe auf Einsatz- und Rettungskräfte sind vollkommen inakzeptabel.“ Hendrik Wüst Reges Medieninteresse an den Inhalten der Jahrestagung im Pressebereich 12 FOKUS dbb magazin | Januar/Februar 2023
Paneldiskussion I Plädoyers für Investitionen Insbesondere in Krisenzeiten muss Geld da sein für einen leistungsfähigen öffentlichen Dienst – darin waren sich Politik und Wissenschaft bei der ersten Paneldiskussion auf der dbb Jahrestagung am 9. Januar 2023 in Köln einig. Woher die Mittel aber kommen und wie sie am sinnvollsten eingesetzt werden sollen, um öffentliche Infrastrukturen nachhaltig zu modernisieren, sorgte für teils kontroverse, aber in der Sache konstruktive Diskussionen. Dörner: Kommunen sind am Kipppunkt Katja Dörner, Oberbürgermeisterin der Bundesstadt Bonn, verwies auf den enormen Investitionsstau in den Kommunen, der laut Deutschem Städtetag bei über 150 Milliarden Euro liege. „Auf Dauer führt das dazu, dass etwa in manchen Turnhallen keine Reparaturen mehr möglich sind. Da sind die Kommunen mittlerweile an einem Kipppunkt.“ Diesen Investitionsstau aufzulösen sei aber nicht nur eine Frage der Finanzen, sondern auch der verfügbaren Fachkräfte, um die durchaus vorhandenen Mittel auch auszugeben. Hier mache sich auch der demografische Wandel bemerkbar: „30 Prozent unserer Fachkräfte in Bonn verlassen uns in den nächsten Jahren altersbedingt.“ Gerade die vergangenen Jahre hätten aber gezeigt, wie wichtig eine starke Kommunalverwaltung sei. Dörner plädierte daher auch für eine bessere Finanzausstattung der Kommunen durch Bund und Länder. „Wir brauchen grundsätzlich mehr Geld, nicht immer neue Förderprogramme.“ Sonst würden in den Haushalten der Städte und Gemeinden immer wieder alles „hinten runterfallen, was keine kommunale Pflichtaufgabe ist“. Das gelte aktuell beispielsweise für den Klimaschutz. Hinsichtlich der Finanzen appellierte die Bonner Oberbürgermeisterin insbesondere an den Bund, keine Gesetze zulasten der Kommunen zu erlassen und nannte die Wohngeldreform als aktuelles Beispiel: „Inhaltlich finde ich das gut, hier erhalten Menschen gezielt Unterstützung. Aber alleine in Bonn müssen wir für die Umsetzung dieser Neuerungen 32 zusätzliche Stellen schaffen.“ Amthor: Ausgaben priorisieren Philipp Amthor, Mitglied des Deutschen Bundestages und des dortigen Innenausschusses, forderte bei den Ausgaben des Staates von der Bundesregierung eine stärkere Priorisierung. Der öffentliche Dienst dürfe aber nicht Opfer weiterer Sparmaßnahmen werden. „Ein guter öffentlicher Dienst kostet Geld“, so der Abgeordnete. Ummehr Mittel für notwendige Investitionen zur Verfügung zu haben, müsste gerade der Bund nicht nur immer neue Projekte entwickeln, sondern alte Programme auch permanent evaluieren. Insgesamt gebe es aber eine gesamtstaatliche Verantwortung für Investitionen. „Hier sind auch die Länder gefordert“, so Amthor. Dürr: intelligentere Strukturen Nach Auffassung von Christian Dürr, Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, ist Haushaltspolitik immer Priorisierung, denn „genug Geld wird nie da sein“. Die Einhaltung der Schuldenbremse angesichts von Finanzpolitik im Krisenmodus sei eine Maxime, die kluge Priorisierungen erfordere. Nach der kostenintensiven Bewältigung der Coronakrise bedeute das für den Bundeshaus- © Marco Urban FOKUS 13 dbb magazin | Januar/Februar 2023
halt in der Energiekrise einerseits, die Schuldenbremse einzuhalten und andererseits trotzdem Preisbremsen zu finanzieren. Das sei über das Instrument eines Abwehrschirms geschehen. Das Ziel sei dennoch, „den Bundeshaushalt auf Normal zu fahren“. Die Einkommensforderung des dbb von 10,5 Prozent hält Dürr für „angemessen, zumindest als Bürger, nicht als Finanzpolitiker“. Dem öffentlichen Dienst prophezeite Dürr weitere Personalengpässe aufgrund ungünstiger demografischer Faktoren: „Dass wir hier nicht zu mehr Personal kommen, wird am Ende nicht am Geld liegen. Daher müssen Strukturen und Abläufe an allen Stellen, wo Personal auch künftig fehlen wird, intelligenter machen.“ Darüber hinaus müsse Infrastruktur als Kernaufgabe der Länder betrachtet werden. Das bringe die Notwendigkeit mit sich, insbesondere die Kommunen auskömmlich auszustatten, „damit sie ihre Aufgaben dauerhaft, und nicht nur über Investitionsprogramme, wahrnehmen können“. Dabei hätten sich die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern „im Großen und Ganzen zugunsten der Länder entwickelt. Daher mein Appell, besser mit den Kommunen umzugehen, denn sie leisten ganz viel gute Basisarbeit, die man dann später nicht durch Finanzspritzen reparieren muss, weil sie bereits im Vorfeld gut geleistet wurde. Wir sollten als Bund darüber hinaus auch sehr genau darauf schauen, ob alle laufenden Förderprogramme noch zeitgemäß sind.“ ... studierte Rechtswissenschaften in Greifswald. Er ist seit der Bundestagswahl 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages und der CDU/CSU-Fraktion. Unter anderem ist er Mitglied im Innenausschuss und seit 2021 Fachsprecher der Fraktion für Staatsorganisation und Staatsmodernisierung. Darüber hinaus ist Amthor stellvertretendes Mitglied im Rechtsausschuss und im Geschäftsordnungsausschuss des Deutschen Bundestages. Philipp Amthor ... ... ist SPD-Politikerin sowie Gründerin und Direktorin des Dezernats Zukunft – Institut für Makrofinanzen. Sie studierte Philosophie, Politikwissenschaften und VWL (PPE) in Oxford sowie Informatik in London. Nach beruflichen Stationen bei Welt- und Bundesbank begann sie 2018 ihre Arbeit im Bundesministerium der Finanzen. 2018 gründete sie mit drei Freunden die Denkwerkstatt „Dezernat Zukunft“. Dafür ist sie vom Forbes Magazin in die Liste der „30 unter 30“ für den Bereich Finanzen aufgenommen worden. Philippa Sigl-Glöckner ... ... ist seit Dezember 2021 Fraktionsvorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion. Nach dem Zivildienst studierte er Wirtschaftswissenschaften in Hannover. Von 2003 bis 2017 war Dürr Mitglied des Niedersächsischen Landtags, ab 2009 als FDPFraktionsvorsitzender. Seit 2017 war er stellvertretender Fraktionsvorsitzender und zugleich Leiter des Arbeitskreises der Fraktion für Haushalt und Finanzen sowie stellvertretendes Mitglied im Haushaltsausschuss und im Finanzausschuss. Christian Dürr ... ... ist seit Juni 2022 Finanzminister in NRW. Nach seinem Referendariat in Düsseldorf und Duisburg und dem zweiten juristischen Staatsexamen arbeitete er als Referent der CDU-Landtagsfraktion und beschäftigte sich mit den Themen Verkehr, Städtebau und Wohnungswesen sowie mit Haushalts- und Finanzpolitik. Von 2005 bis 2010 war er Büroleiter des Finanzministers. Danach arbeitete er bis 2012 als Gruppenleiter in der Haushaltsabteilung des Finanzministeriums NRW, bis er 2012 in den Landtag einzog. Dr. Marcus Optendrenk ... Mit Moderatorin Anke Plättner diskutierten ... ist seit 1. November 2020 Oberbürgermeisterin der Bundesstadt Bonn. Nach dem Studium der Politikwissenschaft, Linguistik und Neueren Deutschen Literaturwissenschaft sowie des Öffentlichen Rechts in Bonn, York und Edinburgh war sie von 2009 bis 2020 Mitglied des Deutschen Bundestages und ab 2013 stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Unter anderem war sie Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und stellvertretendes Mitglied in der Kinderkommission des Deutschen Bundestages. Katja Dörner ... Bezüglich der „Unternehmenskultur“ im öffentlichen Dienst wünschte sich Dürr, dass Beschäftigte jederzeit das Gefühl haben müssten, ihre Vorgesetzten hinter sich und ihren Entscheidungen zu wissen. „Öffentlicher Dienst funktioniert besser und effektiver, wenn die Fehlerkultur stimmt.“ Optendrenk: Aufgabenkritik für Kommunen Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen, betonte mit Blick auf den Investitionsstau des Staates, dass die Frage nach dem „starken Staat“ stets die Frage beinhalte, was eine Gesellschaft für wichtig halte. In der Debatte darum, in welchen Bereichen die Investitionen am dringendsten © Schafgans/Bundesstadt Bonn © Fionn Grosse © FDP © Team Amthor © CDU 14 FOKUS dbb magazin | Januar/Februar 2023
gebraucht würden, betonte Optendrenk, dass die Entscheidungen oft nicht in einem Entweder-oder aufgingen. So fehle es vielfach nicht unbedingt am Geld, sondern an Personal, oder die Struktur funktioniere nicht. Man müsse sich stets fragen, wie die Anreize richtig gesetzt werden könnten. „Die Zustimmung zur Demokratie beginnt vor Ort“, betonte der langjährige Kommunalpolitiker. Die Kommunen hätten in den letzten Jahren riesige zusätzliche Aufgaben übernommen. Er sprach sich für eine klare Beantwortung der Frage aus, wer was tun solle und welche Mittel und Personal er dafür brauche und woher diese Ressourcen kommen sollten. In puncto „Sondervermögen öffentlicher Dienst“ fragte der Minister, wofür es dann noch einen „normalen Haushalt“ geben solle. Die Gesellschaft brauche für die Bewältigung der anstehenden Aufgaben einen demografiefesten öffentlichen Dienst, in dem die Beschäftigten angemessen bezahlt würden. Dies würde in jedem öffentlichen Haushalt abgebildet. Ein Sondervermögen einzuführen, bedeutete, dass dieses auch wieder zurückgefahren werden könne, was kontraproduktiv sei angesichts der aktuellen Krisen, die dauerhaft nach einem handlungsfähigen, starken öffentlichen Dienst verlangten. Sigl-Glöckner: Föderale Hemmnisse auflösen Philippa Sigl-Glöckner, Direktorin und Geschäftsführerin vom finanz- und wirtschaftspolitischen Thinktank „Dezernat Zukunft“, thematisierte den Widerspruch „zwischen dem, was man denkt, und dem, was passiert“ in Sachen Investitionen. So herrsche grundsätzlich immer Konsens darüber, dass mehr in Bildung investiert werden müsse – nicht nur bei den Bürgerinnen und Bürgern, sondern auch seitens der Wissenschaft: „Frühkindliche Bildung hat den größten wirtschaftlichen Return, da brauchen Sie keinen Hedgefonds gründen“, so Sigl-Glöckner. Trotzdem werde viel mehr in Gebäude, Straßenbau und auch Entwicklungshilfe investiert. Aktuell habe man die monumentale Summe von 200 Milliarden Euro für Energie mobilisiert – „bei der Bildung, wo es um deutlich kleinere Beträge geht, finden wir bislang keinen Weg vom abstrakten Unterstützen zur konkreten Umsetzung“, kritisierte die Volkswirtschaftlerin. Denn bei allen anstehenden Herausforderungen, insbesondere beim Klimaschutz, seien gut ausgebildete Fachkräfte der entscheidende Gelingensfaktor. Vor allem der öffentliche Dienst brauche für die Gestaltung der Energiewende und des Klimaschutzes entsprechendes Personal. Bei der Organisation der Investitionsmittel sieht Sigl-Glöckner in den föderalen Strukturen durchaus Hemmnisse und plädiert dafür, die Gelder etwa beim Klimaschutz nicht in Gestalt von zu beantragenden Mitteln in Bundesfonds, sondern „mehr ‚performancebased‘“ bereitzustellen. Die Kommunen, die den Klimaschutz imWesentlichen zu gestalten hätten, sollten frei verfügen können, wofür und wie sie investieren – „sie sollen die jeweils vor Ort notwendigen Strukturen schaffen, bauen, kaufen und nicht Anträge für den Bund schreiben“, so Sigl-Glöckner. ada, br, ef, iba Paneldiskussion II Topthema Fachkräftegewinnung „Personalmangel im öffentlichen Dienst – wie schließen wir die Fachkräftelücke?“ war das Thema der ersten Podiumsdiskussion am 10. Januar 2023 auf der dbb Jahrestagung. Demografische Faktoren, Einkommensdefizite gegenüber der Wirtschaft und starre Hierarchien im öffentlichen Dienst waren ebenso Gegenstand reger Diskussionen wie „softe“ Faktoren, mit denen der Arbeitgeber Staat durchaus punkten kann, wenn es darum geht, die Zukunft der Personalentwicklung zu gestalten. Heidmeier: berufliche Bildung stärken Der Impulsvortrag kam von Matthias Heidmeier, Staatssekretär imMinisterium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen. Er verwies auf die Folgen des demografischen Wandels für den gesamten Arbeitsmarkt. So folgen derzeit auf 100 Personen, die altersbedingt aus dem aktiven Berufsleben ausscheiden, nur etwa 66 neue Beschäftigte nach. Heidmeier gestand ein, dass Politik auf das Thema „in einigen Bereichen vielleicht zu spät reagiert“ habe, stellte aber klar: „Heute ist Fachkräftegewinnung ein absolutes Topthema.“ Nordrhein-Westfalen plane gerade eine Fachkräfteoffensive, nicht nur für den öffentlichen Dienst. Denn es gebe beispielsweise auch im Handwerk im Land derzeit rund 80000 Menschen in Ausbildung, 1980 seien es noch 180000 gewesen. Eine Schlüsselmaßnahme gegen den Fachkräftemangel sieht Heidmeier in der Stärkung der beruflichen Bildung. Es gebe immer noch viel zu viele junge Menschen ohne Berufsabschlüsse, die über die Aufstiegschancen nach einer Ausbildung informiert werden müssten. Aber es gehe ummehr, so Heidmeier: „Letztlich muss die Bezahlung beim Handwerksmeister und beim Bachelorabsolventen gleichwertig sein.“ Kuzu: Arbeitskultur und Führung verbessern Daniela Kuzu, Beigeordnete und Ständige allgemeine Vertretung des Bürgermeisters der Fontanestadt Neuruppin in Brandenburg, verantwortet den Change-Management-Prozess der Stadt und berichtete aus der kommunalen Praxis. „Wir haben keinen Mangel“, freute sie sich. Derzeit seien 515 Mitarbeiter für Neuruppin tätig, sieben Stellen seien unbesetzt und davon lediglich eine seit FOKUS 15 dbb magazin | Januar/Februar 2023
mehr als sechs Monaten. Probleme bei der Personalgewinnung gebe es vor allem bei IT-Kräften und im Tiefbau. Neuruppins Strategie sei es, nun selber Ausbildungen und duale Studiengänge in diesen Bereichen anzubieten. „Wir müssen aber nicht nur Kräfte gewinnen, sondern auch halten“, erklärte Kuzu und betonte die Bedeutung von Arbeitskultur und Führungskräften: „Wer unfähige Führungskräfte hält, verliert fähige Beschäftigte!“ Um die Bedürfnisse der Beschäftigten besser zu verstehen und zu erfüllen, habe man gemeinsammit diesen in einem anderthalbjährigen Prozess ein Konzept für die Personalentwicklung erarbeitet. Ihr Wunsch: „Reden Sie nicht über die Mitarbeiter, sondern mit ihnen!“ Dercks: Der Mangel bleibt Dr. Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer, mahnte einen realistischen Blick auf die Lage an: „Unterm Strich müssen wir mit dem Fachkräftemangel umgehen und leben.“ Dabei säßen alle Branchen – ob öffentlicher Dienst, Handwerk, Industrie, Handel oder Dienstleistungen – in einem Boot. Für entscheidender als attraktivere Beschäftigungsbedingungen hält Dercks neue Lösungen, die er sich insbesondere aus dem Bereich der Digitalisierung erhofft. „Es ist eine Illusion zu glauben, dass man das dauerhafte Fehlen von mehr als zwei Millionen Fachkräften durch attraktivere Beschäftigungsbedingungen kompensieren kann. Wir müssen uns damit abfinden, dass wir weniger werden. Und das bedeutet, dass man zum Teil Aufgaben einfach wegfallen lassen muss – beispielsweise den Sachverständigen für Solaranlagen – oder eben bei bestimmten Verfahren KI einbinden und auch entscheiden lassen muss. Denn nur so können wir auch künftig sicherstellen, dass wir in den Bereichen, in denen wir Menschen brauchen, etwa in Bildung und Pflege, diese dann auch tatsächlich noch haben.“ Auch föderale Strukturen und Datenschutzvorschriften seien in vielen Bereichen sowohl für Staatsbedienstete als auch für Bürgerinnen und Bürger sowie Wirtschaft zu häufig Ärgernisse- und Hemmnisse und gehörten auf den Prüfstand, kritisierte Dercks und sprach sich auch für einen verstärkten Austausch zwischen öffentlichem Dienst und Privatwirtschaft aus. Bastians: Gesetzgebung nachhaltiger machen Dr. Uda Bastians, Beigeordnete und Leiterin des Dezernats Recht und Verwaltung beim Deutschen Städtetag, will dem Fachkräftemangel, der insbesondere im Ingenieurswesen und der IT sowie Pflege und Betreuung eklatant sei, unter anderem durch mehr Ausbildungskapazitäten im öffentlichen Dienst begegnen. „Wir ... ist seit 2004 stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) und seit 2005 Geschäftsführer der DIHK Service GmbH. Nach dem Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Köln und Paris promovierte er 1996. Von 1996 bis 2002 leitete er das Referat „Arbeitsmarkt, Soziale Sicherung“ der DIHK, danach bis 2004 das Büro für Präsidialangelegenheiten, Arbeitsmarkt und Gesellschaftspolitik. Von 2004 bis 2012 war Dercks Leiter des Bereichs „Kommunikation Gesellschaftspolitik“ der DIHK. Dr. Achim Dercks ... ... ist seit März 2019 Beigeordnete von Neuruppin und für den umfassenden Change-Management-Prozess in der Stadtverwaltung verantwortlich. Nach ihrem Diplomstudium der Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Internationales Recht an der Freien Universität Berlin und ihremMasterstudium im Konfliktmanagement an der Lancaster University arbeitete sie 13 Jahre unter anderem als Büroleiterin in Ghana und stellvertretende Büroleiterin in Istanbul für die Friedrich-Ebert-Stiftung. Daniela Kuzu ... ... ist seit Februar 2018 Beigeordnete beim Deutschen Städtetag und leitet das Dezernat Recht und Verwaltung. Vor ihrer Zeit beim Deutschen Städtetag sammelte die promovierte Juristin sowohl Erfahrungen auf Landesebene beim Landkreistag Brandenburg als auch auf Bundesebene beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Dr. Uda Bastians ... Über die Zukunft der Personalentwicklung diskutierten ... studierte Politikwissenschaft inMünster und ist seit Juni 2022 Staatssekretär imMinisterium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen. Neben Stationen bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Unternehmerverbandsgruppe Metall Ruhr-Niederrhein war er von 2003 bis 2011 als Leiter der Abteilung Politik und Kommunikation sowie Pressesprecher der CDU Nordrhein-Westfalen und von 2002 bis 2003 als politischer Referent für die CDU Hessen aktiv. Matthias Heidmeier ... © Land NRW/Ralph Sondermann © Privat © Pepe/Fontanestadt Neuruppin © Werner Schuering 16 FOKUS dbb magazin | Januar/Februar 2023
wollen zum Beispiel den Studiengang Verwaltungsinformatik aufstocken, denn an der Ausbildung darf es nicht scheitern; damit wir die Leute, die das machen wollen, auch in die Berufe bekommen.“ In diesem Zusammenhang sei auch Fachkräftezuwanderung unabdingbar. Junge Menschen für den öffentlichen Dienst zu begeistern, indemman Sinnhaftigkeit, Vielfalt und Perspektiven der Berufe herausstelle und dafür werbe, sei ebenfalls ein gangbarer Weg zu mehr Bewerberinnen und Bewerbern: „Wir müssen das viel mehr in die Gesellschaft tragen und dem Beamtenbashing entschieden begegnen.“ Ein weiterer Faktor für einen erfolgreichen öffentlichen Dienst seien durchdachte Gesetze, die nachhaltig wirken: „Bund und Länder machen Gesetze, betrachten die kommunale Ebene, wo die praktische Arbeit stattfindet, nur am Rande und wundern sich am Ende, dass das so nicht klappt. Wir bieten unsere kommunale Umsetzungskompetenz an, damit Gesetzgebung nachhaltiger wird, damit die umsetzenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort nicht unnötig verschlissen werden.“ Darüber hinaus werde der öffentliche Dienst von „zu vielen überflüssigen Regeln“ verkompliziert, was für ein hohes Innovationspotenzial durch Bürokratieabbau spreche. ada, br, ef, iba Paneldiskussion III Der ökologische Wandel ist das Schlüsselinvestment für die Zukunft Neben klimaneutralem Verwaltungshandeln muss auch das staatliche Krisenmanagement neu aufgestellt werden. So lautet das Fazit einer Debatte zum Thema „Energiesicherheit versus Klimakrise – welchen Beitrag kann der öffentliche Dienst leisten?“ auf der dbb Jahrestagung. Das wird nicht billig. Gerade deshalb müssen Investitionen in den Klima- und Bevölkerungsschutz als Schlüsselinvestment für die Zukunft betrachtet werden. Messner: Faktor-3-Geschwindigkeit nötig Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes (UBA), umriss in seinem Impuls, welche entscheidende Rolle dem öffentlichen Sektor bei der Transformation zur Klimaneutralität – die Deutschland bis zum Jahr 2045 erreichen will – zukommt. Zwar finde die Transformation zur Nachhaltigkeit primär in der Wirtschaft statt, aber „der öffentliche Dienst ist aufgefordert, die entsprechenden Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu schaffen – Regeln anpassen, Förderprogramme auflegen, die Kommunikation in die Gesellschaft sicherstellen“, erläuterte Messner. Zudemmüsse die Form der Arbeit beschleunigt werden – „auf demWeg zur Klimaneutralität brauchen wir Faktor-3-Geschwindigkeit, auch im öffentlichen Dienst“, machte der UBA-Chef unmissverständlich klar. Der öffentliche Sektor müsse seine Rolle als Motor und Gestaltungskraft der ökologischen Transformation unmittelbar wahrnehmen. Ebenso sei der Staatsdienst aufgefordert, seine eigenen Institutionen, Infrastrukturen, Flotten und Mobilitätslösungen klimaneutral zu gestalten – „und zwar nicht selektiv, sondern flächendeckend“. Messner weiter: „Es braucht systematische Konzepte und Strategien für Nullemissionen öffentlicher Gebäude, Mobilität und Prozesse. Das Umweltbundesamt hat hierzu Methoden und Leitfäden entwickelt, die jetzt zur Anwendung kommen müssen.“ Auch als volkswirtschaftlicher Akteur habe der öffentliche Sektor eine wesentliche Gestaltungsmacht bei der Klimawende, betonte der international renommierte Nachhaltigkeitsforscher. „Wer regelmäßig 20 Prozent der wirtschaftlichen Gesamtnachfrage geDr. Achim Dercks, Daniela Kuzu, Matthias Heidmeier (zugeschaltet), Moderatorin Anke Plättner und Dr. Uda Bastians (von links) © Marco Urban FOKUS 17 dbb magazin | Januar/Februar 2023
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