dbb magazin 1-2/2023

gezeigt, dass der Staat zumindest in Teilen nicht mehr als stark, stabil, wehrhaft, handlungsfähig und auf der Höhe der Zeit agiere. Das Grundmotiv der Gesellschaft, Sicherheit für die Bürger, vor allem auch für die Bediensteten dieses Staates, sei bei den Ausschreitungen nicht gegeben gewesen und habe die Exekutive am Rande ihrer Handlungsfähigkeit gezeigt. „Nie erscheint der Staat angreifbarer, wenn er die eigenen Leute nicht schützen kann“, so der Jurist und Politikwissenschaftler. Von Lucke stellte die Frage, ob sich die Gesellschaft längst an diesen Zustand gewöhnt habe? Seit einigen Jahren würden alle Krisen auf die Verwaltungsebene nach unten durchgereicht. Diese solle erlassene Gesetze konkret durchsetzen, sei damit jedoch völlig überfordert. „Der gute Wille des Staates ist zu erkennen, aber er ist nicht handlungsfähig.“ Auch das Beispiel der Coronaimpfpflicht, die nicht durchgesetzt werden konnte, habe gezeigt, wie der Staat an die Grenze seiner Handlungsfähigkeit komme. Als Ursache für die schwierige Lage des Staates identifizierte von Lucke die „Nichtexistenz von Staatsbürgerbewusstsein“. Ursprünglich lautete das Versprechen selbst eines autokratischen Staates, der Garant der Sicherheit der Bürger zu sein. Das Bewusstsein moderner Staatsbürgerinnen und Staatsbürger – „l’état, c’est nous“ („der Staat sind wir alle“) – sei in den letzten Jahrzehnten unter die Räder geraten. Das Untertanenbewusstsein des Deutschen Kaiserreiches sei inzwischen in sein Gegenteil umgeschlagen. Von Lucke zeichnet die Liberalisierungsbewegung von den Studentenunruhen des Jahres 1968, über Willy Brandts Versprechen, mehr Demokratie zu wagen, den Mauerfall und die Globalisierung bis hin zur Maxime „Privat vor Staat“ der 90er-Jahre nach. All das habe zu einem Verfall des staatsbürgerlichen Bewusstseins geführt. Wutbürger, Reichsbürger anerkennten nur noch das eigene Ego als Maßstab, viele Menschen stellten mit ihren zunehmend radikaleren Protestformen den Staat grundsätzlich infrage, so von Lucke und empfahl als „Ausweg“ eine breite Debatte zur Frage, wann und in welchemMaße dem Staat Respekt geschuldet werde? Die Sichtbarkeit des Staates müsse vor allem an Brennpunkten vergrößert, die politische Bildung vor allem in der Schule verbessert werden. Es brauche mehr personelle und materielle Mittel sowie eine „geistig-moralische Wende“ im Verhältnis vom Öffentlichen und Privaten. Der Staat brauche eine Generalüberholung, und dafür seien schlicht Steuererhöhungen vonnöten, erklärte von Lucke. Wenn in die öffentlichen Angelegenheiten investiert werde, dann bedeute das für privaten Konsum einen gewissen Rückschritt. Für einen starken Staat aber müsse eine Debatte geführt werden, was die Demokratie den Menschen wert sei. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst, hat auf der dbb Jahrestagung die Bedeutung einer leistungsfähigen öffentlichen Verwaltung für die Wirtschaft betont. Er machte in seinem Grußwort deutlich, welche große Verantwortung dem Staat und dem öffentlichen Dienst in den aktuellen Mehrfachkrisen zukommt. Insbesondere mit Blick auf die Folgen des Ukraine-Kriegs und die Versorgung von Flüchtlingen sei auf die Kommunen und den öffentlichen Dienst stets Verlass. „Das macht mich sehr, sehr dankbar. Wir haben diesen starken Staat – weil er auch in der Krise verlässlich ist, weil er einen sicheren Rahmen bietet“, betonte der Regierungschef des Landes Nordrhein-Westfalen. Umso bestürzter zeigte sich Wüst angesichts der gewalttätigen Ausschreitungen in der Silvesternacht. Die Bediensteten hätten ein Recht auf Unversehrtheit: „Angriffe auf Einsatz- und Rettungskräfte sind vollkommen inakzeptabel. Gewalt gehört weder zum Feiern noch zum Demonstrieren, daran dürfen wir uns in diesem Land nicht gewöhnen.“ Auch mit Blick auf den Klimawandel und seine Folgen, die bereits jetzt durch Überflutungen wie etwa im Ahrtal und Waldbränden nach Dürreperioden sichtbar würden, müsse Deutschland besser werden. Es gehe vor allem darum, „Klimaschutz zu schaffen und gleichzeitig Wohlstand zu erhalten“. Diese Aufgabe könne nur gelingen, wenn ein starker öffentlicher Dienst dabei auch eine zentrale Rolle spiele, zeigte sich Wüst überzeugt. „Um etwa den Umbau hin zur klimaneutralen Anlage in der Industrie zu meistern, brauchen wir eine deutliche Beschleunigung der Genehmigungsverfahren. Dazu braucht man Beschäftigte, die fachlich auf der Höhe sind und einen innovativen öffentlichen Dienst auf der Höhe der Zeit.“ Um die hierfür dringend benötigten Nachwuchskräfte zu mobilisieren, habe man in NRW eine Modernisierungsoffensive in enger Abstimmung mit Gewerkschaften und Beschäftigten gestartet. Neben der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie stehe dabei die Digitalisierung der Verwaltung im Fokus: „Wir müssen jetzt dranbleiben und erheblich zulegen. Das ist auch eine Frage der Attraktivität des Staates als Arbeitgeber.“ ada, bas, br, ef, iba „Angriffe auf Einsatz- und Rettungskräfte sind vollkommen inakzeptabel.“ Hendrik Wüst Reges Medieninteresse an den Inhalten der Jahrestagung im Pressebereich 12 FOKUS dbb magazin | Januar/Februar 2023

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