MEINUNG Öffentliche Infrastruktur Handlungsunfähig durch Überregulierung Eigentümerinnen und Eigentümer von Wohnungen und Häusern wissen: Regelmäßige Investitionen in die Immobilie sind wichtig. Das verursacht zwar kurzfristig Kosten, sorgt aber dafür, dass Wohnung oder Haus „in Schuss“ bleiben, was wiederum eine Voraussetzung für den Werterhalt des Objekts ist. Eigentlich ein einfacher und einleuchtender Zusammenhang. Schaut man sich aber den Zustand der öffentlichen Infrastruktur an, keimt schon auf den ersten Blick in vielen Fällen die bittere Erkenntnis: Da wurde jahre-, bisweilen jahrzehntelang nicht oder kaum investiert, wurde sehenden Auges auf Verschleiß gefahren. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund schätzt, dass der kommunale Investitionsstau inzwischen eine Größenordnung von 150 Milliarden Euro erreicht hat. Der mit Abstand größte Nachholbedarf besteht bei der Straßen- und Verkehrsinfrastruktur sowie bei den Schulen. Nun ist es nicht so, dass es hier ein Erkenntnisproblem gibt: Politiker aller Parteien werden nicht müde zu betonen, wie wichtig ein guter Zustand von Straßen und Brücken für Wirtschaft und Gesellschaft ist, dass die Zukunft unserer Kinder nicht zuletzt von Schulen abhängt, die nicht nur auskömmliche Räumlichkeiten aufweisen, sondern auch den heutigen (und künftigen) Erfordernissen entsprechend mit Materialien und Technik ausgestattet sind. In beiden Bereichen – und nicht nur dort – hinkt die Realität solchen Erkenntnissen jedoch meilenweit hinterher. Offensichtlich besteht also ein Umsetzungsproblem. Der naheliegende Lösungsvorschlag dafür lautet: mehr Geld. Das ist sicher richtig. Vielen Städten und Gemeinden fehlt schlicht die notwendige Finanzkraft, um selbst dringend notwendige Investitionen stemmen zu können. Ein Beispiel: Meine Heimatstadt Ludwigshafen, die zweitgrößte Stadt in Rheinland-Pfalz, drückt inzwischen ein Schuldenberg von rund 1,5 Milliarden Euro, was einer Pro-Kopf-Verschuldung von knapp 8 500 Euro entspricht. Unter solchen Umständen ist gestaltende Politik kaum noch möglich, klingt die Formel von der kommunalen Selbstverwaltung nur noch hohl, weil schlicht kein Geld mehr da ist. Glücklicherweise ist die Finanzlage nicht überall derart desolat. Und in den vergangenen Jahren, als die Steuereinnahmen kräftig sprudelten, konnten viele Kommunen ihre Schulden abbauen, gar Überschüsse erzielen, verfügten also über Mittel zum Investieren. Damit aber dürfte es vorerst vorbei sein. Schon die Coronakrise war für die Kommunen ein finanzieller Schlag ins Kontor. Nun steigen seit Monaten nicht nur die Energiepreise exorbitant. Private und öffentliche Bauherren bekommen auch die massiven Kostensteigerungen für alle möglichen Produkte und Dienstleistungen zu spüren – während zugleich die Kreditzinsen kräftig nach oben gehen. Die Folge: Es wird, öffentlich wie privat, weniger investiert. Das liegt aber nicht immer nur am fehlenden Geld. Dafür verantwortlich sind häufig auch Planungs- und Genehmigungsverfahren, die gefühlt eine Ewigkeit dauern. Ein Grund dafür ist, dass es bei den zuständigen Stellen vielfach an ausreichendem Personal mangelt, um Anträge zügig zu bearbeiten. Zumindest gelindert werden könnte das Problem, wenn es gelänge, den Dschungel von Paragrafen, Verordnungen und Regeln, denen sich Investoren wie auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den zuständigen Behörden und Verwaltungen gegenübersehen, ein Stück weit zu lichten. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass immer neue Vorschriften nicht nur das Werk regulierungswütiger Bürokraten und Politiker sind. Auch wir Bürgerinnen und Bürger tragen unseren Teil dazu bei. Zum einen, weil bei jedem Projekt der Anspruch gestellt wird, auch noch das kleinste Restrisiko auszuschließen. Zum anderen, weil wir zwar alle für neue, bessere Infrastruktur sind – aber nur, wenn dadurch unser persönliches Wohlbefinden nicht tangiert wird. So aber stoßen viele Projekte und Investitionen, zumal in einem vergleichsweise dicht besiedelten Land wie Deutschland, ganz schnell an kaum zu überwindende Grenzen. Planer von Verkehrswegen, Windkraftanlagen und anderen Infrastrukturvorhaben können ein Lied davon singen. Durch eine „perfektionistische Überregulierung“ sei der Staat in vielen Bereichen „fast schon handlungsunfähig“ geworden, attestierte der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble kürzlich unserem föderalen System – dem ist schwer zu widersprechen. Ralf Joas Model Foto: PetraD/Colourbox.de Dr. Ralf Joas ist stellvertretender Leiter des Ressorts Politik, Wirtschaft und Zeitgeschehen der Rheinpfalz. Der Autor ... 26 FOKUS dbb magazin | Januar/Februar 2023
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