dbb magazin Fachkräfte | Traumjob im öffentlichen Dienst? Vorgestellt | Netzwerk Junge Bürgermeister*innen Bundesdisziplinargesetz | Gesetzesänderung könnte Verfahren verlängern 3 | 2023 Zeitschrift für den öffentlichen Dienst
STARTER Mit modernen Jobprofilen gegen die Personalkrise Das Beratungs- und Marktforschungsunternehmen Trendence rankt jährlich die beliebtesten Arbeitgeber. Auch im Jahr 2022 standen dort die Platzhirsche Google, Apple und Amazon auf den ersten Plätzen, gefolgt von Automobilherstellern und anderen großen Konzernen. Interessant ist, dass sich zum Beispiel bei Hochschulabsolventen aus dem IT-Bereich und bei Beschäftigten mit Berufserfahrung in der IT auch der öffentliche Dienst großer Beliebtheit erfreut. So finden sich das Bundesamt für Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst und das Statistische Bundesamt neben anderen öffentlichen Arbeitgebern auf der Liste wieder. Kriterien für eine Karriere dürften dort weniger die maximal zu erzielenden Einkommen sein, sondern weiche Faktoren wie geregelte Arbeitszeiten, Jobsicherheit und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die öffentliche Hand wird auch in Zukunft nicht vergüten können wie Google, Apple und Co. Daher gilt es jetzt umso mehr, das Image des öffentlichen Dienstes als Sinnstiftenden, sicheren und vor allem familienfreundlichen Arbeitgeber zu schärfen. Denn je mehr Fachkräfte sich für einen Job im öffentlichen Dienst entscheiden, desto schneller kann er seine Personalkrise überwinden. Dafür muss er noch aktiver werben, sich weiter konsequent modernisieren und seine Beschäftigten motivieren. Denn berufliche Höchstleistungen werden heute mehr denn je in modernen Arbeitsumfeldern erbracht. br 19 4 TOPTHEMA Fachkräftegewinnung 28 AKTUELL EINKOMMENSRUNDE 2023 Mogelpackung verschärft Arbeitskampf 4 Bundesweite Warnstreiks und Proteste 5 NACHRICHTEN 8 FOKUS PERSONALPOLITIK Recruiting – TikTok, Instagram & YouTube: der öffentliche Dienst in Social Media 10 Personalgewinnung in Zeiten des Fachkräftemangels: Organisationskultur und fähige Führungskräfte sind Schlüssel zum Erfolg 12 Lehrkräftemangel: Kreative Ideen für den ländlichen Raum 16 VORGESTELLT Netzwerk Junge Bürgermeister*innen: Frischer Wind für die Kommunen 18 NACHGEFRAGT … bei Michael Salomo, Netzwerk Junge Bürgermeister*innen 19 MEINUNG Personalpolitik: Bewegt euch und gestaltet! 21 EUROPA Europäische Antworten auf den Fachkräftemangel: Wenn die Ressource Mensch knapp wird 24 ONLINE Clean IT: Mehr Energieeffizienz durch nachhaltige Entwicklung 26 INTERN BEAMTENPOLITIK Novelle des Bundesdisziplinargesetzes: Gesetzesänderung könnte Verfahren verlängern 28 FRAUEN Arbeitsmarktpolitik: Potenziale der Frauen besser nutzen 32 JUGEND Azubis und Anwärter: Junge Beschäftigte brauchen Rückendeckung 33 SENIOREN Gespräch mit der Bundespflegebeauftragten: „Pflege muss neu gedacht werden“ 36 KOMPAKT GEWERKSCHAFTEN 42 Model Foto: Motortion/ Colourbox.de 24 AKTUELL 3 dbb magazin | März 2023
Einkommensrunde 2023 Mogelpackung verschärft Arbeitskampf Der dbb muss den Arbeitskampf im Zuge der laufenden Einkommensrunde für die Beschäftigten von Bund und Kommunen in den kommenden Wochen intensivieren. Das ist das ernüchternde Ergebnis der zweiten Verhandlungsrunde vom 22. Februar 2023 in Potsdam. Der Bund und die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) hatten ein Tarifangebot unterbreitet, das für die Beschäftigten Reallohnverlust bedeutet hätte. Im Kern sieht das Arbeitgeberangebot Einkommenserhöhungen von insgesamt fünf Prozent bei einer Laufzeit von 27 Monaten sowie Inflationszahlungen vor, die nicht linear wirken. Mindestbeträge soll es nicht geben. „Bund und Kommunen sind offenbar weiterhin nicht wirklich an einem Abschluss interessiert“, kritisierte dbb Chef Ulrich Silberbach: „Vor allem die VKA spricht zwar von einem ‚überzeugenden Gesamtpaket‘, will uns aber letztlich eine unfaire Mogelpackung unterjubeln. So verhindert man weder die drohenden Reallohnverluste der Beschäftigten – vor allem in den unteren Einkommensgruppen – noch wird man den Anforderungen an einen konkurrenzfähigen öffentlichen Dienst gerecht.“ Besonders ärgerlich sei, dass die Kommunen weiter versuchten, ihre strukturellen finanziellen Probleme in Tarifverhandlungen zu lösen. „Das ist aber definitiv der falsche Ort“, machte Silberbach deutlich. „Eine bessere finanzielle Ausstattung müssen die Kommunen gegenüber Bund und Ländern durchsetzen. In diesem Kampf würden wir die VKA sogar unterstützen. Da sie aber versuchen, ihre Haushaltssanierung durch den Griff in die Taschen unserer Kolleginnen und Kollegen zu erreichen, wird sich dieser Tarifkonflikt deutlich verschärfen. Die von der bevorstehenden Ausweitung unserer Warnstreiks betroffenen Bürgerinnen und Bürger können wir nur jetzt schon um Verständnis bitten, aber verantwortlich für diese Zuspitzung sind allein Bund und VKA.“ Silberbach zeigte sich auch darüber enttäuscht, dass die Arbeitgeber keine Gelegenheit auslassen, den Gewerkschaften vorzuwerfen, alte Rituale zu pflegen. „Wenn die Arbeitgeber schnelle und effektive Verhandlungen wollen, so ist das mit uns jederzeit möglich. Unsere Forderungen sind seit Mitte Oktober bekannt. Die VKA schiebt jetzt, vier Monate später, Forderungen nach. Wenn das nicht dem Ritual des Zeitspiels dient, hätte sie das auch schon vor Wochen einbringen können.“ Diese Bewertung teilte auch die Verhandlungskommission des dbb. „Damit wir Ende März zur entscheidenden dritten Verhandlungsrunde ein gutes Ergebnis bekommen, müssen wir den Arbeitskampf weiter intensivieren – in allen Bereichen und allen Regionen“, forderte dbb Tarifchef Volker Geyer von den Mitgliedern der Verhandlungskommission. „In den nächsten Wochen müssen wir noch mal zulegen. Bund und VKA reden viel und bieten wenig. Das müssen wir ändern, bundesweit, lautstark und nachdrücklich.“ Ihren Unmut über das unzureichende Tarifangebot bekundete auch die Vorsitzende der dbb bundesfrauenvertretung und stellvertretende dbb Bundesvorsitzende Milanie Kreutz: „Rund die Hälfte der Beschäftigten im öffentlichen Dienst sind Frauen, im Kommunalbereich liegt ihr Anteil sogar deutlich über 60 Prozent. Wenn sie jetzt nach drei Jahren Pandemie-Stresstest im Job und daheimmit Aussicht auf weitere Jahrhundertherausforderungen wie Bildungsnotstand, Pflegekrise, Migration und Klimawende sagen‚ genug ist genug‘, dann ist das Maß auch wirklich voll.“ Der Vorsitzende der dbb jugend bund, Matthäus Fandrejewski, ergänzte: „Die Hütte im öffentlichen Dienst brennt lichterloh – eklatanter Personalmangel, wo man nur hinschaut, überall ein krasses Missverhältnis zwischen Aufgaben, Besetzung und Ausstattung, und die Arbeitgeber treten hier weiterhin mit zugenähten Hosentaschen auf, als ginge sie das alles nichts an! Diese zukunftsfeindliche Betonpolitik ist Gift für die Personalgewinnung und das Image des öffentlichen Dienstes, darüber müssen sich die Verantwortlichen beim Bund und bei der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber im Klaren sein.“ ■ Vielsagendes Minenspiel zum Ende der zweiten Verhandlungsrunde: Der Tarifkonflikt verschärft sich und birgt einiges an Sprengstoff. Protest vor dem Verhandlungsort in Potsdam: dbb Fachvorstand Tarifpolitik sprach zu den Demonstrierenden. dbb Verhandlungsführer Ulrich Silberbach stand der Presse Rede und Antwort. © FriedhelmWindmüller (3) EKR 2023 4 AKTUELL dbb magazin | März 2023
Einkommensrunde Bund und Kommunen Bundesweite Warnstreiks und Proteste Nach der ergebnislos vertagten ersten Runde der Tarifverhandlungen für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen hat der dbb bundesweit mit Warnstreiks, Kundgebungen und Demonstrationen gegen die Verweigerungshaltung der Arbeitgeberseite protestiert. Das klare Signal: Die Kolleginnen und Kollegen erwarten angemessene Einkommenserhöhungen und sind bereit, dafür zu kämpfen. Zum Auftakt der Protestwelle hatten sich am 25. Januar 2023 Bundespolizistinnen und Bundespolizisten vor dem Bundesinnenministerium (BMI) in Berlin zu einer spontanen Demonstration versammelt. „Gerade die Kolleginnen und Kollegen der Bundespolizei, die immer wieder den Kopf für diesen Staat hinhalten, erwarten von Innenministerin Nancy Faeser im Gegenzug Respekt und Anerkennung, nicht nur in Worten, sondern auch in barer Münze“, sagte Heiko Teggatz, Bundesvorsitzender der DPolG Bundespolizeigewerkschaft und dbb Vize. dbb Tarifchef Volker Geyer kündigte für die Wochen bis zur zweiten Verhandlungsrunde überall im Land Protestaktionen und Warnstreiks an: „Das ist der von den Arbeitgebern erzwungene nächste Schritt. Für die von Warnstreiks betroffenen Bürgerinnen und Bürger tut es uns leid, aber wir müssen den Arbeitgebern jetzt klarmachen, dass warme Worte nicht reichen.“ Parallel hatten sich Mitglieder des BDZ in Ulm zu einer aktiven Mittagspause getroffen, um ihre Solidarität mit den Forderungen des dbb zu bekunden. Am 26. Januar waren erste Warnstreiks in niedersächsischen Kommunen angelaufen. Aktionsschwerpunkte waren unter anderem die Städte und Landkreise Lüneburg, Peine, Salzgitter und Wesermarsch sowie die Entsorgungsbetriebe Göttingen und der Baubetriebshof Buchholz. Wertschätzung eingefordert In Aachen streikten mehrere Hundert in der komba gewerkschaft organisierte Beschäftigte am 27. Januar. Andreas Hemsing, Bundesvorsitzender der komba gewerkschaft und stellvertretender dbb Bundesvorsitzender, unterstrich: „Der Druck auf die Arbeitgeber muss jetzt wachsen. Daher stehen die Zeichen nicht nur in Aachen auf Streik.“ Aachen, 27. Januar Flughafen Frankfurt, 17. Februar © FriedhelmWindmüller © Daniela Mortara AKTUELL 5 dbb magazin | März 2023
Beschäftigte des Hauptzollamts und der Generalzolldirektion trafen sich am 30. Januar 2023 in Münster zu einer aktiven Mittagspause. Adelheid Tegeler, Mitglied der dbb Bundestarifkommission und stellvertretende BDZ-Bundesvorsitzende, kritisierte die Haltung der Arbeitgeberseite. In der derzeitigen Situation seien die Blockaderituale eine Anmaßung und führten zu noch mehr Unmut bei den Kolleginnen und Kollegen des Zolls. Auch in Nürnberg kam es am 31. Januar zu Protesten. Beschäftigte der Bundesagentur für Arbeit (BA) demonstrierten vor der Behördenzentrale. Mit ihnen hatten rund 700 Beschäftigte ihre Arbeit im Zuge eines ganztägigen Warnstreiks niedergelegt. Für den Haustarifvertrag der BA ist der TVöD richtungsweisend, die Ergebnisse werden auch auf die dortigen Beschäftigten übertragen. Der Bundesvorsitzende der vbba – Gewerkschaft Arbeit und Soziales, Waldemar Dombrowski, forderte eine deutliche Anhebung der Einkommen: „Klar ist, dass die Tarifverhandlungen nur der erste Schritt zu mehr Gerechtigkeit sein können. In einem zweiten Schritt müssen die Ergebnisse dann ohne Abstriche auf die Besoldung und Versorgung des Bundes übertragen werden.“ Gesundheitsbereich an der Belastungsgrenze Beschäftigte aus dem Gesundheitsbereich in Niedersachsen demonstrierten am 1. Februar an verschiedenen Klinikstandorten. Vor dem AWO Psychiatriezentrum in Königslutter forderte der erste Vorsitzende der GeNi – Gewerkschaft für das Gesundheitswesen, Jens Schnepel, mehr Wertschätzung für das Pflegepersonal: „Wieder bleibt ein Signal der Anerkennung durch die Arbeitgeber für die belastenden Tätigkeiten im Krankenhaus aus! Unsere täglichen Herausforderungen werden erschwert durch Personalmangel, zu niedrige Bezahlung und eine geringe Wertschätzung unserer Tätigkeit!“ Beschäftigte der DRV Bund-Kliniken Franken und Auental in Bad Steben sowie der DRV Nord in Lübeck hatten sich ebenfalls an Protestaktionen beteiligt. Aus Sicht des GdS-Bundesvorsitzenden Maik Wagner ist der Protest der Beschäftigten dringend geboten: „Vor der zweiten Verhandlungsrunde müssen wir Bund und Kommunen klarmachen, dass sie so mit den Leuten nicht umgehen können. Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die gerade jetzt durch Inflation und Energiekrise finanziell am Abgrund stehen.“ Beschäftigte trugen am 7. Februar in Flensburg ihren Protest auf die Straße. Der stellvertretende Landesvorsitzende und Fachvorstand für Tarifrecht der komba schleswig-holstein, Lothar Christiansen rief den Demonstrierenden zu: „Die Coronapandemie hat unseren Kolleginnen und Kollegen in der kommunalen Daseinsvorsorge deutlich vor Augen geführt, dass Klatschen allein kein Ausdruck von Wertschätzung ist. Wir brauchen einen dauerhaften Inflationsausgleich, und zwar jetzt!“ Daseinsvorsorge stärken Auf einer Demo mit Warnstreik am 9. Februar in Fulda sagte der Vorsitzende des dbb Hessen, Heini Schmitt, dass ein leistungsfähiger öffentlicher Dienst für das Gemeinwesen unabdingbar sei: „Gerade in den Kommunen erleben die Bürgerinnen und Bürger ganz direkt, ob sie sich auf den Staat verlassen können. Wenn Nürnberg, 31. Januar Frankfurt amMain, 14. Februar Königslutter, 26. Januar Ansbach, 16. Februar © FriedhelmWindmüller © Jan Brenner © FriedhelmWindmüller © FriedhelmWindmüller 6 AKTUELL dbb magazin | März 2023
Ausführliche Berichte und Fotos zu allen Warnstreiks, Demos und Aktionen im Internet: dbb.de/einkommensrunde Info Daseinsfürsorge – von der Abfallwirtschaft über das Bürgeramt bis zur Kita – hier vor Ort nicht funktioniert, schwindet das Vertrauen der Menschen.“ Beschäftigte der Arbeitsagentur (BA) und der Jobcenter im Saarland traten am 14. Februar 2023 in einen ganztägigen Warnstreik. „Die Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst bekommen ständig neue Aufgaben von der Politik übertragen. Bei der BA und in den Jobcentern musste beispielsweise zuletzt im Hauruckverfahren die Bürgergeld-Reform gestemmt werden. Aber in das Personal wird viel zu wenig investiert“, kritisierte dbb Landeschef Ewald Linn bei der Kundgebung in Saarbrücken. Ebenfalls am 14. Februar protestierten Beschäftigte von Zoll und Bundespolizei in Frankfurt amMain. Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, ließ keinen Zweifel daran, dass die Beschäftigten es ernst meinen: „Was die Arbeitgeberseite betreibt, ist grobe Missachtung der Beschäftigten und skandalöser Verhandlungsboykott, das werden wir uns nicht bieten lassen! Wir kommen nicht nach Potsdam, um Kaffee zu trinken oder Plätzchen zu knabbern. Wir wollen Ergebnisse erzielen, und zwar möglichst rasch!“ Zivile Beschäftigte der Bundeswehrverwaltung haben am 15. Februar in Niedersachsen, Baden-Württemberg und Hamburg für höhere Einkommen protestiert und Warnstreiks durchgeführt. Organisiert wurden die Proteste von der dbb Mitgliedsgewerkschaft Verband der Arbeitnehmer der Bundeswehr (VAB). Thomas Zeth, stellvertretender Bundesvorsitzender des VAB und Mitglied in der Geschäftsführung der dbb Bundestarifkommission, sagte bei einer Kundgebung vor der Robert-Schuman-Kaserne in Müllheim bei Freiburg: „Wir erfahren täglich am eigenen Leib, wie sich Fachkräftemangel auswirkt. Die Bewerberzahlen für die Zivilberufe bei der Bundeswehr sind um 30 Prozent zurückgegangen. Mehr als 60 Prozent der aktiven Beschäftigten sind über 50 Jahre alt. Das bedeutet Arbeitsverdichtung bis an die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit.“ Nachwuchs gewinnen Weitere Demos, Aktionen und Warnstreiks fanden in München, Nürnberg, Berlin, Frankfurt amMain, Neuburg an der Donau und Ansbach statt, wo Matthäus Fandrejewski, Vorsitzender der dbb jugend, auf die schwierige Nachwuchsgewinnung hinwies: „Der Fachkräftemangel ist schon heute überall spürbar. Dabei fehlen dem Staat schon jetzt 360000 Beschäftigte. In dieser Situation sollten Frau Faeser und Frau Welge den jungen Menschen ein Signal der Wertschätzung senden – statt sie mit ihrer Blockadehaltung einmal mehr vor den Kopf zu stoßen.“ ■ Fulda, 9. Februar © Daniela Mortara © FriedhelmWindmüller
NACHRICHTEN Flucht und Migration Dauerhaft tragfähige Lösungen nötig Die anhaltenden Krisen der Welt erfordern nach Auffassung des dbb zukunftsfähige Konzepte für die Aufnahme geflüchteter Menschen. Flucht und Migration werden uns in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weiter beschäftigen. Deswegen müssen beim Flüchtlingsgipfel von Bund, Ländern und Kommunen endlich dauerhaft tragfähige Lösungen gefunden werden“, forderte der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach mit Blick auf den Flüchtlingsgipfel der Bundesregierung am 16. Februar 2022. „Fragen der Infrastruktur von Unterkünften gehören ebenso wie die Finanzierung und der Umgang mit abgelehnten Asylbewerbern und straffällig gewordenen Menschen aus dem Ausland auf die Tagesordnung“, erklärte der dbb Chef. Silberbach kritisierte den „Verschiebebahnhof der Verantwortungslosigkeit“ zwischen den Gebietskörperschaften. „Der Bund als einzige unmittelbar für die Zahl und die Aufenthaltsdauer von Migrantinnen und Migranten zuständige Instanz muss damit aufhören, die Kommunen immer wieder mit fadenscheinigen Ablenkungsmanövern abzuwimmeln.“ Das Bundeskanzleramt verweise das Problem ans Bundesinnenministerium, das aber in Finanzierungsfragen überhaupt nicht handlungsfähig sei. Gleichzeitig teile der Bundesfinanzminister mit, dass es keine stärkere Beteiligung des Bundes für fluchtbedingte Kosten geben werde. „Was soll dieses Wegducken? Damit signalisiert die Bundesregierung insbesondere den Beschäftigten in den Kommunalverwaltungen, die ohnehin schon seit Jahren auf dem Zahnfleisch gehen und nach Coronakrise, Inflationsbewältigung und Energiewende nun auch noch Hunderttausende Menschen mehr managen sollen, dass ihr der tägliche Wahnsinn vor Ort vollkommen egal ist. Was die Kolleginnen und Kollegen davon halten, dürfte deckungsgleich mit dem Unmut der Bürgerinnen und Bürger sein, der von Tag zu Tag wächst“, warnte der dbb Chef. Es brauche jetzt „einen nationalen Kraftakt, eine konzertierte Aktion von Bund, Ländern und Kommunen, um die migrationspolitische Herausforderung ein für allemal in kontrollierte, finanziell und infrastrukturell gesicherte Bahnen zu lenken.“ ■ Autobahn GmbH Tarifabschluss gibt Beschäftigten Sicherheit Nach einem ungewöhnlichen Verhandlungsverlauf hat der dbb am 17. Februar 2023 ein gutes Tarifergebnis für die Beschäftigten der Autobahn GmbH erzielt. ImOktober 2022 hatten die Arbeitgebenden der Autobahn GmbH die ursprünglich bereits im September verhandelte Tarifeinigung überraschend widerrufen und wesentliche Teile der Einigung infrage gestellt. „Nach einer Reihe von Verhandlungen ist es uns nun gelungen, eine gute Lösung für die Beschäftigten durchzusetzen, die in weiten Teilen dem entspricht, was zuvor angestrebt worden war“, kommentierte dbb Tarifchef Volker Geyer den Abschluss. Wesentlicher Unterschied der neu getroffenen Einigung sei, dass anstelle der ursprünglich angedachten höheren Eingruppierung von Fahrerinnen und Fahrern von Großgeräteträgern nun eine Zulage zugunsten dieser Beschäftigten vereinbart worden sei. Mit der Einigung sei ein weiterer Baustein für wettbewerbsfähige Arbeitsbedingungen bei der Autobahn GmbH gelegt worden, unterstrich der stellvertretende dbb Bundesvorsitzende: „Es ging uns neben den materiellen Punkten insbesondere darum, einer Verunsicherung der Beschäftigten im Hinblick auf die Zuverlässigkeit der Autobahn GmbH als Arbeitgebende vorzubeugen. Jetzt hat die GmbH verstanden, dass die großen Herausforderungen bei der Instandhaltung und dem Ausbau des Netzes nur zu bewältigen sind, wenn sie auch weiter auf motivierte und engagierte Beschäftigte zählen kann. Der Schlüssel hierfür liegt bei der Arbeitgeberseite“, so Geyer. Auch die nach wie vor dringend notwendige Neugewinnung von qualifiziertem Personal könne nur gelingen, wenn es die Autobahn GmbH schaffe, sich auch im Vergleich mit der Privatwirtschaft als wettbewerbsfähige und attraktive Arbeitgeberin zu positionieren. „Hierzu sind allerdings noch weitere Schritte notwendig.“ Die vereinbarten Neuregelungen greifen weitgehend rückwirkend zum 1. Januar 2023. Die Einigung umfasst zahlreiche strukturelle Maßnahmen, darunter die Erhöhung von Zulagen und verbesserte Arbeitszeitregelungen. ■ Foto: Erich/Colourbox.de 8 AKTUELL dbb magazin | März 2023
Jahreswirtschaftsbericht 2023 Verhaltener Optimismus trotz globaler Gefahren Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat am 25. Januar den Jahreswirtschaftsbericht 2023 unter demMotto „Wirtschaft erneuern“ in Berlin vorgestellt. Er enthält neben einer Projektion über die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands für die Jahre 2023 und 2024 Entwürfe für wirtschafts- und finanzpolitische Zukunftsprojekte. Demnach rechnet die Bundesregierung für 2023 mit einem leichten Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,2 Prozent (2022: 1,9 Prozent) und ist damit optimistischer als die Institute und die Deutsche Bundesbank, die für 2023 zuletzt einen leichten Rückgang des BIP in der Größenordnung von 0,4 beziehungsweise 0,5 Prozent prognostiziert hatten. Für 2024 sagt der Jahreswirtschaftsbericht wieder ein kräftigeres Wachstum in Höhe von 1,8 Prozent voraus. 2022 waren die Verbraucherpreise durchschnittlich um 7,9 Prozent gestiegen. 2023 soll die Inflationsrate bei 6 Prozent liegen, für 2024 prognostiziert die Bundesregierung eine Abflachung auf 2,8 Prozent. Die Arbeitslosenquote in der Abgrenzung der Bundesagentur für Arbeit entwickelt sich weiterhin moderat. Nach 2022 (5,3 Prozent) wird für 2023 eine Arbeitslosenquote von 5,4 und für 2024 ein leichter Rückgang auf 5,2 Prozent vorausgesagt. Die Konsumausgaben der privaten Haushalte waren in 2022 um 4,6 Prozent gestiegen. Hier wird für 2023 sogar mit einem Rückgang von 0,2 Prozent gerechnet. In 2024 erwartet die Bundesregierung wieder einen Anstieg um 1,6 Prozent. Der Jahreswirtschaftsbericht beurteilt auch die Lage Privatwirtschaft wieder leicht optimistisch: Die Ausrüstungsinvestitionen steigen laut der Projektion im Jahr 2023 um 3,3 Prozent nach 2,5 Prozent im Jahr 2022. Wirtschaftliche Transformation Neben aktuellen Zahlen umfasst der Bericht zentrale wirtschafts- und finanzpolitische Zukunftsaufgaben. So will die Bundesregierung an der Transformation hin zu einer „treibhausgasneutralen“ Wirtschaft festhalten und deren Tempo beschleunigen. Dabei stehe der Ausbau der erneuerbaren Energien als Grundlage für Transformation und Klimaschutz imMittelpunkt. Für mehr Wettbewerbsfähigkeit soll eine starke „grüne“ Wirtschaft geschaffen werden, wobei es auch darauf ankomme, Deutschland als attraktiven Investitionsstandort zu stärken und die Wettbewerbsfähigkeit von Industrie und Mittelstand zu fördern, unter anderem durch verbesserte steuerliche Abschreibungsregelungen. Als weiteren wesentlichen Faktor für den Investitions- und Industriestandort Deutschland sieht die Bundesregierung die Fachkräftesicherung an. Um den Wohlstand in Deutschland und Europa zu bewahren und zu erneuern, will die Bundesregierung darüber hinaus die strategische Souveränität und die wirtschaftliche Resilienz in Deutschland und der Europäischen Union stärken. Hierfür bedürfe es bilateraler EU-Handelsabkommen auf der Basis starker sozialer und ökologischer Standards, die europäisch und international vorangetrieben werden sollen. Privaten Konsum stärken, Klimaschutz koordinieren Nach Auffassung des dbb stellt sich die wirtschaftliche Lage derzeit besser dar, als in den vergangenen Monaten befürchtet. Zu denken geben müssen allerdings die prognostizierte Inflationsrate und die daraus resultierende Konsumzurückhaltung. In diesem Zusammenhang plädiert der dbb dafür, dass die öffentlichen Arbeitgebenden mit einer der Inflation Rechnung tragenden Einkommenserhöhung gegensteuern, um den öffentlich Bediensteten einen notwendigen, angemessenen Ausgleich für ihre realen Kaufkraftverluste zu gewähren. Die Realisierung der Zukunftsaufgaben beurteilt der dbb nicht zuletzt angesichts der globalen Lage als schwierig. Vor allem kann die Bundesrepublik die notwendigen Anstrengungen für den Klimaschutz nicht im Alleingang bewerkstelligen. Das Ziel der beschleunigten Dekarbonisierung, das sich im Jahreswirtschaftsbericht wiederfindet, sollte in enger Absprache, insbesondere mit unseren europäischen Partnern erfolgen. Für begrüßenswert hält der dbb die Förderung von Investitionen über verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten. Darüber hinaus unterstützt der dbb Ansätze zur Fachkräftesicherung. Angesichts der dramatischen Auswirkungen des demografischen Wandels müssen dabei neben wettbewerbsfähigen Beschäftigungsbedingungen im öffentlichen Dienst Weiterbildung, flexiblere Ruhestandseintritte und auch der Zuzug von Fachkräften, gestützt von einemmodernen Einwanderungsgesetz, imMittelpunkt stehen. ■ Model Foto: Pressmaster/Colourbox.de AKTUELL 9 dbb magazin | März 2023
PERSONALPOLITIK Recruiting TikTok, Instagram & YouTube: der öffentliche Dienst in Social Media Das Image als Arbeitgeber verbessern. Offene Stellen besetzen. Wichtige Informationen verbreiten. Der öffentliche Dienst steht vor kommunikativen Herausforderungen. Nicht wegzudenken aus der Arbeit von Recruiting-Teams und PR-Abteilungen sind daher die sozialen Medien. Was also treibt der öffentliche Dienst auf TikTok, Instagram und YouTube? Ob in der Vermessungstechnik, im Kindergarten oder im gärtnerischen Team: Bei der Stadt Heidenheim scheinen Mitarbeitende besonders gerne zu tanzen. Zu sehen ist das auf dem TikTok-Kanal der Stadt, die sich auch in anderen sozialen Medien wie Instagram oder Facebook präsentiert. Die Gründe für dieses Engagement sind in Heidenheim vielfältig. Und auch andere öffentliche Arbeitgeber verfolgen klare Ziele bei ihrer Arbeit in den sozialen Medien. Starke Arbeitgebermarken im öffentlichen Dienst Was erwarten die Verantwortlichen einer süddeutschen Mittelstadt von sozialen Medien? „Die Strategie unseres Social-MediaAuftritts in Bezug auf den Arbeitsmarkt ist primär die Verbesserung des Images“, sagt Julia Habla, Social-Media-Managerin der Stadt Heidenheim. Als Protagonistin bei Facebook und Instagram „Wir versuchen, medizinisches Fachwissen allgemeinverständlich über YouTube zu vermitteln. Das ist besonders wichtig im Hinblick auf die vielen Fake News, die verbreitet werden.“ Benjamin Waschow, Universitätsklinikum Freiburg Model Foto: DragonStock/Colourbox.de 10 FOKUS dbb magazin | März 2023
habe sich die Influencerin Anna etabliert. Mit Face-to-Face-Berichten von Events und Wanderrouten rund um die Stadt habe sie sich zum Gesicht der Stadtverwaltung entwickelt. Die perfekten Voraussetzungen für die Verbesserung des Images biete jedoch eine andere Plattform: das rasant wachsende Videoportal TikTok. „Behörden haben vermehrt mit Nachwuchsmangel zu kämpfen, was nicht zuletzt einem in die Jahre gekommenen Image zu verdanken ist. Das versuchen wir durch humorvolle TikToks auszuhebeln“, erzählt Habla. An den Beiträgen beteiligen sich Mitarbeitende aus unterschiedlichen Bereichen des Rathauses, sogar der Oberbürgermeister macht mit. Dem TikTok-Account der Stadt Heidenheim folgen mehr als 4300 Menschen. Besonders weite Kreise zog das Tanzvideo des Gärtners Leon: mehr als 290000 Views, 22000 Likes und 320 Kommentare. Die beworbene Stelle konnte die Stadt letztlich besetzen. Ein echter Recruiting-Erfolg. Social Recruiting bei TikTok Wer junge Menschen für Jobs begeistern will, geht am besten dorthin, wo sie sich üblicherweise aufhalten. Neben Instagram, Snapchat und YouTube ist die Generation Z immer mehr bei TikTok anzutreffen. „Die Plattform ermöglicht eine niedrigschwellige Möglichkeit der Interaktion zwischen idealerweise bereits bewerbungsinteressierten Userinnen und Usern und der Polizei Berlin als potenzieller zukünftiger Arbeitgeberin“, meint etwa Matthias Klein vom Social-Media-Team der Polizei Berlin. Mit den fortlaufenden Inhalten fördere man die Bewerberbindung im Verfahren. Nimmt mich die Polizei auch mit Tattoos? Brauche ich einen Führerschein? In jugendlicher Ansprache beantworten Beschäftigte, Auszubildende und Studierende der Polizei Berlin häufig gestellte Fragen bei TikTok und erläutern die Anforderungen des Berufs. Die Inhalte für TikTok produziert die Fachdienststelle für Social Recruiting, Videos für YouTube entstehen beim SocialMedia-Team und bei externen Dienstleistenden. Über 360000 Menschen folgen dem Account, über vier Millionen Mal wurden die Beiträge bisher geliked. Im Juni 2022 erhielt das Team den Deutschen Preis für Online-Kommunikation als TikTok-Channel/ Kampagne des Jahres. Im Auftrag der Wissenschaftskommunikation Ein ausbaufähiges Image und der fehlende Nachwuchs treiben den öffentlichen Dienst in die sozialen Medien. Es gibt allerdings noch ein anderes Problem: Immer mehr Menschen stellen wissenschaftliche Institutionen und ihre Arbeit infrage. Impfskepsis und Klimaleugnung fordern Forschende und universitäre Kommunikationsteams heraus. Umso häufiger drehen sich Rektoratsreden und Strategiepapiere um das Thema Wissenschaftskommunikation. Instagram-Beiträge über Dehydrierung im Sommer. Ein TikTokVideo über die häufigsten Verletzungen beim Sex. YouTubeShorts über Justin Bieber und das Ramsay-Hunt-Syndrom. Unterstützt von Expertinnen und Experten aus den Fachabteilungen, adressiert das Universitätsklinikum Freiburg an die breite Masse: Etwa 18000 Follower bei Instagram, knapp 22000 Abonnements bei YouTube und rund 19000 Follower bei TikTok. „Wir versuchen, medizinisches Fachwissen allgemeinverständlich zu verbreiten. Das ist besonders wichtig im Hinblick auf die vielen Fake News, die verbreitet werden“, erklärt Benjamin Waschow, Leiter der Unternehmenskommunikation und Pressesprecher. Das ist aber noch nicht alles. Unverzichtbar für die Kommunikation Von der Interaktion mit der Community profitiert auch Waschows Team: „Wir haben immer sofort ein Feedback, ob eine Kampagne oder Aktion gut ankommt oder nicht. Bei anderen Marketing- oder PR-Aktionen haben wir diese Rückmeldungen sehr selten.“ Ähnlich bei der Stadt Heidenheim: Kommunen könnten in den sozialen Medien unabhängig von Zeitungen veröffentlichen, meint Julia Habla: „So schaffen wir es, Inhalte schnell, effizient, zielgruppengerecht und ohne Umwege an die Bürgerschaft zu vermitteln.“ Soziale Medien sind also auch zum unverzichtbaren Tool für Kommunikationsteams geworden. Für den öffentlichen Dienst sind soziale Medien mehr als nur ein Nice-to-have. Mit gezielter Kommunikation können Arbeitgeber junge Menschen, Jobinteressierte und auch die breite Öffentlichkeit erreichen. Sie können damit die eigene Organisation als starke Arbeitgebermarke positionieren und den Recruiting-Prozess erweitern. Organisationen im öffentlichen Dienst geht es aber auch darum, Menschen über wissenschaftliche Themen aufzuklären. Und darum, die eigene Kommunikation zu verbessern. Patrick Siegert Der Beitrag ist zuerst erschienen auf haufe.de: https://t1p.de/0ijvq. Mit freundlicher Genehmigung der Haufe Group und Autor Patrick Siegert. „Besonders weite Kreise zog das Tanzvideo des Gärtners Leon. Die beworbene Stelle konnte die Stadt daraufhin besetzen.“ Julia Habla, Social-Media-Managerin der Stadt Heidenheim Model Foto: Colourbox.de FOKUS 11 dbb magazin | März 2023
Personalgewinnung in Zeiten des Fachkräftemangels Organisationskultur und fähige Führungskräfte sind Schlüssel zum Erfolg Auf die Frage, wie Verwaltungen mit dem klischeehaften Image einer unflexiblen, überbürokratisierten und hierarchisch geführten Organisation Fachkräfte gewinnen und bereits beschäftigte langfristig halten wollen, werden meist die üblichen Anreize als Antwort genannt: bessere Entlohnung, eventuell Zuschläge, flexiblere Arbeitszeitmodelle, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Digitalisierung. Vergessen werden dabei gerne die ebenso wichtigen Faktoren Organisationskultur und Führungsqualität. Mehrere Studien der vergangenen Jahre, die Mitarbeitende befragten, warum sie eine:n Arbeitgeber:in ausgewählt haben, machen deutlich, dass die oben genannten Faktoren hinsichtlich der Attraktivität eines Arbeitgebers nicht mehr prioritär zu sein scheinen. Vielmehr waren den Befragten bestimmte Aspekte einer guten Organisationskultur wichtiger. Der Irrglaube hält sich vor allem im öffentlichen Dienst hartnäckig, dass ein sicherer Arbeitsplatz oder eine sehr gute Entlohnung die Mitarbeitenden langfristig zufriedenstellt. Schon lange ist ein Arbeitsumfeld, in dem das eigene Denken unerwünscht ist, die Arbeit keinen Sinn zu machen scheint und Teamarbeit mäßig funktioniert, nicht mehr gewollt. Eine Organisation, die sich „kulturell“ nicht zeitgemäß weiterentwickelt hat, ist auf dem Arbeitsmarkt unattraktiv. Gute Organisationskultur etablieren Frederic Laloux definiert in seinem Buch „Reinventing Organizations“ Organisationskultur wie folgt: „Dieser Begriff wird im Allgemeinen benutzt, um die Annahmen, Normen und Anliegen zu beschreiben, die die Menschen in Organisationen miteinander teilen. […] Die Kultur beschreibt, wie die Arbeit getan wird, ohne dass die Beteiligten sich immer dessen bewusst sind.“ Das „Wie“ in diesem Kontext deutet nicht primär auf die Strukturen und Prozesse hin, sondern bezieht sich vorrangig auf die definierten und gelebten Werte und Normen, die der Grundstein für die Strategien, Ziele und die gesamte Philosophie der Organisation sind. Edward T. Hall präsentiert ein Eisbergmodell, das deutlich macht, dass es neben den sichtbaren Kulturelementen wie Vision und Mission, Leitbildern, Strategien und den Außendarstellungen von Organisationen auch unsichtbare Elemente gibt, die augenscheinlich zuerst nicht immer präsent sind. Diese mangelnOrganisationskultur im Eisbergmodell nach Edward T. Hall Collage: dbb Model Foto: Colourbox.de 12 FOKUS dbb magazin | März 2023
de Präsenz beziehungsweise diese nicht wirklich greifbaren Elemente führen auch dazu, dass Organisationen diesen Einflussfaktoren kaum Aufmerksamkeit schenken. Dabei sind die Menschen gerade in einer Verwaltung keine Maschinen, die gedankenlos und mechanisch Vorgänge abarbeiten. Jede:r Mitarbeiter:in hat eigene Grundbedürfnisse, Werte, Einstellungen und Gefühle, die in der Summe der Beschäftigten den Arbeitsalltag und die Atmosphäre signifikant beeinflussen. Eine „gute“ Organisationskultur wird nicht durch ein Arbeitsumfeld definiert, das völlig frei von jeglichen Konflikten oder Stress ist. „Gut“ bedeutet Offenheit, Sachlichkeit, Transparenz, gute Kommunikation, Wertschätzung und Freiheit von jeglichen negativen Führungsmethoden. Der Umgang mit Konflikten und Stress wird in einer guten Organisationskultur bis zu einem gewissen Grad als nicht belastend empfunden und wirkt sich somit auch nicht negativ auf die Arbeitsatmosphäre aus. Neben Strukturen und Arbeitsprozessen, die relativ schnell verändert und effizienter gestaltet werden können, braucht es bei der Etablierung einer guten Organisationskultur Zeit, da diese nicht von oben aufoktroyiert werden kann, sondern über einen längeren Zeitraum gefördert werden muss. Organisationskultur wird von Menschen erschaffen und muss (vor)gelebt werden. Personal gewinnen und halten Es sind die Menschen selbst, die Veränderungen des Systems herbeiführen können. Diese Veränderungen richten sich nach den Bedürfnissen und Interessen derer, die dieser Organisation zeitweilig angehören. Wichtig ist das gestalterische Moment, Dinge in die Hand zu nehmen und als Verwaltung darauf zu achten, was zum einen die „Kund:innen“, aber auch die Mitarbeiter:innen wollen. Durch die Fluktuation von Mitarbeitenden wird die Förderung der Organisationskultur zu einer fortdauernden Aufgabe. Organisationskultur wird gefördert, indem den Mitarbeiter:innen Vertrauen geschenkt und – in einem gewissen Rahmen – Eigenverantwortung gegeben wird, indem der Mensch in der Verwaltung gesehen und wertgeschätzt wird und indem den Beschäftigten vollständige Informationen zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus sollten Arbeitgeber:innen Freiräume für Entscheidungen und Handlungsfähigkeit schaffen, damit sich Ideen und Projekte entwickeln können. Sie sollten Rahmenbedingungen und Ressourcen für eine (fachamtsübergreifende) Teamarbeit bereitstellen und eine sichere und fürsorgliche Arbeitsumgebung schaffen. Auch Lernkultur ist wesentlich: Aus Fehlern resultieren Lernen und stetige Verbesserung. Raum zum Ausprobieren und Austesten runden das Bild ebenso ab wie zu Beginn nicht immer perfekt durchgeplante Projekte, die im Verlauf noch angepasst werden können. Mitarbeiter:innen wollen heute durch eigenverantwortliches Handeln sowie durch die Stärke von gut funktionierenden Teams, effektiven Arbeitsabläufen und flachen Hierarchien sinnstiftende Arbeiten verrichten. Um die Kultur in der Organisation zu „formen“, rät Laloux dazu, erstens „unterstützende Strukturen, Praktiken und Prozesse zu implementieren“, zweitens die Mitarbeiter:innen reflektieren zu lassen, „wie ihre persönlichen Überzeugungen die neue Kultur unterstützen oder schwächen“, und drittens „sicherzustellen, dass Menschen mit moralischer Autorität in der Organisation zum Vorbild für das Verhalten werden, das diese Kultur zum Ausdruck bringt“. Der letzte Punkt zielt eindeutig auf die Rolle der Führungskräfte ab, die enormen Einfluss auf die Organisationskultur in der Verwaltung haben können. Mit ihrem Verhalten steht und fällt auch das Image nach innen und außen, welches wiederum von Bedeutung bei der Rekrutierung und dem Halten von Fachkräften ist. Die Rolle der Führungskräfte Führungskräfte prägen die Organisationskultur in hohemMaße und setzen den Rahmen für das Miteinander im Arbeitsalltag. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Führungskräfte in Verwaltungen ausgewählt werden, die vor allem starke soziale und methodische Kompetenzen besitzen. Gerade wenn mehr Eigenverantwortung auf Einzelne oder ganze Teams übertragen wird, so muss die Führungskraft gewisse Rollen einnehmen, um Organisationseinheiten erfolgreich zu führen oder Prozesse zu managen. Diese Rollen sind die der Strateg:in, Koordinator:in, Sinngeber:in, Mediator:in, Konfliktmanager:in oder Kommunikator:in, um die Rahmenbedingungen für mehr Produktivität zu schaffen. Führungskräfte in der Verwaltung müssen demnach einen nicht zu eng gesteckten Orientierungsrahmen vorgeben, in dem sich die Beschäftigten frei bewegen können. Zugegebenermaßen sind manche Spielräume mit der heutigen Gesetzgebung begrenzt. Allerdings sollte den Mitarbeiter:innen die Entscheidungsfindung durch eine Vertrauensbasis übertragen werden, die im Grunde nicht mehr revidiert werden sollte. Auch das „angstfreie“ Führen, in dem es keine Schuldzuweisungen, Androhungen oder keine negative Kommunikation gibt, trägt dazu bei, dass sich eine Arbeitsatmosphäre etabliert, die kreativ, effizient und produktiv ist. Somit sollten Verwaltungen vor allem bei der Auswahl und Weiterbildung der Führungskräfte darauf achten, dass ein Schwerpunkt auf den sozialen und methodischen Kompetenzen liegt. Fachkenntnisse können jederzeit kurzfristig weiter ausgebildet werden. Wichtig ist, dass die Fachkompetenz durch die Teammitglieder vorhanden ist. Die innere Haltung, Denkweise und die Verhaltensmuster einer Führungskraft zu verändern, die nicht zu einer guten Organisationskultur beiträgt, ist hingegen mit deutlich mehr Zeitaufwand und Anstrengungen verbunden. Wenn Verwaltungen eine gute Organisationskultur etablieren wollen, ist dies nur mit Führungskräften möglich, die den Fokus auf die Menschen in der Organisation legen. Über kurz oder lang werden Verwaltungen nur fähige Mitarbeiter:innen anwerben und halten können, wenn sie auch fähige Führungskräfte in die so wichtigen Funktionen bringen. Daniela Kuzu, Beigeordnete der Fontanestadt Neuruppin Eine „gute“ Organisationskultur wird nicht durch ein Arbeitsumfeld definiert, das völlig frei von Konflikten oder Stress ist. FOKUS 13 dbb magazin | März 2023
Lehrkräfteausbildung Bildungspolitik muss neue Realitäten anerkennen Der Fachkräftemangel wird als eine der größten Wachstums- und Wohlstandsbremsen diskutiert. Neben einer zielgerichteten Fachkräftemigration ist ein leistungsfähiges Bildungssystem von elementarer Bedeutung, um den Personalbedarf in einer demografisch äußerst angespannten Situation nachhaltig stillen zu können. Doch die Leistungsfähigkeit unseres Bildungssystems wurde von der Politik zu lange vernachlässigt. Der Return of Investment von Bildungsinvestitionen verträgt sich nicht mit den Legislaturperioden der Politik – Erfolge stellen sich meist erst mittel- und langfristig ein. Jahrelang wurden die vehementen Forderungen der Gewerkschaften abgetan, die Bevölkerungsentwicklung nicht ausreichend berücksichtigt und notwendige Ausbildungskapazitäten sowie Stellen nicht geschaffen, was uns in die aktuelle Bildungskrise führte. Der Lehrkräftemangel ist die größte Herausforderung für den Bildungsbereich und stellt eine massive Gefahr für die Bildungsqualität dar. Die alarmierenden Ergebnisse des IQB-Bildungstrends rütteln die Erinnerungen an das PISA-Trauma wach, in kaum einem OECD-Land hängt der Bildungserfolg so stark vom Elternhaus ab wie in Deutschland. Gerade jetzt, wo in nahezu allen Bereichen qualifiziertes Personal gesucht wird und der Erfolg der digitalen und sozialökologischen Transformation über die Zukunft unseres Wohlstands entscheidet, mangelt es uns landauf, landab an Lehrkräften, um die notwendigen Fachkräfte heranzubilden. Rückwärtsgewandte SWK-Vorschläge Bayern möchte nun entgegen bestehender Abkommen und zum Missmut seiner Nachbarn Lehrkräfte aus anderen Bundesländern abwerben. Sachsen-Anhalt versucht sich an einer Vier-Tage-Unterrichtswoche. Nahezu landesweit werden nicht grundständig ausgebildete Lehrkräfte eingestellt, die in Brandenburg sogar verbeamtet werden sollen – das Kuriositätenkabinett der Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel besticht durch abenteuerliche Kreativität und erfreut sich seit Kurzem eines neuen Exponats: die Empfehlungen zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz. In der Wirtschaft bemüht man sich im Kampf um die besten Fachkräfte um ein attraktives Employer Branding – NewWork, Benefits, Flexibilität, eine angemessene Bezahlung. Derartige Maßnahmen zur Fachkräftegewinnung sind der SWK fremd, sie setzt vielmehr auf längere Wochen- und Lebensarbeitszeiten, größere Klassen und mögliche Abordnungen der Beschäftigten an Schulen mit besonderem Bedarf. Solche realitätsfernen Vorschläge senken nicht nur die Attraktivität des Lehrerberufs weiter, sondern riskieren auch die Gesundheit und den Verbleib der Beschäftigten auf fahrlässige Weise. Überlastung fördert Abwanderung Der Lehrerberuf ist erfüllend, kann jedoch auch sehr belastend sein. Mehr als drei viertel der Lehrkräfte arbeiten häufig am Wochenende und ein noch größerer Anteil schätzt die eigene Arbeitsbelastung als hoch oder sehr hoch ein. Die Klassengröße ist dabei ein vielfach belegter Faktor für die Arbeitsbelastung, die vorgeschlagene Erhöhung der Klassenfrequenzen verkennt die Heterogenität der Schulklassen und droht die Arbeitsbedingungen an unseren Schulen erneut zu verschlechtern. Viele Lehrkräfte entscheiden sich aufgrund der hohen Belastung für die Teilzeitarbeit und nehmen Gehaltseinbußen bewusst in Kauf. Auch das Ruhestandseintrittsalter gibt Einblicke in die Berufsbelastung: Nur ein Drittel der Lehrkräfte erreichte 2020 die gesetzlich vorgegebene Altersgrenze, nahezu die Hälfte ging in den vorzeitigen Ruhestand, mehr als zwölf Prozent schieden dienstunfähig aus. Traurige Realität ist, dass die Kolleginnen und Kollegen an den Schulen überlastet sind, und das nicht erst seit gestern. Es handelt sich um einen von der Politik geschaffenen Teufelskreis. Der Personalmangel und wachsende Aufgaben führen zu einer steigenden Belastung, die kurzfristig höhere Krankenstände, mittelfristig geringere Wochenarbeitszeiten und langfristig frühere Ruhestandseintritte der Lehrkräfte zur Folge haben werden. Die Beschäftigten sind die Leidtragenden, und der Personalmangel verschärft sich. Wenn es nach der SWK geht, sollen nun die Fehler der Politik abermals auf den Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden, was angesichts der aktuellen Zustände an unseren Schulen grob fahrlässig ist. Diese verlangen vielmehr nach dem großen Wurf, nach einer Bildungspolitik, die der hohen Bedeutung guter Bildung entspricht und den Einsatz der Kolleginnen und Kollegen angemessen würdigt. os Model Foto: Colourbox.de 14 FOKUS dbb magazin | März 2023
Fachkräftemangel Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr Der öffentliche Dienst leidet unter einemmassiven Fachkräftemangel, besonders im IT-Bereich. Bereits heute fehlen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene rund 39 000 Fachkräfte in Informatik- und IT-Berufen. In den kommenden Jahren wird sich die Situation zuspitzen: Hochgerechnet auf die Personallücke im Jahr 2030 fehlen dem öffentlichen Dienst dann rund 140 000 IT-Fachkräfte. Insgesamt wird die Lücke an Vollzeitfachkräften im öffentlichen Dienst bei 840 000 liegen. Das geht aus aktuellen Zahlen hervor, die die weltweit tätige Unternehmensberatung McKinsey & Company Ende Januar 2023 in ihrer Studie „Action, bitte! Wie der öffentliche Sektor den Mangel an digitalen Fachkräften meistern kann“ veröffentlicht hat. Demnach sind aktuell etwa 360000 Stellen nicht besetzt. Der Hauptgrund für den sich verschärfenden Engpass ist, dass bis 2030 über 1,5 Millionen Personen aus Altersgründen aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden. Das entspricht rund einemDrittel der rund fünf Millionen Beschäftigten. „Der Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst verschärft sich. Dass vor allem in den digitalen Berufen Personal fehlt, ist insbesondere mit Blick auf die so wichtige Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung eine große Herausforderung“, sagt Björn Münstermann, Senior Partner und Leiter der Beratung des Öffentlichen Sektors bei McKinsey sowie einer der Autoren der Studie. „Indem sie Neueinstellungen beschleunigen, Weiterbildungsangebote ausbauen und flexiblere Arbeitsmodelle ermöglichen, können Arbeitgeber im öffentlichen Dienst aber viel tun, um digitale Fachkräfte zu gewinnen, zu entwickeln sowie zu binden, und so die Personallücke verringern.“ Schneller einstellen und Digitalkompetenz aufbauen Ein wichtiges Instrument, um die Lücke an digitalen Fachkräften zu verkleinern, seien Neueinstellungen von Absolventinnen und Absolventen, Berufserfahrenen oder Quereinsteigern. Die spezialisierten IT-Studiengänge brächten aber jährlich nur rund 26000 Absolventen hervor. Aktuell arbeiteten lediglich drei Prozent der sozialversicherungspflichtigen IT-Fachkräfte im öffentlichen Sektor. Bleibe es bei dieser Quote, würde der öffentliche Sektor pro Jahr gerade einmal rund 800 Personen gewinnen. Erschwerend komme hinzu, dass auch in der Privatwirtschaft der Bedarf an Fähigkeiten im Bereich Datenanalyse, künstlicher Intelligenz, Softwareentwicklung, IT-Architektur oder Cloud-Diensten steige. Gleichzeitig geht dem öffentlichen Sektor den Ergebnissen der Studie zufolge auch digitale Kompetenz verloren. Denn unter den Mitarbeitenden, die bis 2030 die Altersgrenze erreichen und ausscheiden, sind auch zahlreiche Digital-Fachkräfte. Damit rückt die Beschleunigung der Einstellungsverfahren sowie die Weiterbildung der Mitarbeitenden in den Fokus. „Der öffentliche Dienst nimmt insbesondere in unsicheren Zeiten für viele Menschen an Attraktivität als Arbeitgeber zu. Auch seine wichtige Bedeutung wird angesichts der vielen gesellschaftlichen Herausforderungen besonders deutlich wahrgenommen. Davon kann der öffentliche Dienst bei Neueinstellungen profitieren“, sagt Julia Klier, Partnerin bei McKinsey und Co-Autorin der Studie. „Zugleich müssen sich die Weiterbildungsangebote sowohl für Führungskräfte als auch Mitarbeitende stärker auf digitale Fähigkeiten wie Innovationskompetenz, digitale Kollaboration, agiles Arbeiten oder Data Analytics fokussieren.“ Best-Practice-Austausch forcieren Einzelne Behörden haben der Studie zufolge bereits Best Practices etabliert, um Digital-Fachkräfte zu gewinnen, zu entwickeln und langfristig an sich zu binden. „Es gibt einige Best Practices wie ressortübergreifende Innovations- und Flexi-Teams, die vielversprechend sind, ummehr IT-Talente anzuziehen. Um den Fachkräftemangel wirklich zu beheben, muss sich aber auch das Thema strategische Personalplanung im öffentlichen Sektor stärker etablieren“, sagt Julian Kirchherr, Partner bei McKinsey und ebenfalls Co-Autor der Studie. „Wenn der Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst in Deutschland nicht entschieden angegangen wird, wird Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit weiter abnehmen. Ein starker öffentlicher Sektor ist ein echter Standortvorteil im internationalen Wettbewerb.“ dbb Chef Ulrich Silberbach zeigte sich angesichts dieser Prophezeiungen frustriert. „Vor diesem dramatischen Fachkräftemangel, nicht nur im IT-Bereich, warnen wir nun bereits seit einer Ewigkeit“, sagte Silberbach dem „Handelsblatt“, das die Studie zuerst vorgestellt hatte, am 25. Januar 2023. Die bisher getroffenen Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Dienstes reichten nicht aus. Es brauche dringend bessere Einkommen und attraktivere Arbeitsbedingungen etwa bei „Selbstverständlichkeiten wie mobilem Arbeiten und moderner Hardware“. Darüber hinaus seien flexiblere Arbeitsmodelle notwendig, um den öffentlichen Dienst attraktiver zu machen. Silberbach warnt: „Wenn junge IT-Fachkräfte mitbekommen, wie Digitalisierungsprojekte des Staates immer wieder wegen Kompetenzgerangels und verkrusteter Strukturen scheitern, werden sie sich nicht für den öffentlichen Dienst entscheiden.“ ■ Foto: alwie99d/Colourbox.de FOKUS 15 dbb magazin | März 2023
Es ist zum Verzweifeln: Gewarnt wurde seit vielen Jahren von Gewerkschaften, Elternverbänden, Schulleitungen, Bildungsforschern. Überraschen kann die derzeitige Situation daher niemanden. Und doch fehlt es bis heute an tragfähigen Konzepten, die fehlenden Kapazitäten an deutschen Schulen so auszugleichen, dass Kindern und Jugendlichen die Beschulung ermöglicht wird, auf die sie ein gesetzliches Anrecht haben. Von Lehrpersonal, das dazu physisch und seelisch bestmöglich in der Lage ist und nicht permanent am Rande der Erschöpfung agiert. Im jüngst erschienenen Deutschen Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung, für das bundesweit 1055 Schulleitungen allgemein- und berufsbildender Schulen befragt wurden, steht das Personaldefizit denn auch als Desiderat an erster Stelle. Doch was tun, wenn nicht genügend ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer zur Verfügung stehen – oder wenn die, die es gibt, ihre berufliche Zukunft eher in der Stadt als auf dem Land sehen? Stipendien für Landlehrkräfte Brandenburg bemüht sich, bereits angehende Lehrkräfte für Schulen im ländlichen Raum zu gewinnen. 600 Euro imMonat bekommen Lehramtsstudierende als Stipendium, wenn sie sich dafür entscheiden, ihr Referendariat an einer Landschule zu absolvieren und nach ihrem Abschluss so lange an der Schule zu bleiben, wie sie zuvor gefördert worden sind. Tun sie dies nicht, müssen sie das Geld zurückzahlen. Für Fritz Fischer kommt ein solcher Wechsel gar nicht infrage. Als einer der ersten von 23 Stipendiaten, die das Angebot 2022 angenommen haben, ist er an der Grundschule in Premnitz, an der er seither unterrichtet, ausgesprochen zufrieden. Er ist – wie im Programm gewünscht – mit seinem Praxissemester hier eingestiegen und nun fest angestellt, bis er demnächst seinen Vorbereitungsdienst beginnt. Fischer unterrichtet nicht nur gern auf dem Land, gefallen hat ihm auch, dass er sich aus 52 Schulen mit besonderem Bedarf die Stelle aussuchen konnte, anstatt wie sonst üblich für das Referendariat nur Landkreise auswählen zu können. Fischer hat in PotsdamMathematik und Musik auf Lehramt studiert, und Musik war an der Premnitzer Grundschule ein Mangelfach. Können Schulleitungen eine Stelle ein Jahr lang nicht besetzen, sind sie für den Stipendienauswahltopf an Bedarfsschulen qualifiziert. Auch Mecklenburg-Vorpommern bemüht sich seit 2022 mit Finanzierungshilfen um angehende Lehrer. Pauschal zehn Prozent aller Referendarinnen und Referendare im Land können einen monatlichen Zuschlag von 20 Prozent des monatlichen Anwärtergrundbetrages erhalten, wenn sie sich für den Vorbereitungsdienst an Schulen außerhalb der größeren Städte entscheiden und dort nach erfolgreichem Abschluss noch drei Jahre unterrichten. „Lehrerbildungslandpartie“ Seit 2019 versucht Mecklenburg-Vorpommern zudem, mit der „Lehrerbildungslandpartie“ Lehramtsstudenten für eine Berufskarriere im ländlichen Raum zu gewinnen. Studierende aus Rostock und Greifswald besuchen ausgewählte Schulen in VorpomLehrkräftemangel Kreative Ideen für den ländlichen Raum Die Klagen über den akuten Lehrkräftemangel in ganz Deutschland reißen nicht ab. Dazu gibt es auch keinen Grund: Statt zu schmelzen, wächst die Personallücke. Besonders hart trifft die fehlgeleitete Politik der vergangenen Jahre die Schulen im ländlichen Raum, insbesondere in Ostdeutschland. Wie stemmen die sich gegen die Entwicklung? Model Foto: Colourbox.de 16 FOKUS dbb magazin | März 2023
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