Lehrkräfteausbildung Bildungspolitik muss neue Realitäten anerkennen Der Fachkräftemangel wird als eine der größten Wachstums- und Wohlstandsbremsen diskutiert. Neben einer zielgerichteten Fachkräftemigration ist ein leistungsfähiges Bildungssystem von elementarer Bedeutung, um den Personalbedarf in einer demografisch äußerst angespannten Situation nachhaltig stillen zu können. Doch die Leistungsfähigkeit unseres Bildungssystems wurde von der Politik zu lange vernachlässigt. Der Return of Investment von Bildungsinvestitionen verträgt sich nicht mit den Legislaturperioden der Politik – Erfolge stellen sich meist erst mittel- und langfristig ein. Jahrelang wurden die vehementen Forderungen der Gewerkschaften abgetan, die Bevölkerungsentwicklung nicht ausreichend berücksichtigt und notwendige Ausbildungskapazitäten sowie Stellen nicht geschaffen, was uns in die aktuelle Bildungskrise führte. Der Lehrkräftemangel ist die größte Herausforderung für den Bildungsbereich und stellt eine massive Gefahr für die Bildungsqualität dar. Die alarmierenden Ergebnisse des IQB-Bildungstrends rütteln die Erinnerungen an das PISA-Trauma wach, in kaum einem OECD-Land hängt der Bildungserfolg so stark vom Elternhaus ab wie in Deutschland. Gerade jetzt, wo in nahezu allen Bereichen qualifiziertes Personal gesucht wird und der Erfolg der digitalen und sozialökologischen Transformation über die Zukunft unseres Wohlstands entscheidet, mangelt es uns landauf, landab an Lehrkräften, um die notwendigen Fachkräfte heranzubilden. Rückwärtsgewandte SWK-Vorschläge Bayern möchte nun entgegen bestehender Abkommen und zum Missmut seiner Nachbarn Lehrkräfte aus anderen Bundesländern abwerben. Sachsen-Anhalt versucht sich an einer Vier-Tage-Unterrichtswoche. Nahezu landesweit werden nicht grundständig ausgebildete Lehrkräfte eingestellt, die in Brandenburg sogar verbeamtet werden sollen – das Kuriositätenkabinett der Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel besticht durch abenteuerliche Kreativität und erfreut sich seit Kurzem eines neuen Exponats: die Empfehlungen zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz. In der Wirtschaft bemüht man sich im Kampf um die besten Fachkräfte um ein attraktives Employer Branding – NewWork, Benefits, Flexibilität, eine angemessene Bezahlung. Derartige Maßnahmen zur Fachkräftegewinnung sind der SWK fremd, sie setzt vielmehr auf längere Wochen- und Lebensarbeitszeiten, größere Klassen und mögliche Abordnungen der Beschäftigten an Schulen mit besonderem Bedarf. Solche realitätsfernen Vorschläge senken nicht nur die Attraktivität des Lehrerberufs weiter, sondern riskieren auch die Gesundheit und den Verbleib der Beschäftigten auf fahrlässige Weise. Überlastung fördert Abwanderung Der Lehrerberuf ist erfüllend, kann jedoch auch sehr belastend sein. Mehr als drei viertel der Lehrkräfte arbeiten häufig am Wochenende und ein noch größerer Anteil schätzt die eigene Arbeitsbelastung als hoch oder sehr hoch ein. Die Klassengröße ist dabei ein vielfach belegter Faktor für die Arbeitsbelastung, die vorgeschlagene Erhöhung der Klassenfrequenzen verkennt die Heterogenität der Schulklassen und droht die Arbeitsbedingungen an unseren Schulen erneut zu verschlechtern. Viele Lehrkräfte entscheiden sich aufgrund der hohen Belastung für die Teilzeitarbeit und nehmen Gehaltseinbußen bewusst in Kauf. Auch das Ruhestandseintrittsalter gibt Einblicke in die Berufsbelastung: Nur ein Drittel der Lehrkräfte erreichte 2020 die gesetzlich vorgegebene Altersgrenze, nahezu die Hälfte ging in den vorzeitigen Ruhestand, mehr als zwölf Prozent schieden dienstunfähig aus. Traurige Realität ist, dass die Kolleginnen und Kollegen an den Schulen überlastet sind, und das nicht erst seit gestern. Es handelt sich um einen von der Politik geschaffenen Teufelskreis. Der Personalmangel und wachsende Aufgaben führen zu einer steigenden Belastung, die kurzfristig höhere Krankenstände, mittelfristig geringere Wochenarbeitszeiten und langfristig frühere Ruhestandseintritte der Lehrkräfte zur Folge haben werden. Die Beschäftigten sind die Leidtragenden, und der Personalmangel verschärft sich. Wenn es nach der SWK geht, sollen nun die Fehler der Politik abermals auf den Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden, was angesichts der aktuellen Zustände an unseren Schulen grob fahrlässig ist. Diese verlangen vielmehr nach dem großen Wurf, nach einer Bildungspolitik, die der hohen Bedeutung guter Bildung entspricht und den Einsatz der Kolleginnen und Kollegen angemessen würdigt. os Model Foto: Colourbox.de 14 FOKUS dbb magazin | März 2023
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