EUROPA Europäische Antworten auf den Fachkräftemangel Wenn die Ressource Mensch knapp wird Alle von Menschen erzeugten Güter sind knapp, lautet ein zentraler Lehrsatz der Volkswirtschaftslehre. Was aktuell geschieht, geht allerdings weit über dieses ökonomische Gesetz hinaus. Wenn innerhalb der EU auch Menschen mit Ideen und Tatkraft knapp werden, steht die Zukunft der europäischen Volkswirtschaften auf dem Spiel. Die Pandemie hat zu massiven Störungen in den Lieferketten geführt. Geopolitische Rivalitäten zwischen China und den USA haben eine Entkopplung („decoupling“) eingeleitet. Die zweite Globalisierung – die erste endete 1914 – ist Geschichte. Beide Entwicklungen verschärfen die Knappheiten erheblich. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die internationale Ordnung wirken entsprechend negativ auf die Verfügbarkeit von bezahlbarer Energie. Während die Pandemie und der Krieg weitgehend unvorhersehbare Faktoren darstellen, ist die demografische Entwicklung in Europa schon lange als tickende Zeitbombe bekannt. Und das Ticken wird immer lauter. Qualifizierter Nachwuchs fehlt überall Deutschland im Dezember 2022: Die Krankenhäuser schlagen Alarm. Es gibt kaum noch Kapazitäten in den Kinderkliniken. Dabei geht es weniger um freie Betten als um Kinderärztinnen und -ärzte und vor allem das Pflegepersonal. Auch in der ambulanten Versorgung herrscht akuter Personalmangel. Sicherlich hat dies auch mit einer verfehlten Gesundheitspolitik zu tun, der Ökonomisierung eines lebenswichtigen Bereichs der Daseinsvorsorge. Aber in der Pflege fehlt es überall und immer mehr auch deshalb an qualifiziertem Personal, weil es eben weniger Menschen gibt, die aus unseren Bildungseinrichtungen auf den Arbeitsmarkt kommen. Auch im Bildungswesen herrscht immer größere Not. Teils sind kaum noch qualifizierte Lehrkräfte für die Pflichtfächer zu finden. Der Fachkräftemangel betrifft alle Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft. Nicht nur Industrie und Handwerk, auch dem öffentlichen Dienst fehlt es praktisch überall an qualifiziertem Nachwuchs. Die Lage in Deutschland ist kein Einzelfall in Europa. Die Babyboomer gehen bald in den Ruhestand. Drei Viertel der Unternehmen in Europa melden Schwierigkeiten bei der Suche nach qualifiziertem Personal. Europas wichtigste Ressource, Menschen mit Ideen und Tatkraft, wird zum knappen Gut. Die Europäische Kommission versucht seit Jahren, die Mitgliedstaaten zu Reformen zu ermutigen, die mehr Investitionen in Aus- und Weiterbildung vorsehen, um zumindest die noch vorhandenen Potenziale zu heben. Sie fördert und unterstützt Forschung und Zusammenarbeit besonders im Bereich der Digitalisierung. Und sie ruft auf zu einer gemeinsamen Migrationspolitik, die den Zugang von Fachkräften aus Drittstaaten zum europäischen Arbeitsmarkt vereinfachen soll. Trotz des Fachkräftemangels in praktisch allen EU-Mitgliedstaaten bleibt dies ein dickes Brett, der Widerstand einzelner Mitgliedstaaten besonders gegen Zuwanderung – und sei sie qualifiziert und reglementiert – hoch. Vor diesem Hintergrund hatte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, in ihrer 2022er-Rede zur Lage der Union vorgeschlagen, das Jahr 2023 zum „Europäischen Jahr der Kompetenzen“ zu machen. Gesagt, getan. 2023 steht im Zeichen gemeinsamer europäischer Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel. Die Kommission will Investitionen der Mitgliedstaaten in die Aus- und Weiterbildung der Beschäftigten fördern und spricht sich für die Anwerbung von DrittstaatsModel Foto: r.classen/Colourbox.de 24 FOKUS dbb magazin | März 2023
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