Inklusion am Arbeitsplatz Wir machen den Weg frei! In diesem Jahr tritt die vierte Stufe des 2016 verabschiedeten Bundesteilhabegesetzes in Kraft. Hat das große Umdenken, dass Inklusion eine Selbstverständlichkeit am Arbeitsplatz ist, eingesetzt? Ein Beispiel aus der Praxis. Inklusion am Arbeitsplatz? Steffen Pohl ist gleich bei der Sache. UN-Behindertenrechtskonvention, EURichtlinie und das Grundgesetz, Art. 3, Bundesteilhabegesetz, er kann die ganze Liste einfach abspulen. „Inklusion ist Menschenrecht!“, sagt er. Offensichtlich sagt er diesen Sermon nicht zum ersten Mal auf und anscheinend ist es immer wieder nötig, ihn aufzusagen. Gerade erst habe er für den dbb angehende Schwerbehindertenvertrauenspersonen geschult, erzählt der 53-jährige Beamte beim Finanzamt für Fahndung und Strafsachen in Berlin. Seit 2000 ist Pohl Mitglied in der Deutschen SteuerGewerkschaft (DSTG), seit 2016 Schwerbehindertenvertrauensperson in der Finanzverwaltung. Ja, auch er selbst sei schwerbehindert, da chronisch krank. Inklusion bedeute, auf ihn selbst bezogen, dass sein Arbeitsumfang reduziert sei. Und für das Ehrenamt als Vertrauensperson sei er in bestimmtem Umfang freigestellt. „Man sagt ja, der Schuster trägt die schlechtesten Schuhe“, antwortet Pohl auf die Frage, wie er für sich selbst sorge in Sachen inklusiver Arbeitsplatz. Ob das nicht ein Interessenkonflikt sei? Steffen Pohl lacht: Wegen der drohenden Befangenheit habe der Gesetzgeber bereits vorgebaut und er schicke zum Beispiel einen Stellvertreter vor, wenn es um ihn persönlich ginge. Mit dem Bundesteilhabegesetz verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, auch im Hinblick auf die UN-Behindertenrechtskonvention eine zeitgemäßere Gestaltung mit besserer Nutzerorientierung und Zugänglichkeit sowie eine höhere Effizienz der Eingliederungshilfe zu erreichen. So seien im Land Berlin etwa fünf Prozent der Auszubildenden für den öffentlichen Dienst schwerbehindert und es habe sich da inzwischen schon eine Willkommenskultur etabliert, findet Steffen Pohl. Die Azubis seien aber insofern eine Minderheit, als Schwerbehinderung sehr häufig erst im Laufe des Lebens durch Erkrankungen erworben würde. Das Gros der Schwerbehinderten seien denn auch chronisch Kranke über 55 Jahre. Nur in etwa der Hälfte der Fälle würden schwere Behinderungen überhaupt von der Umgebung als solche wahrgenommen, erzählt Pohl. Aber egal, ob angeborene oder im Laufe des Lebens erworbene Behinderung, er begreift seine Aufgabe als „Hilfe zur Arbeit“. Arbeitsaufgaben müssten gegebenenfalls so angepasst werden, dass sie bewältigt werden könnten. „Wir machen den Weg frei! Der olle Werbespruch ist mein Motto“, erzählt Pohl weiter. Im Schwerbehindertenrecht sieht er denn auch eigentlich „nur einen Nachteilsausgleich, den ich für meine Kolleginnen und Kollegen durchsetzen möchte“. Er sei dabei eine Art Einzelkämpfer und durchaus nicht immer auf einer Linie mit dem Betriebs- oder dem Personalrat. Jene müssten die gesamte Organisation im Blick behalten und nicht nur den Einzelnen. Die Gewerkschaft biete da Rückhalt und ein Netzwerk für Fachwissen und Erfahrungsaustausch. „Eigentlich setze ich mich nur dafür ein, den Nachteil eines Einzelnen auszugleichen. Das ist hochindividuelles Diversitätsmanagement.“ Pohl verhandelt mit vielen ganz unterschiedlichen Stellen: mit dem Inklusionsbeauftragten des Betriebs, mit den Führungskräften der Betroffenen, mit dem Personalrat, den Arbeitsschutzbeauftragten, dem Inklusionsamt, dem Landesversorgungsamt. Manchmal geht er mit dem betroffenen Menschen einfach nur Bürostühle und -tische ausprobieren und stößt dann deren Beschaffung an. Er redet mit jedem, der ihm helfen könnte, den Nachteil für den Kollegen oder die Kollegin auszugleichen. „Und am Ende haben auch andere etwas davon, an die ich gar nicht gedacht hatte.“ Und dann erzählt Pohl, wie er sich mal für eine besonders flache Rollstuhlrampe eingesetzt habe, da die alte, wesentlich steilere für den Kollegen im Rollstuhl einfach nicht zu bewältigen gewesen sei. Monate später habe er dann gesehen, wie auch der Paketbote die Rampe für seine Sackkarre nutzte. Der habe ihm dann erzählt, wie sehr er sich über diese Arbeitserleichterung gefreut habe, weil ihm die alte Rampe so zu schaffen gemacht habe. Steffen Pohls Fazit: „Barrierefreiheit ist am Ende für alle!“ ada „Schwerbehindertenrecht ist eigentlich nur Nachteilsausgleich.“ Steffen Pohl denkt an die Menschen mit Behinderung: „Auch das sind unsere Kollegen!“ © privat 20 FOKUS dbb magazin | April 2023
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