Torschlusspanik Anfang 2022 wurde auch den letzten Verantwortlichen klar, dass es nicht mehr möglich sein würde, die OZG-Umsetzung zum Jahresende abzuschließen. Fast schon in einem Akt der Verzweiflung beschloss der IT-Planungsrat in einer Sondersitzung im Mai den sogenannten OZGBooster. Dabei handelte es sich um eine Liste priorisierter Verwaltungsleistungen, die auf jeden Fall noch bis Ende 2022 flächendeckend online verfügbar sein sollten. Der Booster sollte die Gesetzesinitiative noch retten und auf wenige, breit genutzte Leistungen fokussieren. Auch dieses Vorhaben scheiterte. Bereits im August musste die Bundesregierung bei der Beantwortung einer Kleinen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion einräumen, dass nicht alle Leistungen aus dem OZG-Booster bis Ende des Jahres flächendeckend umsetzbar seien. Nach dieser Vorgeschichte überraschte es kaum noch, dass das Ziel, alle Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 auch digital anzubieten, deutlich verfehlt wurde. Laut Jahresbericht 2022 des Nationalen Normenkontrollrats (NKR) waren kurz vor Ende der Umsetzungsfrist von 575 angekündigten Verwaltungsleistungen erst 33 flächendeckend online verfügbar. Der NKR kommt zu dem Fazit, dass die Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland nicht merklich vorangekommen sei und das trotz gesetzlicher Pflicht, erheblicher Anstrengungen in allen Verwaltungen und üppiger Gelder vom Bund. Die Gründe für den ausgebliebenen Erfolg sind vielfältig. Zum Beispiel ist das OZG gar nicht auf einen vollständig digitalisierten Prozess ausgelegt. Es regelt vielmehr nur den Zugang, also die Möglichkeit für Bürgerinnen und Bürger, digitale Anträge zu stellen. Dies führte dazu, dass „Online-Frontends“ für die Antragstellung entwickelt wurden, es aber an deren Anbindung an die Fachverfahren in der Verwaltung im „Backend“ fehlte. Auf einen digitalen Antrag der Bürgerinnen und Bürger erfolgt somit in vielen Fällen ein analoger Prozess in der Verwaltung. Verwaltungsleistungen sollten nicht nur digital beantragt, sondern auch vollständig digital abgewickelt werden können. Es macht daher wenig Sinn, wenn Bürgerinnen und Bürger PDFs am Computer ausfüllen, die die Mitarbeitenden in der Verwaltung dann wieder ausdrucken und manuell in ihr System eingeben müssen, was als „Schaufensterdigitalisierung“ kritisiert wird. Weiter stand für eine erfolgreiche Umsetzung des OZG insbesondere in den Ländern und Kommunen schlicht und einfach nicht genug Personal zur Verfügung. Bereits 2021 kritisierte der Normenkontrollrat in seinem „Monitor Digitale Verwaltung“, dass angesichts der großen digitalen Transformationsaufgaben nicht ausreichend Personal in der öffentlichen Verwaltung vorhanden sei. Das vorhandene Personal sei trotz zuletzt erfolgter Aufstockung komplett ausgelastet, so der NKR. Ein weiterer entscheidender Faktor für den Misserfolg sind die föderale Aufgabenverteilung und die mangelhafte ebenenübergreifende Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Die unterschiedlichen Zuständigkeiten und Interessen haben die Umsetzung des OZG enorm erschwert, ebenso wie der Wirrwarr an föderaler Aufgabenverteilung und bereits existierender IT-Strukturen. In der Folge war oft nur die Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner möglich. Erschwerend kam bei der OZG-Umsetzung hinzu, dass es in Deutschland einen IT-Flickenteppich ohne einheitliche Standards oder offene Schnittstellen gibt. In den Ländern und Kommunen gibt es zahlreiche eigene IT-Entwicklungen, die untereinander keine Daten austauschen können. Im Zuge der OZG-Umsetzung waren viele Länder und Kommunen nicht bereit, ihre eigenen IT-Lösungen durch die nach dem EfA-Prinzip entwickelten OZG-Leistungen zu ersetzen. Zum einen hatten sie sich an deren Nutzung gewöhnt und zum anderen bereits viel Geld investiert. Retten, was zu retten ist Die Bundesregierung steht nach der ernüchternden OZG-Bilanz unter erheblichem Umsetzungsdruck, da mit der europäischen Single-Digital-Gateway-Verordnung bereits die nächste gesetzliche Frist läuft. Die Verordnung verpflichtet alle EUMitgliedstaaten dazu, zahlreiche Verwaltungsdienstleistungen bis Ende 2023 vollständig online und medienbruchfrei über ein zentrales Portal zugänglich zu machen. Sollten Bund und Länder auch dieses Ziel verfehlen, droht Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission. Das BMI hat Ende Januar 2023 eine Referentenentwurf für ein OZG-Folgegesetz, das sogenannten OZG 2.0, veröffentlicht. Der dbb hat eine Stellungnahme zu dem Referentenentwurf abgegeben und wird das Gesetzgebungsverfahren auch weiterhin kritisch begleiten. „Der Referentenentwurf enthält positive Ansätze, bleibt aber noch weit hinter den Erwartungen des dbb zurück“, sagt der zweite Vorsitzende und Fachvorstand Beamtenpolitik des dbb, Friedhelm Schäfer. „Wichtig ist, die Erfahrungen aus den vergangenen Jahren zu berücksichtigen und das OZG nicht nur minimalinvasiv anzupassen. Ein Weiter-so darf es nicht geben. Stattdessen brauchen wir künftig mehr Verbindlichkeit und eine stärkere Berücksichtigung der internen Verwaltungsdigitalisierung. Die bisherige Schaufensterdigitalisierung muss der Vergangenheit angehören.“ jbr Foto: graja/Colourbox.de FOKUS 25 dbb magazin | April 2023
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