dbb magazin 5/2023

REPORTAGE Der Fluss färbte sich blutrot. Eine Giftwelle, 70 Kilometer lang, schwappte Hunderte Kilometer stromab. Ihr folgten 150000 Aalkadaver. Bis hinunter zur niederländischen Grenze bei Emmerich starben die Insekten. In der Millionenstadt Köln durften Kinder nicht mehr am Rheinufer spielen. Vergiftungsgefahr. Und im rheinlandpfälzischen Flecken Unkel gipfelte die Katastrophe im lokalen Notstand. Tankwagen mussten die 4200 Einwohner versorgen. Kaffee wurde nicht nur hier mit Sprudelwasser gekocht. Notdurft war im nahe liegenden Wäldchen zu verrichten. Ein Feuer imWerk Schweizerhalle des Basler Chemiekonzerns Sandoz hatte in der Nacht zum 1. November 1986 eines der größten Umweltdesaster des 20. Jahrhunderts angerichtet. 20 Millionen Menschen, die entlang des Rheins bis zur Mündung in die Nordsee siedelten, bangten um ihr wichtigstes Lebensmittel: Trinkwasser, das hier oft aus dem Uferfiltrat gewonnen wurde. Rheinwasserwerke in Ludwigshafen, Wiesbaden, Mainz, Köln und Düsseldorf stellten auf Anweisung der Behörden tagelang die Versorgung ein und um. Am 4. November um 15 Uhr entschied auch der damalige Bonner Stadtwerkechef Reiner Schreiber: Das Wasserwerk Plittersdorf ist abzudrehen. Die betroffenen 75000 Haushalte, vor allem im Diplomatenvorort Bad Godesberg, mussten vorübergehend durch die Wahnbachtalsperre beliefert werden. Schreiber wollte jedem Risiko durch verunreinigte Uferfiltrate vorbeugen. Die Ursache des Basler Brandes ist bis heute Spekulation. Sicher ist: Ein Mix aus 30 Tonnen Pflanzenschutzmitteln und Löschwasser hat damals den Fluss für mehr als ein Jahr in ein totes Gewässer verwandelt. Das Ereignis kostete keine Menschenleben. Die 60 Meter in den Himmel schießenden Flammen bei Sandoz und die Welle der verendeten Aale signalisierten aber wie selten zuvor, dass die Grundversorgung vieler Bundesbürger mit Wasser eine anfällige Daseinsvorsorge ist. 37 Jahre danach: Ortstermin an der Talsperre, die 1986 die gefährdeten Bonner Stadtteile notversorgt hat. Von Siegburg führt der Weg über die B 56 und ein gewundenes Waldsträßchen nach Siegelsknippen und zu Dirk Radermacher. Seit Jahrzehnten ist das hier der Arbeitsplatz des Wasserbauingenieurs. Heute leitet er Bau und Betrieb imWahnbachtalsperrenverband (WTV), zu dem inzwischen der ganze Bonner Stadtbereich gehört. Der Mann ist unter der Regie von Verbandsgeschäftsführerin Ludgera Decking verantwortlich für die Versorgung von 800000 Menschen mit Trinkwasser. Nach wenigen Minuten Gespräch ahnen wir: Er kennt hier jedes Rohr. Die dicken blauen für das Oberflächenwasser aus der nahen Talsperre mit rund 230 Bächen und Rinnsalen als Lieferanten. Die dicken grünen für das Grundwasser aus dem Boden zweier ausWasserversorgung Mit Nachhaltigkeit gegen Wasserstress 5 500 Betriebe sorgen dafür, dass Deutschland mit reinem Trinkwasser versorgt wird. Doch nach den trockenen Sommern stellt sich die Zukunftsfrage: Reicht das werthaltige Nass noch aus? Verteilungskämpfe sind im Gang. Über Wasserpipelines wird geredet und über getrennte Leitungen fürs Trinken und für den Toilettengang. Betriebsleiter Dirk Radermacher: „Lückenloses System“ sorgt für sauberes Nass. Verbandsgeschäftsführerin Ludgera Decking: Ressorcen müssen „anders verteilt werden“. 12 FOKUS dbb magazin | Mai 2023

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