dbb magazin 5/2023

VORGESTELLT Berliner Stadtmission Daseinsvorsorge direkt amMenschen An manchen Stellen ist die professionelle Sozialarbeit in Großstädten nur mit ehrenamtlicher Unterstützung zu schaffen. Zum Beispiel in der Berliner Stadtmission am Bahnhof Zoo. Schon zu Westberliner Zeiten hatte sich der damalige Fernbahnhof Zoologischer Garten zum Treff von Obdachlosen, Junkies und Prostituierten entwickelt. Heute kampieren die Obdachlosen in der Umgebung, „weil die alle wissen, dass sie hier ’ne Chance auf eine warme Mahlzeit und ’ne Dusche haben“, erzählt Harald Kussack, seit seinem Eintritt in den Ruhestand 2016 ehrenamtlich für die Stadtmission tätig. Der ehemalige Polizist arbeitet drei- bis fünfmal imMonat am Zoo mit. Was Kussack beiträgt, sind seine im Beruf erworbenen Fähigkeiten: „Organisieren, Ziele setzen, Konflikte lösen, Menschen anleiten.“ Kussack ist einer von 1800 bis 2000 Menschen, die regelmäßig ehrenamtlich die etwa 1000 Hauptamtlichen bei der Stadtmission unterstützen und handfeste soziale Arbeit machen: Sie betreuen Flüchtlinge und Senioren, aber auch Straffällige und helfen Opfern von Straftaten, bieten Schuldner- und Insolvenzberatung, betreiben in und um Berlin Gästehäuser, Restaurants, Kiezläden und eine Trödelscheune. Es gibt Frauenhäuser, Wohnprojekte für Kinder und Jugendliche, Bildungsangebote. Harald Kussack zum Beispiel hält Vorträge über Armut und schildert den Abstieg, den viele Menschen, mitunter nur von einem einzigen Schicksalsschlag ausgelöst, durchlaufen: erst Arbeitslosigkeit oder der Verlust eines geliebten Menschen, dann Schulden. Wenn dann auch noch Alkohol- oder Drogenabhängigkeit hinzukommen, ist der Wohnungsverlust nicht mehr weit. Mitunter ist es aber auch einfach die soziale Herkunft, die dazu beiträgt, dass jemand von Anfang an zu wenig Chancen auf ein gutes Leben hat. „Wer nicht obdachlos ist, kann von Glück reden. Wer obdachlos ist, hat nicht genug Glück gehabt“, fasst Kussack seine Erfahrungen „am Zoo“ zusammen. Das „Zentrum am Zoo“ ist für ihn neben einer Bahnhofs- auch eine Obdachlosenmission. Die Deutsche Bahn habe der Stadtmission die Räumlichkeiten der alten Polizeiwache im Bahnhof, etwa 500 Quadratmeter, großzügig für 25 Jahre kostenlos zur Verfügung gestellt. „Die obdachlosen Menschen sitzen nicht überall bettelnd auf dem Bahnhof herum. Das ist eine Win-win-Situation.“ Pro Tag werden am Bahnhof Zoo 600 Mahlzeiten ausgegeben, anonym und ohne Bedürftigkeitsprüfung. Es gibt einen Hygienestützpunkt mit Duschen und Toiletten. Außerdem gibt es die Kleiderkammer in der Lehrter Straße nahe dem Hauptbahnhof, in der täglich an etwa 100 Bedürftige gespendete Kleidung ausgegeben wird. Selbstverständlich sind diese Leistungen kostenlos. „Wir bekommen sechs bis acht Tonnen Kleiderspenden in der Woche. Zu etwa 80 Prozent bestehen die aus Frauenkleidung. Das Problem daran ist, dass etwa 80 Prozent der Bedürftigen hier Männer sind.“ An diesen Stellen seien Ehrenamtliche tätig, eben auch da, wo es für Kussack persönlich zu unangenehm wäre: „Es gibt hier Menschen, die sich sehr hingebungsvoll darum kümmern, Bedürftigen aus ihrer völlig verdreckten Kleidung zu helfen, ihnen beimWaschen behilflich zu sein, beim Kämmen und Rasieren. Nicht zu vergessen bei der Fußpflege.“ Die Stadtmission tut vieles, um Reintegration zu ermöglichen: verloren gegangene Ausweispapiere wiederbeschaffen, Arztbehandlungen im Notfall auch ohne Krankenversicherung ermöglichen, Plätze in Wohnheimen und Therapien besorgen. Neben der Betreuung ist die Beratung zentrale Aufgabe. Und da dies eigentlich staatliche Aufgaben sind, Teil der allgemeinen Daseinsvorsorge, werden die Beratungs- und Wiedereingliederungsleistungen vom Landesamt für Gesundheit und Soziales sowie über weitere Sozialprogramme finanziert. Zusätzliches, etwa Schlafsäcke, wird über Spenden finanziert. Die mobile Einzelfallhilfe als Straßensozialarbeit innerhalb der Berliner Stadtmission wird unter anderem durch die Berliner Verkehrsbetriebe und die Bahn finanziert. Die Stadtmission arbeitet also nicht nur im, sondern für das Land Berlin. Auf den neuerlich aufgekommenen Vorschlag einer allgemeinen Dienstpflicht angesprochen, nickt Harald Kussack heftig. Die Erfahrung mit den jungen Leuten, die im Rahmen eines freiwilligen sozialen Jahres bei der Stadtmission arbeiteten, seien rundum positiv: „Das ist ein guter Impuls für die persönliche Entwicklung. Wenn das alle täten, würde der Respekt vor staatlichen Institutionen wieder steigen. Und das Verständnis für ihr Vorgehen. Es müsste natürlich auch bezahlt werden. Das ist ja selbstverständlich.“ ada Jeder ist willkommen. Veranstaltung im Zentrum am Zoo. © Berliner Stadtmission FOKUS 21 dbb magazin | Mai 2023

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