dbb magazin 5/2023

schmuck tragen. Abgesehen vom sichtbaren Bereich gibt es da bei uns keine starren Regelungen, es werden Einzelfallentscheidungen getroffen.“ Eher stelle sich die Frage, was die Bevölkerung in Sachen Körperschmuck von der Eingriffsverwaltung akzeptiere und wo die Grenzen des guten Geschmacks oder der Verfassungstreue überschritten seien. „Eine ganz klare Grenze bilden da wie in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes auch verfassungsfeindliche Symbole, zur Schau gestellter politischer Extremismus, Sexismus und Gewaltverherrlichung. Das ist natürlich auch bei uns ein Ausschlusskriterium, weil man aufgrund dessen den Bewerberinnen und Bewerbern die Verfassungstreue durchaus absprechen kann.“ Insgesamt aber sei es unabdingbar, auf einem immer schwieriger werdenden Arbeitsmarkt mit der Zeit zu gehen und Zugeständnisse etwa bei Tattoos im sichtbaren Bereich zu machen, wenn man guten Nachwuchs gewinnen möchte. In der Praxis könne zwar durchaus je nach Einsatz der Beamtinnen und Beamten Verdeckung angeordnet werden, beispielsweise durch ein langärmeliges Hemd. Aber auch in der Zollverwaltung setze ein Umdenken ein: „Es kann jemand heute nicht mehr per se von einer Beförderung ausgeschlossen werden, nur weil sie oder er eine sichtbare Tätowierung trägt. Schon gar nicht in Anbetracht dessen, dass auch so manche Führungskraft beim Zoll mittlerweile tätowiert ist.“ Das gelte auch für Versetzungen über Ländergrenzen hinweg. „Über die Länge der Haare bei Kollegen diskutiert heute auch niemand mehr, das ist nichts weiter als Anpassung an die Lebenswirklichkeit der Menschen“, so Beisch. „Deutlich liberaler“ Juristische Einordnungen zum Thema lieferte Lars Oliver Michaelis. Grundsätzlich komme die Körperschmuck-Problematik überwiegend bei Bewerberinnen und Bewerbern im Beamtenbereich zum Tragen. Jene, die sich nach einer Verbeamtung tätowieren lassen, müssten in den seltensten Fällen Konsequenzen befürchten, führte der Professor für Staats-, Europa- und Beamtenrecht an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung des Landes NRW aus. Bei der rechtlichen Entscheidungsfindung stünden jeweils Größe, Sichtbarkeit und Motiv der Tätowierung im Fokus, wobei Größe und Sichtbarkeit in der Regel normiert seien. In Nordrhein-Westfalen gelte zum Beispiel der Körperschmuckerlass, nach dem Tattoos bis zur Größe einer Handfläche mit dem Beamtenstatus vereinbar sind. Strengere Maßstäbe gebe es für Beamtinnen und Beamte, die eine Uniform tragen, da diese aufgrund der offiziellen Bekleidung nicht in erster Linie als Individuum, sondern als Verkörperung des Staates wahrgenommen und von den Bürgerinnen und Bürgern als neutral akzeptiert würden. Eine sichtbare Tätowierung könne diese Neutralität stören, so Michaelis. Verfassungswidrige, als links- oder rechtsextrem einzuordnende oder Waffen verherrlichende Motive seien ein grundsätzliches Ausschlusskriterium, betonte wie Beisch auch Michaelis, da sich durch die Wahl des Motivs durchaus Rückschlüsse auf die charakterliche Eignung der Beamtinnen und Beamten ziehen ließen. Ausführlich erörterte der Jurist die Schwierigkeiten, einheitliche Regelungen für den Umgang mit Körperschmuck und insbesondere Tätowierungen zu finden. So läge der Erlass von Dienstkleidungsvorschriften beim Bund und den einzelnen Bundesländern, die Eignungsfrage dagegen werde übergreifend geregelt. Zudem sei ungeklärt, ob Tätowierungen Teil der Eignungsfrage oder ein Thema der Dienstkleidung sind. Zu unterscheiden sei außerdem zwischen den verschiedenen Formen einer Verbeamtung – also Ernennung auf Widerruf, auf Probe oder auf Lebenszeit. So könne es etwa sein, dass Beamtinnen und Beamte mit einer Ernennung auf Widerruf oder Probe bei einer in diesem Status erfolgenden Tätowierung keine Chance auf eine Verbeamtung auf Lebenszeit hätten. Die Rückabwicklung eines bestehenden Beamtenverhältnisses sei nur in den seltensten Fällen rechtlich durchsetzbar, etwa bei einer arglistigen Täuschung. Die Wissenschaft, erklärte Michaelis, tendiere dazu, keine bundeseinheitlichen Regeln zu schaffen. Die Gesellschaft sehe Tätowierungen ohnehin zunehmend als unproblematisch an. In Zukunft könne deswegen womöglich auch das Uniformprinzip durchbrochen werden, so Michaelis’ These, die er mit dem Beispiel der Bundespolizei untermauerte. Dort sei man mit der Zeit deutlich liberaler geworden, auch große und sichtbare Tätowierungen an den Unterarmen spielten mittlerweile eine weitaus geringere Rolle als etwa beim Zoll oder bei der Bundeswehr. Der zunehmende Bewerbendenmangel vergrößere den Akeptanzrahmen der Dienstgebenden zusätzlich. Und auch die Grundrechte der Bewerberinnen und Bewerber – Meinungs- und Berufswahlfreiheit, das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit – dürften nicht durch unverhältnismäßige Regulierungen eingeschränkt werden, gab der Jurist zu bedenken. DemWandel offen begegnen Valentio Tagliafierro, Stadtbrandmann bei der Feuerwehr Duisburg und Mitglied der komba gewerkschaft, berichtete, dass es bei seiner Verbeamtung vor über 20 Jahren trotz seiner Tätowierungen zu keinen Problemen gekommen sei. Auch in Gesprächen mit Vorgesetzten oder Vertretern der Politik hätten die Tattoos bislang keinerlei Schwierigkeiten bereitet. Immer mehr Menschen trügen Tattoos und anderen Körperschmuck und da insbesondere in den Berufen der Einsatzkräfte Parameter wie körperliche und fachliche Eignung weit wichtiger – im Zweifel überlebenswichtig – seien, sollten sowohl Dienstgebende als auch die Interessenvertretungen der Beschäftigten dem Akzeptanzwandel offen gegenüberstehen. „Menschen mit Tattoos sollten – besonders in Anbetracht des steigenden Fachkräftemangels – nicht pauschal abgestempelt werden“, riet Tagliafierro. ■ Moderatorin Ines Arland und dbb Vize Friedhelm Schäfer leiteten die Diskussionsrunde. © Jan Brenner AKTUELL 9 dbb magazin | Mai 2023

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