dbb magazin 6/2023

MEINUNG Kommunale Finanzen Aus dem Gleichgewicht Die finanzielle Ausstattung unserer Kommunen bewegt mich als Oberbürgermeisterin einer strukturell deutlich unterfinanzierten Stadt seit Jahren. Denn die Struktur in den Kommunen gibt vor, dass grundsätzlich erst einmal erwirtschaftet werden muss, was ausgegeben werden kann. Das ist gerade in den Kommunen problematisch, in denen hohe Ausgaben im Sozialbereich und hohe Schuldenlast zusammenfallen. Schon lange ist die kommunale Finanzlage aus dem Gleichgewicht. Neben erheblichen Belastungen der Gegenwart im Zuge der Coronapandemie, der klimabedingten zusätzlichen Anforderungen und deren Kosten sowie der gestiegenen Energiekosten trifft unsere Kommunen ein seit Jahren hoher Investitionsrückstand, der nach Angaben im KfW-Kommunalpanel vomMai 2023 bei sage und schreibe 165 Milliarden Euro liegt. Dazu sind viele Kommunen und Gemeinden hoch verschuldet. Ein „Dauerbrenner“, weil noch immer ungeklärt, ist der Umgang mit den Altschulden und deren damit verbundene Übernahme durch den Bund. Eine Vielzahl der Kommunen beklagt ein Ungleichgewicht durch überdurchschnittlich hohe Sozialausgaben bei unterdurchschnittlichen Steuereinnahmen. Noch in der Funktion als Bundesfinanzminister der letzten Legislaturperiode hat Olaf Scholz Schritte zum Abbau der Altschulden besonders betroffener Kommunen zugesagt, indem der Bund die Hälfte der Kassenkredite übernehmen wollte. Die andere Hälfte hätten die 16 Bundesländer tragen sollen. Vergleichsweise finanzstarke Regierungen signalisierten jedoch, dass diese nicht für die Schulden finanzschwacher Länder aufkommen wollen. Das Thema fand dann zu Recht Niederschlag im Koalitionsvertrag der Bundesregierung und auch in dem des Landes Nordrhein-Westfalen. Betrachtet man die politisch beteiligten Akteure, könnte man meinen, dass es einen parteiübergreifenden Konsens geben könnte. Die Länder Rheinland-Pfalz und Hessen stellen hierbei bislang die richtigen Weichen: Der Landtag in Rheinland-Pfalz hat Anfang 2023 beschlossen, dass das Land drei Milliarden Euro an Altschulden von Städten und Gemeinden übernimmt; das Land Hessen hat bereits in 2022 200 Millionen Altschulden getilgt. Es sieht momentan nicht danach aus, dass andere Bundesländer dem nacheifern, und so bleibt die Problematik der Altschuldenübernahme weiterhin ungeklärt. So wie Gelsenkirchen geht es auch vielen anderen Kommunen. Ist das Geld knapp, müssen alle Ausgaben gegeneinander abgewogen werden. Ich stehe in einem dreifachen Verteilungskampf um das knappe Geld: Zum einen habe ich in Gelsenkirchen die Lasten der Vergangenheit zu beseitigen, wie beispielsweise die brüchige Substanz. Zugleich will und muss ich das Kerngeschäft der Stadt von der Bildung bis zu den Folgen der Zuwanderung nicht nur am Laufen halten, sondern auch erweitern und auch noch in die Zukunft, zum Beispiel hinsichtlich der Mobilitätswende und der Digitalisierung, investieren. Ob Energiekrise, die Unterbringung von Schutzsuchenden oder die Bewältigung der Mobilitätswende – für alle Vorhaben braucht es finanzielle Mittel und Personal. Eine adäquate Finanzausstattung unserer Kommunen lässt der Bund hierfür aber vermissen. Oft stemmen wir zusätzliche Aufgaben mit dem Personal, das wir bereits haben. Für diese Leistungsbereitschaft, die den öffentlichen Dienst insbesondere in unruhigen Zeiten so leistungsstark hält, gilt den Beschäftigten der Dank der Arbeitgeber. Es braucht aber auch weiterer Neueinstellungen, was wiederum weitere Personalkosten mit sich bringt. Überhaupt die Personalkosten: Im Zuge der Tarifeinigung vom April 2023 treffen uns Kosten, die nicht unerheblich sind. Sie liegen bei 17 Milliarden Euro für die Laufzeit des aktuellen Abschlusses; für jedes folgende Jahr sind die Kommunen dann mit rund 13 Milliarden Euro belastet. Und das in einer Zeit, in der wir in Gelsenkirchen beispielsweise Mehrkosten für Energie von 20 Millionen Euro zu verkraften haben und Kassenkredite von 550 Millionen Euro aufgelaufen sind. Viele niedrig verzinste Kredite laufen bald aus, was mir große Sorge bereitet. Der öffentliche Dienst wird gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern vor allem durch die Dienstleistungen der Kommunen sichtbar. Deshalb setze ich mich immer wieder für eine angemessene finanzielle Ausstattung der Kommunen ein. Karin Welge Karin Welge ist Oberbürgermeisterin der Stadt Gelsenkirchen. Die Autorin ... Model Foto: Colourbox.de 20 FOKUS dbb magazin | Juni 2023

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