MIGRATION Flüchtlingsgipfel Der Staat muss handlungsfähig bleiben Bei der Aufnahme und Versorgung von Geflüchteten müsse die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes berücksichtigt werden, mahnt dbb Chef Ulrich Silberbach. Auch Vertreter von Städten und Landkreisen kritisieren die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels. Viele Kommunen kümmern sich aufopferungsvoll um geflüchtete Menschen, aber Tatsache ist auch: Die Ressourcen vor Ort sind endlich und die Beschäftigten gehen längst auf dem Zahnfleisch“, sagte der dbb Bundesvorsitzende beim Gewerkschaftstag des dbb Hessen am 10. Mai 2023 in Darmstadt. „Wir müssen darauf achten, dass der Staat auf allen Ebenen handlungsfähig bleibt. Sonst kann am langen Ende niemandemmehr geholfen werden. Leider ist hier ein Muster zu erkennen: Politik beschließt immer neue Aufgaben für den öffentlichen Dienst, ohne für genügend Geld und Personal zur Umsetzung zu sorgen. Bund, Länder und Kommunen schieben sich oft genug gegenseitig die Verantwortung zu – und unsere Kolleginnen und Kollegen gucken in die Röhre. Gerade in den Städten und Gemeinden ist das fatal, denn hier erleben die Bürgerinnen und Bürger den Staat und seine Verwaltung unmittelbar – und laut unseren Umfragen hält nur noch ein Drittel der Bevölkerung unsere Institutionen für handlungsfähig. Das ist zutiefst besorgniserregend.“ Silberbach forderte in diesem Zusammenhang außerdem, den öffentlichen Dienst grundlegend zu modernisieren: „Das fängt bei einer gründlichen Aufgabenkritik an und führt über eine neue Führungskultur bis zu einer echten und umfassenden Digitalisierung. Es kann doch nicht sein, dass Bund und Länder im Vorfeld des Flüchtlingsgipfels darüber streiten, ob und wann endlich eine vollständige Digitalisierung der Ausländerbehörden erfolgt. Da fragen sich die Menschen im Land zu Recht, warum hier seit den dramatischen Fluchtbewegungen im Jahr 2015 so wenig passiert ist.“ Ähnlich äußerte sich der Deutsche Städtetag. Mit Bezug auf die Ergebnisse des Bund-Länder-Gipfels kritisierte der Präsident des Deutschen Städtetages, Markus Lewe, am 11. Mai 2023 in der „Rheinischen Post“, dass Bund und Länder die vergangenen Wochen nicht genutzt hätten, um gemeinsam eine Lösung zu finden. Der Handlungsbedarf bei der Aufnahme und Integration von Geflüchteten sei seit Monaten offensichtlich, „die Städte werden jetzt trotzdem weiter auf der Wartebank sitzen gelassen, obwohl der Druck vor Ort Tag für Tag steigt. Das sorgt für viel Frust.“ Lewe warnte vor drohender Überforderung der Städte und Gemeinden, die immer mehr Aufgaben bei der Unterbringung und Integration geflüchteter Menschen wahrnähmen. Gleichzeitig stiegen die Flüchtlingszahlen. „Das ewige Schwarze-Peter-Spiel zwischen Bund und Ländern muss ein Ende haben. Integration ist kein Planspiel um Zahlen, sondern fordert uns in den Städten ganz konkret.“ Statt unsteter finanzieller Zuwendungen bräuchten die Städte Planungssicherheit, die nur aus dauerhaften Regelungen zur Finanzierung der Unterbringung sowie zur Versorgung und Integration von Geflüchteten resultieren könne. Ebenfalls wenig begeistert von den Ergebnissen des Gipfels ist der Deutsche Landkreistag (DLT). DLT-Präsident Landrat Reinhard Sager sagte: „Da hätte mehr rauskommen müssen. Eine Vertagung drängender Fragen von Begrenzung der Flüchtlingszahlen bis zum Finanzierungssystem hilft den Landrätinnen und Landräten nicht, für die die Situation Tag für Tag schwieriger wird. Wir haben keine Zeit und müssen schnell zu Verbesserungen kommen.“ Zwar sei es zu begrüßen, dass es zu Verfahrensverbesserungen und schnellerer Digitalisierung in den Ausländerbehörden kommen soll und Bund und Länder ihre Anstrengungen zur Rückführung von Menschen ohne Aufenthaltsrecht intensivieren wollen. „Allerdings fehlen klare Aussagen zur sofortigen Beendigung freiwilliger Aufnahmeprogramme, zur Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsstaaten oder zum Vorschlag der Bundesinnenministerin, den Schutzstatus von Geflüchteten bereits an den EU-Außengrenzen zu prüfen“, so Sager. „Wenn die Koalition in Berlin in diesen wichtigen Fragen uneins ist, kann das nichts werden.“ Mindestens hätten Bund und Länder die Finanzfragen auf Dauer lösen müssen. Stattdessen werde weiter geprüft, um dann im November zu beschließen. Das sei zu langsam und lasse sich den unter der Last der aktuellen Situation ächzenden Landkreisen nicht vermitteln. ■ © Krzysztof Hepner/Unsplash.com AKTUELL 5 dbb magazin | Juni 2023
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==