dbb magazin 6/2023

de? Was muss sich wirklich ändern, damit die Digitalisierung der Verwaltung noch erfolgreich umgesetzt werden kann? Diese Fragen diskutierte Silberbach mit Thomas Bönig, Amtsleiter DO.IT – Amt für Digitalisierung, Organisation und IT sowie CIO/CDO der Landeshauptstadt Stuttgart, Patrick Burghardt, Digitalstaatssekretär, CIO des Landes Hessen und Vorsitzender des IT-Planungsrats, Dunja Kreiser, Mitglied der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, und Malte Spitz, Mitglied des Nationalen Normenkontrollrats. „In der Sackgasse nicht noch Gas geben“ Als CIO der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart obliegt Thomas Bönig die Gesamtverantwortung für die Digitalisierung der Kommune – von der Verwaltung bis hin zur Smart City. Für ihn ist die bisherige Umsetzung des OZG „zunächst einmal gescheitert“, zumal die Kommunen an der Umsetzung des Gesetzes bislang nicht vernünftig beteiligt gewesen seien. „Der Föderalismus ist nicht das Grundproblem bei der Verwaltungsdigitalisierung, sondern der Umgang damit“, ist Bönig überzeugt. Darüber hinaus stellten Online-Zugänge allein noch keine Digitalisierung dar. Die Kommunen könnten zwar in einigen Bereichen gut mit Online-Formularen arbeiten, die von Bürgerinnen und Bürgern online ausgefüllt werden. „Aufgrund der aktuellen Gegebenheiten führen diese aber in der Verwaltung zu Mehrarbeit, weil sie eben nicht automatisiert weiterverarbeitet werden, sondern oftmals manuell nachbearbeitet werden müssen.“ Die Eingaben aus Formularen seien zudem oft noch nicht mit den Systemen dahinter kompatibel. Den Blick auf die Zukunft gerichtet, plädierte Bönig dafür, statt nicht erreichbarer Ziele besser eine Basis 20 oder 30 wichtiger digitaler Bürgerservices auf einer Plattform anzubieten, die dann für Bürgerinnen, Bürger und Verwaltung bruchlos nutzbar sind. „Menschen, die digitalaffin sind und sehen, was wir da machen, halten uns schlicht für nicht mehr kompetent. Wenn wir Ämter digitalisieren wollen, brauchen wir von der Planung bis zur Implementierung der Systeme digitale Kompetenz vor Ort.“ Die dazu notwendige Anwerbung von Fachkräften werde dem öffentlichen Dienst jedoch durch die besseren Einkommensstrukturen in der Wirtschaft erschwert. Die Kommunen müssten sich außerdem um zu viele Aspekte der Digitalisierung selbst kümmern. „Dafür fehlen uns schlicht die Ressourcen“, kritisierte Bönig. Als Grundproblem des OZG definierte Böning: „Das Gesetz digitalisiert das Papier, nicht den Prozess.“ Aus seiner Sicht eine Sackgasse, „und es macht keinen Sinn, in einer Sackgasse auch noch Gas zu geben“. Die Leidtragenden seien Bürger und Beschäftigte gleichermaßen. „Am Ende muss eine Verwaltungsleistung stehen, die den Ansprüchen einer modernen Gesellschaft gerecht wird, aber davon sind wir bisher noch sehr weit entfernt. Es müssen mehr zentrale Lösungen umgesetzt werden.“ Daher wünscht sich der CIO eine progressive, bundesweite Digitalstrategie, um schneller zu Ergebnissen zu kommen. Digitalisierungsdruck macht Rechtsanspruch überflüssig Patrick Burghardt kündigte an, nach dem aus seiner Sicht nicht vollkommen erfolglosen ersten Aufschlag des Onlinezugangsgesetzes beim „OZG 2.0“ einen „großen Schritt weiter vorangehen, etwas wagen“ zu wollen. Nachdem der Zugang zu digitalen Bürgerdiensten mittlerweile gut geregelt sei, gehe es jetzt um die Umsetzung der Anwendungen in den Verwaltungen. Mit den EfA-Leistungen (EfA = „Einer für Alle“), die die jeweils federführenden Bundesländer aufgesetzt haben und derzeit unter Hochdruck weiterentwickeln, werde man die Verwaltungsdigitalisierung jetzt schnell nach vorne bringen, zeigte sich Burghardt überzeugt. „Ich würde das OZG nicht als gescheitert bezeichnen. Die geschaffenen Strukturen werden die Digitalisierung jetzt weiter in die Fläche bringen.“ Burghardt warnte davor, sich in der pauschalen Digitalisierung aller Verwaltungsprozesse und in individuellen Konfigurationsanforderungen zu verlieren. „Wir müssen jetzt schnell das zur Verfügung stellen, was der Markt auch abnimmt“, also insbesondere sämtliche gängigen und von Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen häufig abgefragten Dienstleistungen. Angesichts der Zahl von 11000 Kommunen werde der Staat nicht alle individuellen Digitalisierungsanforderungen abdecken können, „da brauchen wir schlicht auch die Zusammenarbeit mit der freien IT-Wirtschaft“, so Hessens CIO. Den Vorwurf, dass Bürgerinnen und Bürger im Zuge der Entwicklung digitaler Verwaltungsdienstleistungen nicht ausreichend einbezogen worden seien, wies Burghardt entschieden zurück. In den eigens für die Userbeteiligung eingerichteten Werkstätten bei der Entwicklung der digitalen Fachverfahren seien alle Beteiligten regelmäßig intensiv einbezogen worden, „das war schon gelebte Bürgerbeteiligung mit sehr gutem Input der User“. Einen Rechtsanspruch auf digitale Verwaltungsleistungen hält Burghardt für überflüssig, ebenso jede weitere zeitliche Fristsetzung. Der hohe Druck sowohl auf länder- als auch auf kommunalpolitischer Ebene werde automatisch dafür sorgen, dass Digitalisierung und Registermodernisierung nun zügig umgesetzt würden. Dunja Kreiser, Thomas Böning, Malte Spitz und Patrick Burghardt (von oben links). „Wir brauchen massive Investitionen in die Fort- und Weiterbildung der vorhandenen Beschäftigten.“ Ulrich Silberbach AKTUELL 9 dbb magazin | Juni 2023

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