übergestellt. Die Patienten könnten „ohne wirtschaftlichen Druck fach- und sachgerecht behandelt“ werden, betont Lehmann. Darüber hinaus sei das JVK universitär angebunden. Das Pflegepersonal würde regelmäßig weitergebildet. Das Haus benötige resiliente Personen, die die Arbeit mit den Gefangenen aushielten, unterstreicht Ivančev. In diesem besonderen Ausschnitt der Krankenpflege seien eine transkulturelle Medizin und ganzheitliche Pflege möglich und man bekäme Krankheiten zu sehen, die „es draußen so gar nicht mehr gibt“. Der Redebedarf ist hoch im Aufenthaltsraum. Hier versammeln sich Kolleginnen und Kollegen zu Dienstbesprechungen. Heute sind auch Mitglieder des Personalrates dabei. Alle schütten einander und auch uns, den Gästen, das Herz aus. Ein großes Problem im Vollzugsalltag sind für Steffen Gerber die synthetischen Drogen, die in die Haftanstalten eingeschmuggelt würden. „Die sind bei Kontrollen unglaublich schwer zu erkennen. Die können jegliche Form haben – Pillen, Tropfen, Pasten. Die sehen dann aus wie originalverpackte Lebensmittel.“ Investitionen dringend erforderlich Die Schwere psychischer Erkrankungen habe zugenommen und damit auch das Gewaltpotenzial, schildert Dr. Henning Dannmeier die Gesundheitssituation in den Haftanstalten. Die Ursachen sieht er neben dem Drogenkonsum auch in Sprachbarrieren und in Mutmaßungen der Häftlinge über das ihnen fremde Haftsystem. Das erschwere die Arbeit der Ärzte und Pfleger genauso wie die der Vollzugsbediensteten außerhalb des Krankenhauses. Auch er hält das Äquivalenzprinzip in der medizinischen Versorgung für unumgänglich: „Häftlinge dürfen nicht schlechter behandelt werden als Patienten draußen.“ Der Grund liegt für ihn auf der Hand: „Werden Kranke nicht adäquat behandelt, ist ihre Strafe schwerwiegender als die gesunder Häftlinge.“ Aber: „Die Ansprüche der Patienten sind oft höher.“ Die Physiotherapeutin und Personalratsvorsitzende Carola Wolter beklagt, dass sie hier, obwohl nur zwischen drei und fünf Prozent aller Verurteilten überhaupt im Gefängnis landeten, einige der zu sehr kurzen Ersatzfreiheitsstrafen Verurteilten immer und immer wieder sähen. Die Kollegen sprechen von einem „Abstellgleis der Gesellschaft“. Mitunter erleben sie sich hier als „Spielball der Politik“. So seien genehmigte Bau- und Sanierungsmaßnahmen jahrelang nicht umgesetzt worden. Die verloren gegangene Zeit wieder aufzuholen, ist so gut wie unmöglich. Der Justizvollzug wird wohl auch weiterhin unter schwierigen Arbeitsverhältnissen tätig sein müssen. Mit dem neuen Senat sehen alle eine Chance auf Änderung, und auch hier im Personalrat werben sie intensiv für ihren Arbeitsplatz. Carola Wolter: „Das Kollegiale an der Basis ist unschlagbar. Ich weiß, die kommen und helfen mir. Das ist meine Lebensversicherung.“ Thomas Goiny begleitet uns nach draußen. Erst wenn die Tür hinter uns sich vollständig geschlossen hat, wird die Tür vor uns geöffnet. Der Westhafen, der Großmarkt, blühender Löwenzahn drängelt sich auf dem Parkplatz zwischen Betonplatten hervor. Eigentlich ist die Stadt gar nicht so schlecht hier. ada Physiotherapeutin und Personalratsvorsitzende Carola Wolter und Thomas Goiny (BSBD) im Personalratsbüro: „Die Inhaftierten werden immer älter. Die Insassen in Gefängnissen bilden die demografische Entwicklung in Deutschland eins zu eins ab.“ Sabine Ivančev, Pflegedirektorin im Berliner Justizvollzug, leitet auch das JVK pflegerisch. Die Fassade am Eingang mag in die Jahre gekommen sein. Hinter den gesicherten Mauern wird Medizin auf der Höhe der Zeit praktiziert. FOKUS 17 dbb magazin | Juli/August 2023
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