Pflegekräfte Kampf gegen den Kollaps Model Foto: Colourbox.de GESUNDHEITSPOLITIK Rund 100 000 Vollzeitkräfte fehlen in der Pflege und täglich werden es mehr. Worin liegen die Ursachen für die Abwanderungsbewegung und welche langfristigen Strategien braucht es, um die Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich zu stabilisieren? Es ist kurz vor zwölf“, sagt Sandra van Heemskerk, stellvertretende Bundesvorsitzende der komba gewerkschaft. Seit zwei Jahrzehnten beobachtet sie die Entwicklungen im Pflegebereich mit großer Sorge. Besonders der wachsende Einfluss von Zeitarbeitsfirmen bereitet van Heemskerk Kopfzerbrechen. Pflegeeinrichtungen können dort Pflegekräfte buchen, um temporäre Lücken im Personalplan zu füllen. „Diese Zeitarbeitsfirmen waren schon immer ein Bestandteil des Pflegemarktes, werden inzwischen aber inflationär genutzt. Für die Pflegekräfte sind die Angebote der Firmen häufig lukrativ: Sie bekommen einen Dienstwagen gestellt, werden besser bezahlt und erhalten eine Startprämie. Der entscheidende Punkt ist aber, dass sie selbst wählen können, zu welchen Zeiten und Wochentagen sie arbeiten wollen.“ Das bringe jedoch sehr viel Missmut in die Teams, vor allem bei der Erstellung der Dienstpläne. Die fest angestellten Pflegekräfte müssten dann die weniger beliebten Zeiten übernehmen, wenn sich bei der Zeitarbeit niemand anbiete. „Dadurch gehen viele Festangestellte lieber in die Leiharbeit und es bleibt weniger Bestandspersonal übrig.“ Das führt laut van Heemskerk zu einer „Spirale der Unattraktivität“. Weniger Burn-out, mehr Bestandskräfte Auch wenn es naheliegt, den Personalmangel dadurch einzudämmen, indemmehr Personal eingestellt wird, ist das langfristig die falsche Strategie. So schreibt die komba anlässlich des Tages der Pflegenden am 12. Mai 2023: „Ummehr Personal für die Pflegeberufe zu gewinnen, müssen zuerst die Rahmenbedingungen verbessert werden – nicht umgekehrt. Wer erst Personal ins System holen will, um dann die Rahmenbedingungen zu ändern, zäumt das Pferd von hinten auf. Diese Rechnung bezahlen letztlich die Pflegenden, da neues Personal oft schnell dem kräfte- und nervenzehrenden System wieder den Rücken kehrt.“ Und diese Arbeitsbedingungen sind extrem belastend: Laut einer Studie des AOK Bundesverbandes haben Arbeitskräfte in Pflegeberufen doppelt so viele Fehltage aufgrund von Burn-out wie alle anderen Berufe im Durchschnitt. Seit 2013 steigt dieser Wert stetig an: Von 20 Fehltagen im Jahr 2013 auf 28 im Jahr 2021. Nach einer anderen AOK-Studie waren vier der zehn Berufe mit den meisten Burn-out-Fehltagen im Pflegebereich angesiedelt. Thomas Hengl arbeitet als Pfleger in einem Bezirkskrankenhaus in Bayern und ist Vorsitzender des Landesverbandes der Bayerischen Bezirksbeschäftigten e. V. (LBB). Darüber hinaus ist er Personalratsvorsitzender. Aus seiner Sicht ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf der Dreh- und Angelpunkt bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Dies sei insbesondere deshalb wichtig, weil die große Mehrheit der Pflegekräfte Frauen sind, etwa 80 Prozent. „Jedes Krankenhaus und jede Pflegestelle wird in naher Zukunft Konzepte erstellen müssen, wie sie ihr Personal halten können. Attraktivere Arbeitszeitmodelle müssen in den Tarifen verankert werden“, erklärt Hengl. Als positives Beispiel könne man sich die skandinavischen Länder ansehen. „Dort ist der Schlüssel, für wie viele Patienten eine Pflegekraft zuständig ist, deutlich niedriger als in Deutschland. Anders formuliert: In 18 FOKUS dbb magazin | Juli/August 2023
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