dbb magazin 7-8/2023

Deutschland muss sich eine Pflegekraft um doppelt so viele Patienten kümmern wie in Schweden, Finnland oder Dänemark. Eine Senkung des Schlüssels würde sich sehr positiv auf die Arbeitsbelastung auswirken“, ist Hengl überzeugt. Neue Arbeitskräfte gewinnen – Ausbildung verbessern Neben dem Binden von Bestandskräften brauchen aber auch Auszubildende bessere berufliche Perspektiven, insbesondere in der Altenpflege. Van Heemskerk erklärt: „In der Krankenpflege kann man sich über Weiterqualifizierung spezialisieren, um dadurch beruflich aufzusteigen, beispielsweise als Operationstechnische Assistentin oder Assistent. Diese Möglichkeiten der Weiterqualifizierung gibt es bei der Altenpflege nicht. Die fehlende Perspektive auf einen Aufstieg ist einer der Gründe, warum sich Auszubildende oft gegen die Altenpflege entscheiden. Wir von der komba fordern daher, mehr Spezialisierungen in der Altenpflege möglich zu machen. Denkbar bei der Spezialisierung wären beispielsweise Fachkräfte für Bewohnerinnen und Bewohner mit Demenzerkrankung.“ Bei Thomas Hengl sieht der Zuwachs von Auszubildenden allerdings vergleichsweise gut aus. Als ausschlaggebend sieht er, dass sie unbefristete Verträge anbieten. „Ohne unbefristete Verträge bekommt man heute gar keine Mitarbeitenden mehr.“ Bei der Ausbildung von neuen Fachkräften setze „sein“ Krankenhaus zudem vermehrt auf Inklusion. Gewerkschaften müssen 40 Jahre nachholen Größter Knackpunkt beim Halten von Bestandskräften und bei der Ausbildung bleibt weiterhin die schlechte Bezahlung. „In den vergangenen zehn Jahren haben wir in den Tarifverhandlungen viel für den Pflegebereich erreicht“, zieht van Heemskerk Bilanz, „Aber man muss sich bewusst sein, dass wir gleichzeitig 40 Jahre nachholen müssen. Die Pflegefachkraft ist ein klassischer Frauenberuf, und die Kolleginnen wurden viele Jahrzehnte schlechter bezahlt.“ Die Differenz könne nicht innerhalb von zehn Jahren aufgeholt werden. „Es gibt Kritik daran, dass die Bezahlung in der Pflege in den letzten Jahren stärker nach oben gegangen ist als in anderen Berufen. Die Kritiker ignorieren dabei, dass die Tarife in anderen Branchen seit Jahrzehnten konstant gestiegen sind, während die Tarife in den sozialen Berufen eine schlechtere Ausgangssituation hatten.“ Ein Grund dafür sei, dass die Gewerkschaftsarbeit in der Pflege erst langsam an Fahrt aufnehme. „Wir sind als Gewerkschaft nur so stark, wie wir Mitglieder haben“, erklärt van Heemskerk. „Es macht am Verhandlungstisch einen großen Unterschied, ob man 20 Mitglieder im Rücken hat oder 2000. Der Pflegebereich ist für Verhandlungen leider schlecht organisiert, da es viele Beschäftigte gibt, die den Nutzen einer Gewerkschaft noch nicht erkannt haben“, so van Heemskerk. Man müsse bereits in der Ausbildung verdeutlichen, was die Rechte und Pflichten der Pflegekräfte sind und welche Auswirkungen Politik und Tarifverhandlungen auf ihre Arbeit haben. Nur dann entwickelten die Beschäftigten ein Bewusstsein dafür, sich für ihre arbeits- und tarifrechtlichen Interessen und die ihrer Kolleginnen und Kollegen einzusetzen. In den kommenden zehn Jahren werden nach Angaben der Agentur für Arbeit etwa 370 000 Pflegekräfte in Rente gehen. Das ist etwa ein Fünftel der aktuell Beschäftigten. Gleichzeitig wird die Zahl an Pflegebedürftigen bis 2030 um 30 Prozent steigen. Die Zeit drängt, diese größer werdende Lücke zu schließen. Sandra van Heemskerk betrachtet die Situation als sehr ernst: „Die Pflegekräfte arbeiten schon viel zu lang mit gespanntem Bogen, und weiter kann man den Bogen eben nicht mehr spannen. Das muss Arbeitgebern bewusst sein. Wenn selbst die Beschäftigten mit der höchsten Toleranzschwelle aufschreien, dann stehen wir kurz vor dem Systemkollaps.“ Thomas Hengl findet noch drastischere Worte: „Eigentlich ist es bereits fünf nach zwölf.“ dsc Familienpflegezeit und Pflegezeit für Beamtinnen und Beamte des Bundes Mehr Zeit für Care-Arbeit Mit den dauerhaft steigenden Zahlen pflegebedürftiger Menschen stehen immer mehr Angehörige vor der Aufgabe, sich innerhalb der Familie aktiv in die Pflege einzubringen. Da Beschäftigte in solchen Belastungssituationen vor allem zeitliche Flexibilität brauchen, plädiert der dbb seit Langem für eine stärkere Unterstützung durch Dienstherren und Arbeitgeber. Arbeitnehmende unterliegen bei der Pflegeunterstützung anderen rechtlichen Vorgaben als Beamtinnen und Beamte. Während die Rahmenbedingungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bereits 2015 mit dem Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf und dem darin enthaltenen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit und Pflegezeit verbessert wurden, gelten für Beamtinnen und Beamte des Bundes seit 2016 vergleichbare Vorschriften. Auch die einzelnen Bundesländer haben für ihre Landesbeamtinnen und -beamten in den vergangenen Jahren Regelungen zur Familienpflegezeit, Pflegezeit oder zur kurzfristigen Freistellung bei akuten Pflegenotsituationen eingeführt, die sich jedoch in einzelnen Punkten unterscheiden. Dieser Beitrag informiert über die zentralen rechtlichen Rahmenbedingungen für Beamtinnen und Beamte des Bundes. Im Falle einer akuten Pflegenotsituation ... ... erhalten Bundesbeamte Sonderurlaub unter Fortzahlung der Besoldung, wenn für einen nahen Angehörigen wie zum Beispiel FOKUS 19 dbb magazin | Juli/August 2023

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