dbb magazin 7-8/2023

BRENNPUNKT Klinikreform Gesundheitsversorgung auf neuen Leveln? Seit mehr als zehn Jahren machen Kliniken und deren Beschäftigte auf ihre desolate Lage aufmerksam. Mehrere kleine Krankenhausreformen haben die Situation bislang kaum verbessert. Eine grundlegende Reform soll zukunftsfähige Strukturen schaffen. Die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung hat mittlerweile ihren vierten Bericht vorgelegt. Bereits erfolgte Maßnahmen wie die Herauslösung der Pflege am Bett aus den Fallpauschalen sowie Änderungen bei der Refinanzierung der Personalkostensteigerungen haben bislang jedoch nichts daran geändert, dass es vielen Kliniken wirtschaftlich sehr schlecht geht. Die Pandemie, verbunden mit dem Aufschieben vieler planmäßiger Operationen, das Freihalten von Betten für Coronapatientinnen und -patienten, die stark gestiegenen Kosten für Energie und Unterhalt, steigende Löhne und die Tatsache, dass die Länder immer noch nicht ihrer Verpflichtung zur Übernahme der Investitionskosten nachkommen, bilden eine ungünstige Gemengelage. Stark in der Kritik steht vor allem das System der Fallpauschalen, das auch als DRG-System (Diagnosis Related Groups) bezeichnet wird. Ursprünglich nach australischem Vorbild im Jahr 2004 eingeführt, hatte es damals einen Paradigmenwechsel bedeutet: Auf die Abkehr von den klassischen Pflegesätzen, bei denen die Refinanzierung abhängig von der Bettbelegungsdauer als Tagespauschale gezahlt wurde, folgte die Finanzierung pro Fall anhand eines festgelegten Kataloges – unabhängig von der Dauer der Behandlung. Ursprünglich sollte das neue System zu höherer Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser führen. In der Praxis hat es jedoch dazu geführt, dass Patientinnen und Patienten möglichst früh entlassen werden, um Betten frei zu machen. Darüber hinaus schafft es Anreize für Kliniken, möglichst lukrative Eingriffe durchzuführen – etwa Gelenkersatzoperationen, bei deren Häufigkeit sich Deutschland in der europäischen Spitzengruppe wiederfindet. Personal entlasten Der dbb hat sich frühzeitig positioniert und eine Reform des Fallpauschalensystems in Form einer Vorhaltepauschale gefordert. Der Vorschlag beinhaltet eine ergänzende Finanzierung der Betten-, Personal- und Gerätekapazitäten für Notfälle. Damit kann nach Auffassung des dbb unter anderem verhindert werden, dass Kliniken versuchen, ihre Defizite auf dem Rücken der Beschäftigten auszugleichen. Die mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz bereits geschaffene Möglichkeit, für unkomplizierte Eingriffe auch Tagesbehandlungen durchzuführen, sodass die Stationen über Nacht entlastet werden und Nachtschichten entfallen können, ist ein erster Schritt hin zur Entlastung des Personals. Dennoch obliegt die Entscheidung darüber, ob Patienten in Tagesbehandlung oder vollstationär versorgt werden, dem Ermessen der jeweiligen Klinik, was aus Sicht des dbb problematisch ist. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach möchte auch die zentralen Probleme in der stationären Versorgung angehen. Rund 60 Prozent der derzeit gut 1900 Kliniken in Deutschland schreiben rote Zahlen, ein geschätztes Drittel davon ist gar von Insolvenz bedroht. Die mit dem Fallpauschalensystem verbundenen falschen Anreize gefährden durch unnötige Eingriffe oder zu schnelle Entlassungen die Versorgungsqualität von Patientinnen und Patienten. Zudem bereitet der Fachkräftemangel immer größere Probleme in der stationären Versorgung. Mit der vorgesehenen Ergänzung der Fallpauschalen um eine rund 60-prozentige pauschale Finanzierung der Vorhaltekosten, die künftig auch das bereits ausgegliederte Pflegebudget enthalten, könnte finanzieller Druck von den Kliniken genommen werden. Die Bereitstellung von Betten, Personal und medizinisch-technischem Gerät soll kostenneutral über eine entsprechende Abschmelzung der Fallpauschalen erfolgen. Versorgungsqualität sichern Bei der Versorgungsqualität sollen Kliniken künftig von den Ländern in sogenannte Versorgungslevels aufgeteilt werden. Häuser des Levels I umfassen die medizinische Grundversorgung, gegebenenfalls mit Einschluss ambulanter Ergänzungsangebote (Level Ii) beziehungsweise mit integrierter Notfallversorgung (Level In). Spezialisiertere Häuser, die die Grundversorgung um Model Foto: Colourbox.de FOKUS 21 dbb magazin | Juli/August 2023

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