dbb magazin 7-8/2023

trauen. Die erste Voraussetzung dafür sei es, überhaupt zu wissen, an wen sie sich wenden können. Um das zu gewährleisten, müssten die Antidiskriminierungs- und Beschwerdestellen zudem möglichst unabhängig sein. Überwänden sich Betroffene dann aber, aktiv zu werden und sich zu wehren, müssten sie auch auf die Konsequenzen vorbereitet werden, denn ein entsprechendes Verfahren bringe immer auch emotionale Belastungen mit sich. In diesem Zusammenhang betonte Kreutz, dass auch die Beratenden selbst den Rückhalt ihrer Dienststelle oder Institution benötigten, um ihren Job überhaupt machen zu können. Für den Bereich Schule und Berufsschule plädierte Kreutz für mehr Sozialarbeitende und entsprechende Förderprogramme, die nicht gekürzt werden dürften: „Lehrkräfte müssen sich wieder auf das Lehren konzentrieren können. Wir dürfen nicht alle wichtigen Aufgaben auf sie übertragen. Dafür braucht es aber multiprofessionelle Teams in den Schulen.“ Kreutz rief die Teilnehmenden der Fachtagung dazu auf, „die heutigen Impulse und Erkenntnisse in ihren Dienststellen zu thematisieren, um das Problembewusstsein vor Ort zu schärfen“. Sandra Maurer forderte mehr Empathie: „Mit einem ‚Weiter so‘ fahren wir unsere Gesellschaft an die Wand.“ Mehr Sensibilität sei zum Beispiel durch Leitlinien in Behörden, die klarstellten, welche Bedingungen am Arbeitsplatz herrschen müssten, damit alle sich wohlfühlen, zu erzielen. In einer Institution, in der man gleich zum Justiziar müsste oder zur Personalabteilung, bekämen Betroffene schlicht Angst, sich vor dem gesamten Haus zu offenbaren. In ihrer Berufspraxis habe es darüber hinaus Fälle gegeben, in denen es nie offizielle Statements als Rückmeldung zu Vorwürfen gegeben habe: „Meist bewegt sich hinter den verschlossenen Türen dann doch etwas. Das wollen wir aber nicht. Wir wollen die offene öffentliche Debatte.“ Kathrin Böhler betonte, wie wichtig es sei, dass ein klares Signal von der Ministerin oder den Staatssekretären käme, dass sexuelle Belästigung, Gewalt und Mobbing innerhalb der Organisation nicht toleriert würden. Dazu seien systematische Schulungen der Führungskräfte nötig. Ziel sei es, innerhalb der Organisation eine Kultur zu etablieren, in der sich Betroffene trauen, Fehlverhalten zu benennen. Den Hinweis auf fehlende finanzielle Ressourcen wollte Böhler nicht gelten lassen und sagte: „Wenn es einen Willen gibt, dann gibt es auch die Mittel.“ Einen Grund für den ausweichenden Umgang mit dem Thema sieht sie in der Tabuisierung des Themas. Die Frage einer Diskussionsteilnehmerin, ob es bundesweit Zahlen zur Wirksamkeit der Beschwerdestellen gebe, versprach Böhler in die eigene Behörde, die Antidiskriminierungsstelle, mitzunehmen: „Je mehr Beschwerden es gibt, desto besser. Das zeigt letztlich, dass in der betreffenden Organisation eine offene, vertrauensvolle Kultur herrscht.“ Dr. Nina Guérin machte Information und Sensibilisierung als Grundvoraussetzungen für den Kampf gegen Mobbing, Belästigung und Diskriminierung fest. Diese dürften im Arbeitsalltag nicht als „lästige Nebensache“ betrachtet werden. Allerdings seien die Beschwerdestellen keine Beratungsstellen, weshalb sich Guérin eine dreigliedrige Struktur aus Beratungsstellen, Beschwerdestellen und unabhängigen zivilgesellschaftlichen Beratungsstellen wünscht. „Darüber hinaus können wir nicht warten, bis sich die bereits gewonnenen Erkenntnisse überall von selbst durchsetzen. Eine weitergehende gesetzliche Verankerung von Antidiskriminierung kann Fakten schaffen, denn dann müssen regelmäßige Schulungen durchgeführt und entsprechende Stellen geschaffen werden.“ Grundsätzlich seien Frauen überproportional stark von Belästigung und Übergriffen betroffen, „und jeder Fall muss ernst genommen werden“. Ein freier Stuhl in der Expertenrunde galt als Einladung zumMitdiskutieren, von der die rund 200 Teilnehmenden regen Gebrauch machten. Eingebracht wurden viele persönliche Erfahrungen zum Umgang mit Mobbing und sexueller Belästigung. Die Zuhörerinnen und Zuhörer diskutierten mit den Expertinnen über Herausforderungen, aber auch Erfolgen bei der Prävention, Aufklärung und Bekämpfung von Übergriffen. Moderatorin Boussa Thiam führte durch die Fishbowl-Debatte. ada, br, cdi, dsc, ef, zit Wechselnde Gäste aus dem Auditorium diskutierten in der „Fishbowl“ mit den Expertinnen. 32 INTERN dbb magazin | Juli/August 2023

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