dbb magazin 7-8/2023

NACHGEFRAGT Nachgefragt bei Alexander Tönnies, Landrat im Oberhavelkreis Die Verwaltung muss im Alltag funktionieren Hoher Krankenstand, zahlreiche Überstunden – damit soll bald Schluss sein. Bis 2025 will der Landkreis imNorden Brandenburgs 376 neueMitarbeitende einstellen. ImGesprächmit demdbbmagazin erklärt Alexander Tönnies (SPD), wie er ein solches Mammutprojekt stemmen möchte. Herr Tönnies, dass ein Landkreis so viele Stellen schafft, ist bemerkenswert. Wo nehmen Sie das Personal her? Und woher das Geld? Auf diese Fragen gibt es natürlich keine einfache Antwort. Und klar ist auch: Das ist keine Aufgabe, die morgen erledigt ist. Vielmehr reden wir von einem langen Prozess für die nächsten Jahre. Wichtig ist dabei zu wissen, dass unser Kreistag, der die finale Entscheidung über den Stellenplan imMai getroffen hat, den Beschluss mit einem finanziellen Deckel versehen hat. Wir werden deshalb schauen müssen, was wir in den nächsten Jahren tatsächlich realisieren können. Auch der jüngste Tarifabschluss spielt dabei eine Rolle. Unser erster konkreter Schritt war, alle schon mit Vorbehalt des Kreistagsbeschlusses geschaffenen Stellen und Besetzungsverfahren abzuschließen. Insgesamt profitieren wir schon jetzt von 65 neuen Mitarbeitenden, die uns spürbare Entlastung bringen. Im nächsten Schritt geht es um die weitere Stellenbesetzung: Außer den genannten 65 können wir im laufenden Jahr voraussichtlich etwa 50 weitere Stellen ausschreiben. Wir sind optimistisch, dass es uns gelingen wird, diese mit motivierten und fachlich versierten Leuten zu besetzen. Zugutekommt uns dabei natürlich, dass unser Landkreis enorm finanzstark ist und auch Großprojekte wie dieses stemmen kann. In welchen Bereichen der Verwaltung ist der Personalmangel am größten? In den vergangenen Jahren haben wir viele neue Aufgaben übernommen. Manches ist heute mit mehr Arbeit verbunden als früher, darunter die Digitalisierung in den Schulen, die Prävention im Gesundheitswesen und der Klimaschutz. Zugleich sorgt die Arbeitszeitangleichung auf 39 Stunden pro Woche schon rein rechnerisch dafür, dass wir mehr Personal brauchen. Im Sozialbereich haben die Fallzahlen in der Eingliederungshilfe deutlich zugenommen. Gleiches gilt für die Migration und Integration. Denken Sie nur an die Geflüchteten aus der Ukraine. Und auch im Jobcenter ist ein gestiegener Beratungsaufwand zu verzeichnen. Nicht zuletzt sind unsere Aufgaben qualitativ und quantitativ deutlich gewachsen, was zu einer hohen Arbeitsbelastung führt. Im Bildungsbereich stellen wir das fest: Oberhavel hat in den vergangenen Jahren zusätzliche Schulen in seine Trägerschaft übernommen, weitere stehen bevor und unsere boomende Region braucht neue Schulplätze. Wir müssen Schulen planen und bauen. Dafür brauchen wir Personal. Auch fehlende Digitalisierung und komplizierte bürokratische Prozesse verursachen Probleme. Warum ist die Personaldecke für Sie die entscheidende Stellschraube? Das eine hat meiner Ansicht nach mit dem anderen nur bedingt etwas zu tun. Es ist ja nicht so, dass Prozesse der Digitalisierung Personal einsparen würden. Im Gegenteil: Vielmehr brauchen wir dann noch besser ausgebildete, noch besser qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch daran arbeiten wir intensiv. Bürokratische Prozesse zu entschlacken, ist ganz sicher auch in unserem Sinne, leider liegt das angesichts von Landes- und Bundesgesetzen oft nicht in unserer Hand. Blicken wir in die Zukunft: Wie lautet Ihre Vision für die öffentliche Verwaltung? Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die Verwaltung im Alltag funktionieren muss, auch im Krisenfall. Wir haben vielfältige Aufgaben zu bewältigen, die sich je nach Vorgaben von Bund und Land regelmäßig ändern. Eine funktionierende Verwaltung, die ansprechbar und handlungsfähig ist, halte ich für einen wesentlichen Standortfaktor. Man kennt es aus Unternehmen – und ich fühle mich bei der Diagnose auch wieder durch jüngste Studienergebnisse von Krankenkassen bestätigt: Viele Angestellte sind gestresst, überfordert oder sogar für Burn-out gefährdet. So ähnlich ist das auch in unserer Kreisverwaltung. Von unserer Strukturänderung erhoffe ich mir für die Zukunft ganz konkret mehr Dienstleistungs- und Serviceorientierung, eine verlässliche Führung und Kommunikation sowie mehr Digitalisierung – das sind die Kernpunkte, die wir in unserer Verwaltung gemeinsam anpacken wollen. Dafür müssen wir die vielfältigen Aufgaben auf mehr Schultern verteilen. Es geht um nicht weniger als einen Paradigmenwechsel. Es geht aber auch darum, althergebrachte und starre Systeme neu zu denken. ■ Alexander Tönnies © Landkreis Oberhavel/Karsten Schirmer 36 INTERN dbb magazin | Juli/August 2023

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