dbb magazin 7-8/2023

sind also auf einem guten Weg. Dennoch müssen wir enorme Anstrengungen unternehmen, ummehr junge Menschen für den Pflegeberuf zu begeistern. Daher haben wir Pflegeeinrichtungen seit September 2022 dazu verpflichtet, mindestens in Tarifhöhe zu entlohnen, andernfalls riskieren sie ihre Zulassung. Geld ist aber nur ein Faktor für die Attraktivität des Pflegeberufs. Wir müssen auch an die Arbeitsbedingungen ran. Pflegekräfte brauchen ausreichend Kolleginnen und Kollegen an ihrer Seite. Seit dem 1. Juli 2023 gilt daher in der Alten- und Langzeitpflege ein bundeseinheitliches Personalbemessungsverfahren für Pflegeeinrichtungen. Mit dem Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz verlängern wir das Förderprogramm zur Unterstützung betrieblicher Maßnahmen zur Vereinbarkeit von familiärer Pflege, Familie und Beruf für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Langzeitpflege bis 2030. Was speziell für Männer den Pflegeberuf interessant macht, haben wir in einem vom BMG geförderten Projekt namens „Modern Men do Care – mehr Männer für die Pflege von morgen“ untersucht. Hier müssen auch ganz klar tradierte Rollenbilder aufgebrochen werden. Prävention hilft im Gesundheitsbereich, Kosten gar nicht erst entstehen zu lassen. Wie stehen Sie zu Vorschlägen, die Finanzierung der geriatrischen Reha von den Krankenkassen auf die Pflegekassen zu verlagern? Kein Zweifel: Prävention und Reha tragen einen wesentlichen Anteil dazu bei, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, sie zu überwinden oder zumindest zu mindern. Und auch wenn wir den Kostenfaktor berücksichtigen, ist das Thema für mich in erster Linie eine Frage von mehr Selbstständigkeit und Lebensqualität. Daher begrüße ich Vorschläge für eine höhere Inanspruchnahme und einen leichteren Zugang der Pflegebedürftigen zu Rehamaßnahmen. Wir dürfen die Krankenkassen und die gesetzliche Rentenversicherung als Rehabilitationsträger aber nicht aus ihrer Verantwortung für die Reha von Pflegebedürftigen entlassen: Denn müssten Pflegekassen als Träger die Reha übernehmen, wäre dies mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden. Neue Strukturen müssten innerhalb der Pflegeversicherung geschaffen, neue Versorgungs- und Vergütungsverträge mit den Rehaanbietern ausgehandelt werden. Und ohne irgendein Konzept der Gegenfinanzierung kann die soziale Pflegeversicherung außerdem keine zusätzlichen Finanzlasten übernehmen. Der Ärztemangel bedroht die medizinische Versorgung besonders im ländlichen Raum, aber auch die fachärztliche Versorgung stößt bundesweit an von Patientinnen und Patienten deutlich wahrnehmbare Grenzen. Demografische Faktoren drohen die Fachkräfteproblematik künftig weiter zu verschärfen. Wie reagiert die Gesundheitspolitik darauf? In Deutschland gibt es so viele Ärztinnen und Ärzte wie noch nie. Allerdings gibt es ein Verteilungsproblem. Und anders als in früheren Zeiten wollen nicht alle Fulltime oder sogar als Selbstständige arbeiten. Und richtig ist auch: Der demografische Wandel ist im Gesundheitswesen in der Vergangenheit weitgehend ignoriert worden. Das sehen wir bei den Pflegekräften, aber auch bei den Ärztinnen und Ärzten. In den kommenden Jahren werden Zehntausende Ärzte altersbedingt aus dem Beruf ausscheiden. Wollen wir, dass die Babyboomer-Generation auch in naher Zukunft noch gut versorgt ist, müssen wir dringend die Zahl der Medizinstudienplätze deutlich erhöhen. Dazu werbe ich bei den zuständigen Ländern. Gleichzeitig müssen wir die medizinische Versorgung neu denken, das heißt, neue Angebote in strukturschwachen Regionen schaffen und starre Sektorengrenzen überwinden. Mit dem ersten Versorgungsgesetz wollen wir die Medizin in den Kommunen stärken und Gesundheitskioske in benachteiligten Regionen und Stadtteilen einrichten. Diese können beraten, aber auch einfache medizinische Routineaufgaben übernehmen, Blutdruck- und Blutzuckermessungen etwa oder die Wundversorgung. Zugleich werden wir die Gründung kommunaler medizinischer Versorgungszentren erleichtern, in denen die Ärztinnen und Ärzte als Angestellte arbeiten. Nutzen müssen wir aber auch die Chancen der Digitalisierung. Die flächendeckende Einführung der elektronischen Patientenakte wird helfen, unnötige Doppeluntersuchungen zu vermeiden und lästigen Papierkram zu reduzieren. Videosprechstunden – das sehen wir bereits in der Praxis – erleichtern die Versorgung auf dem Land enorm. Sie haben einen ersten Vorstoß gemacht, die Arzneimittelproduktion zurück in die EU zu holen, um Lieferengpässen zu begegnen. Solange sich die Pharmaindustrie jedoch stark auf einträgliche Medikamente der neuesten Generation fokussiert, werden die Kosten bei europäischer Produktion unweigerlich explodieren. Wie bleiben Medikamente mit versorgungskritischen Wirkstoffen in Deutschland sowohl lieferbar als auch bezahlbar? Das übergeordnete Ziel muss doch sein, dass Patientinnen und Patienten unverzüglich die Arzneimittel erhalten, die sie benötigen. Und die Erfahrungen der vergangenen Monate und Jahre haben gezeigt, dass wir es mit der Ökonomisierung im Gesundheitswesen übertrieben haben. Insbesondere die Arzneimittelversorgung mit patentfreien Medikamenten hat sich über die vergangenen Jahre deutlich verschlechtert. Das korrigieren wir und ändern die Rahmenbedingungen so, dass Deutschland als Absatzmarkt für Arzneimittel wieder attraktiver wird. Mit dem gerade erst vom Deutschen Bundestag beschlossenen Arzneimittelversorgungs- und Lieferengpassgesetz schaffen wir vor allem finanzielle Anreize für die Hersteller von patentfreien Arzneimitteln, die zumeist preisgünstigen Arzneimittel auch künftig zu produzieren. Durch ergänzende Vorgaben für Rabattverträge wollen wir zunächst die europäische Produktion von Antibiotika stärken. Wenn wir sicherstellen, dass generische Arzneimittel verfügbar sind, vermeiden wir damit auch höhere Arzneimittelausgaben für die Krankenkassen. Denn diese müssen bei Nichtverfügbarkeit generischer Arzneimittel dann alternative und in der Regel teurere Arzneimittel bezahlen. ■ Wir dürfen die Krankenkassen und die gesetzliche Rentenversicherung als Rehabilitationsträger nicht aus ihrer Verantwortung für die Reha von Pflegebedürftigen entlassen. FOKUS 9 dbb magazin | Juli/August 2023

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