dbb magazin 10/2023

ten Seite. „Aber um diese Frage kümmert sich die Staatsanwaltschaft, wir führen keine strafrechtlichen Ermittlungen und klären keine Haftungsfragen.“ Der Auftrag der Behörde beschränkt sich darauf, die Sicherheit in der Seeschifffahrt zu verbessern. Entsprechend legt sie ein besonderes Augenmerk auf Fälle, die neue Erkenntnisse versprechen. Sie kann frei entscheiden, ob und in welchem Umfang sie in Ermittlungen einsteigt – nur bei sehr schweren Seeunfällen schreibt ihr das Gesetz vor, tätig zu werden. Im Fall der verunglückten Fischer ist beides gegeben. Die Hinweise verdichten sich Zurück ins Jahr 2016: Die Behörden grenzen nach und nach die Position ein, an der die „Condor“ gesunken ist. Hinweise liefern Fischkisten, die in der Ostsee treiben, Radaraufzeichnungen und die Ortung der Mobiltelefone der beiden Fischer. Ein dänischer Kutter meldet, dass sich sein Schleppnetz an einem Hindernis verhakt hat – genau in dem Bereich, auf den sich die Ermittlungen konzentrieren. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich um das Wrack handelt. Schließlich entsendet das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) die „Deneb“, ein Schiff, das mit Sonartechnik Gegenstände unter Wasser aufspüren kann. Am 9. Februar, drei Tage nach dem Unfall, ertasten die Schallwellen das Wrack auf dem sandigen Grund der Ostsee, in etwa 18 Metern Tiefe. So steht es im Untersuchungsbericht. Taucher haben das Wrack fotografiert. Ulf Kaspera klickt mit der Computermaus auf die Bilddatei, das Foto erscheint auf dem Großbildschirm an der Wand seines Büros. „Das hat uns stutzig gemacht“, erklärt er und deutet auf die verpackte Rettungsinsel, klar auf dem Foto im grün schimmernden Licht zu erkennen. „Die gehört da definitiv nicht hin“ – denn eigentlich lösen sich Rettungsinseln automatisch von sinkenden Schiffen, steigen an die Wasseroberfläche, blasen sich auf und bieten den Seeleuten Zuflucht. Eine weitere Auffälligkeit: Die sogenannte EPIRB, eine Notfunkbake, hätte ebenfalls nach oben steigen, ein Signal senden und die Position der „Condor“ übermitteln müssen. Auch das ist nicht passiert. Für Kaspera und sein Team rechtfertigen diese Unstimmigkeiten die Bergung des Kutters. Allerdings sehen die zuständige Staatsanwaltschaft und das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt keinen Bedarf. Doch die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung hat das letzte Wort: „Wir sind unabhängig, niemand darf uns in die Untersuchungsarbeit hineinreden“, unterstreicht Kaspera, „kein Ministerium, nicht einmal der Bundeskanzler.“ Das Gesetz gewährt der Behörde weitreichende, polizeiähnliche Befugnisse: Sie darf Zeugen vernehmen, Unterlagen beschlagnahmen und Schiffe festhalten lassen. In der Regel zeigen sich die Reedereien jedoch kooperativ: „Und wir arbeiten auch bevorzugt kooperativ mit allen Beteiligten zusammen. So können wir am besten für mehr Sicherheit sorgen und zukünftige Unfälle verhindern.“ Unglückliche Verkettungen Montag, 7. März 2016: Ein Schwimmkran birgt die „Condor“, die Beamten nehmen ihre Arbeit auf. Sie stellen fest, dass der Fisch nicht im Laderaum verstaut war, sondern in Kisten an Deck. Dass der Steert – das ist das Ende des Schleppnetzes – noch nicht eingeholt war und mit Fischen gefüllt an der Steuerbordseite hing. Dass der Kapitän eine harte Kurve steuerbord – also nach rechts – gefahren ist. Berechnungen ergeben: Unter all diesen Umständen musste der Kutter zwangsläufig kentern, die Stabilität des Schiffes war nicht mehr gegeben. Und insgesamt entsprachen die Stabilitätseigenschaften nicht mehr den Bestimmungen, welche die sogenannte Fischerei-Richtlinie definiert. Den beiden Fischern Vom Meeresgrund geborgen: der Kutter „Condor“. Autonome Seefahrt in naher Zukunft? Schiffe, die autonom von A nach B fahren – in Stockholm ist im Juni eine E-Fähre in Betrieb gegangen, die auf einer Strecke von 900 Metern zwischen zwei Inseln verkehrt. Noch ist der Kapitän mit an Bord, um die Technik zu überwachen, aber dies soll langfristig über eine Zentrale an Land erfolgen. Auch in der Hochseefahrt ist autonomes Fahren ein Thema. „Rein technisch ist das durchaus machbar“, berichtet BSU-Direktor Ulf Kaspera. Ungeklärt sei hingegen der Umgang mit unvorhergesehenen Zwischenfällen. „Bei Bränden und Motorschäden muss Personal an Bord sein, das schnell handelt. Wir sind noch nicht bei Raumschiff Enterprise, wo sich das Schiff selbstständig repariert.“ Auch sein Kollege Harald Erdbeer ist skeptisch: „Solange die Schiffe mit Verbrennungsmaschinen fahren, ist die Fehleranfälligkeit zu groß“, sagt er. Hinzu komme, dass während der Überfahrt wichtige Wartungsarbeiten stattfinden, darunter der Korrosionsschutz. „Wenn diese nicht auf See erfolgen, müssen die Reedereien sie im Hafen erledigen. Und das kostet zusätzlich Zeit und damit Geld.“ Faktencheck Taucher entdeckten die nicht ausgelöste Rettungsinsel. © BSU (2) FOKUS 19 dbb magazin | Oktober 2023

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