dbb magazin 10/2023

blieb keine Zeit, den Notruf abzusetzen, Notsignale abzufeuern und Rettungswesten anzulegen. Sie stürzten in die kalte Ostsee. Laut Untersuchungsbericht lässt sich sogar die Uhrzeit des Untergangs rekonstruieren: „Gegen 11.42 versank der Kutter vollständig im Wasser“, heißt es. Und warum die Rettungsinsel nicht funktionierte? „Sie hat sich zwar aus der Halterung gelöst, konnte aber nicht aufsteigen, weil die Fangleine nicht nachgegeben hat“, erklärt Kaspera. „Ursache war ein Wartungsfehler.“ Im konkreten Fall war die Fangleine 36 Meter lang. Ihre Funktion: das Abtreiben der Rettungsinsel verhindern und die Insel aufblasen. Letzteres passiert, wenn sie ganz herausgezogen ist. Gekappt wird die Fangleine üblicherweise erst, wenn es alle auf die Insel geschafft haben. Weshalb der EPIRB nicht aufgestiegen ist, konnte die Untersuchung nicht eindeutig klären, berichtet der Direktor. „Möglicherweise hat sich das Gerät in den Aufbauten, im Mast oder anderen Bauteilen verfangen.“ Die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung veröffentlicht alle Ermittlungsergebnisse im Internet, sie sind für alle einsehbar. Im Fall des gesunkenen Kutters zieht die Behörde unter anderem folgende Schlüsse für mehr Sicherheit: Sie rät, sämtliche Stabilitätsnachweise aller Schiffe zu prüfen, welche die Fischerei-Richtlinie erfasst. Sie regt an, ein Konzept zu entwickeln, dass es technisch unmöglich macht, Fangleinen für Rettungsinseln falsch zu verstauen. Und sie fordert, dass Schiffe künftig zwei Notrufbarken (EPIRB) an Bord haben müssen – denn Redundanz verringert das Risiko. Was der Gesetzgeber umsetzt, liegt nicht mehr in der Hand der BSU. Grundsätzlich besteht ein Spannungsfeld, wie überall in der Politik, sagt Kaspera: „Meistens arbeiten alle Beteiligten gut zusammen, da alle die Sicherheit erhöhen wollen“ – dennoch komme es wegen unterschiedlicher Sichtweisen manchmal auch zu Spannungen. „Das ist aber völlig normal, denn während die BSU eben vorrangig die sicherheitsrelevanten Aspekte im Fokus hat, geht es den Schiffsbetreibern verstärkt auch um die Kosten einer Maßnahme.“ Einsatz auf den Bahamas Welche Empfehlungen der Gesetzgeber umsetzt, überwacht die Behörde trotzdem, es gibt ein umfassendes Monitoring: „Wenn ein Missstand wiederholt einen Unfall verursacht und es versäumt wurde, ihn zu beseitigen, weisen wir natürlich ausdrücklich darauf hin“, sagt Harald Erdbeer. Er ist Untersuchungsführer bei der BSU, ausgebildeter Ingenieur und Nautiker und bis Anfang der Neunziger selbst zur See gefahren. Bevor er 2004 in die Seeunfalluntersuchung wechselte, arbeitete er für die Wasserschutzpolizei in Schleswig-Holstein. Heute ist der 62-Jährige nicht mehr nur in Küstengewässern unterwegs. Die Unfallermittlungen führen ihn in die ganze Welt, wenn es die Situation erfordert – zum Beispiel auf die Bahamas in der Karibik. Donnerstag, 3. Januar 2019, auf dem Atlantik, nicht weit von der kanadischen Küste: Bald soll das Containerschiff „Yantian Express“ den Hafen von Halifax erreichen. Doch dazu kommt es nicht. In den frühen Morgenstunden bricht Feuer aus. Seeleute sind auf Fahrt auch Feuerwehrleute: Sie nehmen die Brandbekämpfung auf, sondieren mit Atemschutzmasken die Lage, aktivieren Sprinkleranlagen, fluten Laderäume mit Kohlenstoffdioxid, um den Flammen den Sauerstoff zu entziehen. Und sie leiten Löschwasser über Strahlrohre zu den Flammen, müssen es teils wieder abpumpen, weil es die Stabilität des Frachters beeinträchtigt. Im Laufe der Tage macht sich Erschöpfung breit. Ein Container mit Nitrozellulose explodiert. Andere Schiffe eilen zur Hilfe. Weil ein Unwetter aufzieht, müssen die Seeleute den brennenden Frachter zwischenzeitlich verlassen, die Löscharbeiten an Bord pausieren, Im Gespräch mit dem dbb magazin: BSU-Untersuchungsführer Harald Erdbeer (links) und Direktor Ulf Kaspera. Feuer verwüstete das Containerschiff „Yantian Express“ im Januar 2019. © Jan Brenner 20 FOKUS dbb magazin | Oktober 2023

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