dbb magazin 10/2023

gehen später weiter – erst am 26. Januar ist das Feuer auch im letzten Container gelöscht. Schließlich erreicht die „Yantian Express“ die Hafenstadt Freeport auf den Bahamas. Zwei Schlepper begleiten das Containerschiff, das inzwischen wieder aus eigener Kraft fährt. Verletzt wurde bei dem Unfall niemand. Im Hafen von Freeport beginnt Harald Erdbeer mit der Untersuchung. Mit der Reederei stand er in engem Austausch, mit der aktiven Brandbekämpfung an Bord hatte er jedoch nichts zu tun – das fällt nicht in den Aufgabenbereich der BSU. Warum die „Yantian Express“ ausgerechnet den Hafen in der Karibik angesteuert hat? „Sie war voller Löschwasser, wenn es bei den niedrigen Temperaturen gefroren wäre, hätte sich der Schwerpunkt des Schiffes verlagern können“, erklärt Erdbeer. Im wärmeren, südlicheren Freeport ist diese Gefahr gebannt. „Aber auch Kostenfaktoren haben eine Rolle gespielt.“ Brandursache: falsch deklarierte Ladung? Der Untersucher arbeitet sich langsam vor, ausgestattet mit Helm und Arbeitsschutzkleidung. Zunächst gilt es, den Brandherd zu finden – wenn das Feuer nicht so lange gewütet hat, ist das in der Regel der Ort mit den größten Brandschäden. Doch in diesem Fall gestaltet sich die Suche schwierig. „Man hat kaum noch einen Unterschied gesehen, weil einfach alles hinüber war“, erinnert sich Erdbeer. Um dem Brandherd auf die Spur zu kommen, kontrolliert er sämtliche Frachtpapiere. Welche Ladungen sind von der Tendenz her leicht entzündlich und kommen somit als Brandherd infrage? Nach und nach heben Kräne die Container einzeln auf den Pier. Beziehungsweise das, was von ihnen übrig ist. Einige sind wegen der starken Hitze kollabiert und in sich zusammengefallen. Erdbeer vergleicht die Frachtpapiere mit dem, was noch von der Fracht übrig ist. Und stößt auf eine Auffälligkeit: In einem Container findet er eine kohleähnliche Substanz. Laut Frachtpapieren soll es sich allerdings um Kokosnusspellets handeln, die unter anderem als Heizmittel dienen – und optisch ganz anders aussehen als Kohle. Die Ermittlungen ergeben: Bei der tatsächlich transportierten Substanz handelte es sich um würfelförmige Pyrokohle, einen Brennstoff für Shishapfeifen, der ein deutlich kritischeres Entzündungsverhalten aufweist. Es ist durchaus denkbar, dass sich die Pyrokohle im Container selbst entzündet hat. Erdbeer versucht, mit dem Spediteur und dem Empfänger des Containers Kontakt aufzunehmen. Eine Antwort bekommt er nicht. Später schreibt der Beamte in seinen Bericht: „Die Untersucher der BSU gehen davon aus, dass es sich bei der Deklarierung des Produkts als Kokosnusspellets um eine Falschdeklarierung handelt. Es ist nicht auszuschließen, dass dies bewusst geschah“ – so hätte der Spediteur mutmaßlich mit Kosten verbundene Auflagen umgehen können. Erdbeer resümiert, dass den Brand wahrscheinlich die Pyrokohle verursacht hat. Eindeutig beweisen kann er es jedoch nicht. Medienrummel um „Freemantle Highway“ Viele Seeunfälle laufen unter dem Radar der breiten Öffentlichkeit: Wenn ein Kutter vor Fehmarn verunglückt, interessiert das hauptsächlich die Lokalpresse. Und wenn Feuer auf einem Containerschiff in der Nähe der kanadischen Küste ausbricht, es weder Verletzte noch Tote gibt, widmen die Medien dem Vorfall keine große Aufmerksamkeit. Doch von Ende Juli bis in den August hinein gingen in dem roten Backsteingebäude hinter den Hamburger Landungsbrücken außergewöhnlich viele Presseanfragen ein. Grund: das Feuer auf der Autofähre „Freemantle Highway“, das eine Umweltkatastrophe auszulösen drohte. „Wenn das Schiff gekentert oder auseinandergebrochen wäre, hätte dies auch an der deutschen Küste verheerende Folgen gehabt“, sagt Ulf Kaspera. „Dann wären wir bei den Ermittlungen im Boot gewesen.“ Weil sich der Unfall in niederländischen Hoheitsgewässern ereignet hat und das Schiff unter der Flagge Panamas unterwegs war, sind die Behörden der beiden Staaten zuständig. Kritik an der Berichterstattung kann sich der Direktor nicht verkneifen: „Ohne jegliche Untersuchung zu spekulieren, dass E-Autos den Brand ausgelöst haben, halte ich für unseriös.“ cdi „Wir würden gerne mehr untersuchen“ Die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung ist eine kleine Behörde, muss aber in der Verwaltung alle Anforderungen erfüllen, die für sämtliche Behörden gelten. Deshalb bleibt oft weniger Zeit für Untersuchungen. Sechs Beamtinnen und Beamte sowie eine Person im technischen Bereich, die im Jahr zwischen zehn und 15 Unfälle untersuchen, zusätzlich gibt es sechs weitere Mitarbeitende in Verwaltung und Technik. „Ich mache keinen Hehl draus, wir sind zu wenige“, sagt BSU-Direktor Ulf Kaspera. Besonders fordernd: Seine Behörde muss die Verwaltungsstruktur umsetzen wie alle anderen Behörden auch. Allerdings steht für die damit einhergehenden Aufgaben und Ämter nur wenig Personal zur Verfügung. Harald Erdbeer ist beispielsweise Untersuchungsführer auf der Fachebene, aber eben auch Antikorruptionsbeauftragter auf der Verwaltungsebene. Dies beinhaltet Schulungen, mit denen Abwesenheiten einhergehen. Außerdem legt das übergeordnete Verkehrsministerium großen Wert darauf, dass die BSU-Mitarbeitenden an internationalen Gremiensitzungen für mehr Sicherheit in der Seefahrt teilnehmen. „Das ist auch alles richtig so, aber in der Summe muss ich bei den Untersuchungen viel Zeit abknapsen, was mir alles andere als recht ist“, schildert Kaspera. „Wir würden gerne mehr untersuchen.“ Angenommen, es gäbe zusätzliche Stellen: Bisher hat die BSU auf Ausschreibungen gute Resonanz bekommen, berichtet der Direktor. Viele Bewerberinnen und Bewerber kämen aus der Seefahrt, die sich nur schwierig mit dem Familienleben vereinbaren lässt. „Das geht bei uns besser, damit können wir als Arbeitgeber neben der interessanten Tätigkeit punkten.“ Personelle Ausstattung Mutmaßliche Brandursache im Container: Pyrokohle für Wasserpfeifen. FOKUS 21 dbb magazin | Oktober 2023

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