dbb magazin 10/2023

SENIOREN Pflegende Angehörige Ohne Netz und doppelten Boden Die häusliche Pflege von Demenzpatienten ist ein Fahren auf Sicht. Wie organisieren die Familien? Wer hilft? Wie tanken die Angehörigen auf? Ein Besuch in Trier. Er ist nicht mehr der, mit dem ich mal zusammengekommen bin“, sagt Heike Hormisch. Als sie ihren Mann Albert vor rund zehn Jahren traf, war sie 41 und brachte zwei Schulkinder mit in die Beziehung. Albert war 50 und Architekt. Beide arbeiteten bei der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Rheinland-Pfalz in Trier. Heute arbeitet die Beamtin nur 30 Stunden – für ihren Mann, bei dem vor fünf Jahren „Alzheimer“ diagnostiziert wurde. Er ist einer von etwa 24 000 Menschen jährlich, die laut Deutscher Alzheimer Gesellschaft vor dem 65. Lebensjahr an einer Demenz erkranken. „Das ist eine genetische Disposition bei ihm“, erzählt Hormisch. „Er, der immer gern mit Zahlen zu tun hatte, saß plötzlich hilflos vor unverständlich gewordenen Excel-Tabellen für die Kalkulation öffentlicher Bauvorhaben.“ Die Last, die sie seit der Diagnose täglich schultert, sehen Außenstehende Heike Hormisch nicht an. Wer sie an einem Sommernachmittag im Park des Kurfürstlichen Palais in Trier auf eine Rhabarberschorle trifft, begegnet einer freundlichen, sportlichen Frau, die Dinge privat und im Job anpackt. Ohne Scheu spricht sie auch über für sie sehr schmerzhafte Themen. Freunde unterstützen die Familie Im Alltag sei ihr Mann desorientiert, erkenne Menschen nicht, berichtet Hormisch. Sie selbst eingeschlossen. „Körperlich ist er viel jünger. Aber im Kopf ist er über 90.“ Dennoch sei Albert aktiv, mache ihm vertraute Gänge. An zwei Tagen in der Woche sei er, während sie zur Arbeit gehe, gar allein zu Hause. Pflege versteht sie nicht als 24/7-Anwesenheit: „Ich denke, dadurch, dass er diese Autonomie hat, ist er dennoch zufrieden.“ Blauäugigkeit leistet sie sich nicht: „Noch funktioniert’s“, sagt sie. Sie will ihm helfen, diese Autonomie möglichst lange zu erhalten: „Alzheimer-Erkrankte haben Ressourcen, die Gesellschaft auch sehen sollte, und sie wollen noch am sozialen Leben teilhaben.“ Deshalb unternehmen sie so einiges miteinander: „Ich hab’ ihn in die Sauna geschleppt. Die hat er immer gemocht. Er muss ja mal unter Leute!“ Im Juni seien sie gemeinsam auf einem DepecheMode-Konzert in Düsseldorf gewesen. „Ich weiß, dass er stirbt“, sagt sie und muss sich dann doch kurz sammeln. „Das, was ich tun kann, ist ihm jetzt eine nette Zeit zu bereiten.“ Im Moment sei Albert für einige Tage mit zwei Freunden in der Schweiz unterwegs. „Uns allen ist bewusst, dass das endlich ist.“ Gerade deshalb täten sich die Freunde da zusammen. „Wir haben beide unglaublich stabile Freundeskreise“, antwortet Hormisch auf die Frage, wie das alles zu stemmen sei. Auch das Demenzzentrum sei ihr „eine große Stütze“, sagt sie. „Ich bin psychologisch gut geschult und kann Hilfe annehmen.“ Außerdem gäben ihr die Sozialkontakte in der Selbsthilfegruppe Halt. „Obwohl ich da die Jüngste bin.“ Ihr Schwager übernimmt die Betreuung, wenn sie mal für eine Woche Urlaub braucht. Und die Kinder sind inzwischen flügge: „Die sollen ihr Leben leben!“ Hormischs Alltag ist hart: Sie arbeitet zwischen 8 und 14 Uhr, fährt nach Hause und macht ihrem Mann Essen. An zwei Tagen arbeitet sie im Homeoffice, an einem Wochentag wird Albert in einer Tageseinrichtung betreut. Einmal in der Woche geht das Paar zum Sport ins Demenzzentrum. „Das ist wichtig, um die Koordinationsfähigkeit zu erhalten.“ Zudem beschere die Sportgruppe ihrem Mann „Glücksgefühle und Sozialkontakte“. Knappe Kassenlage Weil Albert Mohr relativ spät angefangen hat, in die Architektenversorgung einzuzahlen, ist seine Berufsunfähigkeitsrente sehr niedrig. Die Deutsche Rentenversicherung ist wegen der berufsständischen Versorgung nicht zuständig und so ist es „finanziell sehr eng“, wie Hormisch sagt. „Das Pflegegeld ist ein Nullsummenspiel, weil ich als Beamtin ja seine Krankenkassenbeiträge bezahle. Es geht genau auf“, berichtet sie. Heike Hormisch ist die Hauptverdienerin der Familie. Im Moment gehe es mehr oder weniger, ein Heimplatz wäre nicht finanzierbar. Was ihr aber wirklich Sorgen bereitet: „Wenn ich jetzt krank werden würde, wäre es nicht mehr stemmbar.“ Sie habe die familiäre Situation im Büro schon zu Beginn „sehr klar kommuniziert“ und erlebe seitdem die Solidarität der Kolleginnen und Kollegen. Doch sie ärgert sich über alle anderen: „Am Anfang hat mich die Gesellschaft verrückt gemacht. Die gingen davon aus, dass ich zu Hause bleibe. Was soll man denn die ganze Zeit machen? Wo bleibt da meine Zukunft?“ Obwohl sie sich selbstverständlich und gern um Albert kümmert, findet sie es ungerecht, dass von Angehörigen stillschweigend erwartet werde, dass sie sich sowohl finanziell als auch pflegerisch einbrächten. Insbesondere die Frauen, die ja bereits Erwerbszeiten für die Kindererziehung geopfert hätten, seien in einer schlechten Position. Altersarmut sei so fast programmiert. „Das muss anders gehen“, sagt sie zum Abschied. „Das fliegt uns sonst um die Ohren!“ ada Heike Hormisch © Peter Adamik 34 INTERN dbb magazin | Oktober 2023

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==