dbb magazin 10/2023

TOPTHEMA Technischer Arbeitsschutz Ohne Personal keine Kontrolle Versäumnisse im Arbeitsschutz, schwere Arbeitsunfälle und unzureichende Kontrollen führen regelmäßig zu Forderungen nach mehr Arbeitsschutzkontrollen und strafferen Gesetzen. Dabei sind die gesetzlichen Grundlagen eigentlich klar definiert. Aber es fehlt massiv an Personal. Das schafft Schlupflöcher für schwarze Schafe. Die Personalentwicklung im Arbeitsschutz lässt mittlerweile keine konsequente Kontrolle mehr zu. Es fehlt massiv an Arbeitsschutzinspekteurinnen und -inspekteuren sowie an Gewerbeärzten. Auch der interne Verwaltungsaufwand steigt. „Das führt dazu, dass schwarze Schafe kaum Kontrollen zu befürchten haben. Insbesondere in Branchen mit prekären Beschäftigungsverhältnissen unterlaufen sie bewusst Arbeitsschutz, Arbeitsrecht und Tarifrecht, um ihren Gewinn auf Kosten von Arbeitskräften und Verbraucherinnen und Verbrauchern zu maximieren“, sagt Jan-Georg Seidel, Bundesvorsitzender des BTB – Gewerkschaft Technik und Naturwissenschaft. Strukturelle Fehlentwicklungen flögen in der Regel erst auf, wenn etwas passiert sei. Die nötige Aufholjagd in den staatlichen Arbeitsschutzverwaltungen der Länder könne nur mit zusätzlichen, gut ausgebildeten Aufsichtsbeschäftigten gelingen. „Gesetze, deren Einhaltung nicht überprüft wird, sind nicht viel wert.“ Die aktuellen Zahlen zur Entwicklung der Betriebsbesichtigungen und der Personalzahlen im staatlichen Arbeitsschutz aus dem Bericht „Stand von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und Unfallgeschehen in der Bundesrepublik Deutschland“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) sprechen eine deutliche Sprache. Demnach ist die Zahl der Betriebsbesichtigungen vom Jahr 2000 bis 2021 um 75,5 Prozent zurückgegangen. Die Zahl der Aufsichtsbeamten hat sich in diesem Zeitraum um 65,6 Prozent verringert und die Anzahl der ohnehin wenigen Gewerbeärzte ist von 148 auf 50 geschrumpft – ein Minus von 66 Prozent. Gleichzeitig wurden den Arbeitsschutzverwaltungen der Länder immer neue Aufgaben übertragen, darunter die Überwachung der Vorschriften der Chemikaliensicherheit. Aufgaben des Strahlenschutzrechts zur Ermittlung der Radonbelastungen in Deutschland sowie der nicht ionisierenden und der optischen Strahlung wurden ausgeweitet. Darüber hinaus betreiben die Beschäftigten Marktüberwachung im Sprengstoffwesen, schultern die Ausweitung der Anwendung des Mutterschutzgesetzes, kümmern sich um elektromagnetische Felder und betrachten die psychischen Belastungen bei der Arbeit. Sie sollen mobile Druckgeräte überwachen, Arbeitsprogramme der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie entwickeln und neue Aufgaben in den Rechtsgebieten Arbeitsstättenrecht, Betriebssicherheitsverordnung und Produktsicherheitsgesetz wahrnehmen. „Kurz: Mit viel weniger Personal müssen immer mehr Aufgaben erledigt werden“, kritisiert Seidel. Er sieht den Rückgang der Besichtigungszahlen im Wesentlichen durch den Personalabbau der vergangenen 20 Jahre und den Fachkräftemangel begründet. Darüber hinaus sei der interne Verwaltungsaufwand kontinuierlich gestiegen. „Wenn die Arbeitsschutzverwaltungen ihre Beratungs- und Überwachungsaufgaben wieder vernünftig wahrnehmen sollen, müssen die Länder jetzt mit einer Personaloffensive gegensteuern. Dazu gehört auch, die finanziellen und strukturellen Rahmenbedingungen für Fachkräfte zu verbessern, denn der staatliche Arbeitsschutz konkurriert direkt mit der Wirtschaft“, fordert Seidel. ■ Jahr gesamte Besichtigungen Aufsichtsbeamte Gewerbeärzte 2000 521 523 4 268 148 2001 507 224 4 238 147 2002 479 565 4 256 146 2003 464 523 4 116 147 2004 449 307 4 103 133 2005 391 318 3 870 121 2006 370 479 3 521 110 2007 347 240 3 340 109 2008 332 199 3 218 99 2009 315 309 3 101 95 2010 300 253 3 101 90 2011 297 917 3 053 90 2012 267 008 3 007 86 2013 242 503 2 935 84 2014* 220 540 1 273 79 2015 206 197 1 277 74 2016 200 564 1 297 73 2017 182 504 1 456 68 2018 167 270 1 435 64 2019 151 096 1 439 61 2020 127 683 1 490 55 2021 127 737 1 468 50 * Einführung einer neuen Personalberechnung. Seit 2014 werden Beschäftigte des staatlichen Arbeitsschutzes mit Arbeitsschutzaufgaben ausgewiesen, Baden-Württemberg meldet lediglich Zahlen, in denen Beschäftigte aus Arbeitsschutz-, Immissionsschutz- und Verbraucherschutzaufgaben zusammengefasst sind; diese Zahl kann nicht berücksichtigt werden. © Model Foto: Phovoir/Colourbox.de FOKUS 9 dbb magazin | Oktober 2023

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