dbb magazin 11/2023

Pflegende Angehörige Den stillen Heldinnen Gehör verschaffen Häufig müssen pflegende Angehörige Abstriche bei Einkommen und Altersvorsorge machen. Das erhöht das Risiko der Altersarmut. 70 Prozent der Betroffenen sind Frauen. Die Politik ist in der Pflicht. Knapp fünf Millionen Menschen in Deutschland sind pflegebedürftig, davon werden 3,12 Millionen überwiegend durch Angehörige versorgt. Über 70 Prozent der pflegenden Angehörigen sind Frauen. „Sie sind die stillen Heldinnen unserer Gesellschaft. Es ist höchste Zeit, ihre Hingabe und ihre Opferbereitschaft angemessen anzuerkennen und zu entlohnen“, macht Milanie Kreutz, stellvertretende dbb Bundesvorsitzende und Vorsitzende der dbb bundesfrauenvertretung, deutlich. Denn in der Realität ziehen pflegende Frauen oft den Kürzeren, wenn es um Erwerbstätigkeit und die damit verbundene Altersvorsorge geht. Angehörige zu pflegen und gleichzeitig den bestehenden Beruf im gleichen Maße auszuüben, kostet Kraft und Zeit – oder eben Geld. Laut einer Studie der Medizinsoziologin Prof. Dr. phil. Adelheid Kuhlmey und Dr. rer. medic. Andrea Budnick für die Berliner Charité aus dem Jahr 2023 verdienen pflegende Angehörige im Schnitt 25 Prozent weniger. Bei mehr als einer Stunde Pflege pro Tag sind es sogar 35 Prozent weniger. Das macht es nicht nur schwieriger, den Lebensunterhalt zu finanzieren, sondern auch, für das Alter vorzusorgen. Angehörige zu pflegen, wird dadurch zu einem Risikofaktor für Altersarmut. Entgeltersatzleistungen müssen kommen „Da über 70 Prozent der pflegenden Angehörigen weiblich sind, betrifft die später drohende Altersarmut Frauen in besonderem Maße“, erklärt Kreutz. „Es darf nicht sein, dass Frauen Schritt für Schritt ihre Erwerbstätigkeit reduzieren, um sich etwa um behinderte Kinder oder ältere pflegebedürftige Angehörige zu kümmern, und dadurch im Alter selbst der Gefahr der Armut ausgesetzt sind. Die steuerfinanzierte Entgeltersatzleistung muss endlich kommen.“ Der „Unabhängige Beirat für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf“, in dem auch der dbb Mitglied ist, hatte dem Bundesfamilienministerium bereits im August 2022 ein Konzept zur Ausgestaltung von Familienpflegezeit und -geld vorgelegt. Die zentrale Empfehlung ist eine steuerfinanzierte Entgeltersatzleistung für pflegende Angehörige. Diese soll mit dem Familienpflegegeld analog zum Elterngeld ausgestaltet werden und 36 Monate je pflegebedürftige Person umfassen. „Pflegezeiten müssen sich stärker als bisher renten- und versorgungserhöhend auswirken“, fasst Kreutz zusammen. Rückendeckung erhält der dbb mit seinen Empfehlungen von der Wissenschaft: Für die Studienautoren der Charité sind die Empfehlungen „ein wichtiger Schritt für diejenigen, die Pflege und Beruf vereinbaren“. Den Gender-Care-Gap schließen Ein weiteres Zeichen dafür, dass die Ersatzleistungen der richtige Weg sind: Die Charité-Studie sieht in den Empfehlungen des Beirats Potenzial, den Gender-Care-Gap zu verringern. „Die Regelungen könnten ein Anreiz dafür sein, dass pflegende Mütter aus der Vollzeitpflegetätigkeit heraustreten und für die vollberufstätigen Väter ein Anlass, die Arbeitszeit zu reduzieren – so könnten beide Elternteile Pflege und Beruf unter neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen vereinbaren, ohne zu große finanzielle Einbußen hinnehmen zu müssen.“ In der aktuellen Situation fielen leider immer noch viele Frauen in die Kluft des Gender-Care-Gap, kritisiert Kreutz. „Es ist unsere Verantwortung, sicherzustellen, dass pflegende Angehörige nicht ihre eigenen Träume und Sicherheiten opfern müssen, um für ihre Liebsten da zu sein.“ Der europäische Tag der pflegenden Angehörigen am 6. Oktober sowie der bundesweite Aktionstag für pflegende Angehörige am 9. September haben die prekäre Situation pflegender Angehöriger weiter ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Für die Zukunft macht Milanie Kreutz deutlich: „Pflegende Angehörige sind keine Ausnahmeerscheinungen. Sie sind ein integraler Teil unserer Gesellschaft. Es ist an der Zeit, dass unsere Arbeitswelt sich an ihre Bedürfnisse anpasst und Diskriminierung beseitigt.“ Der öffentliche Dienst solle als Vorreiter fungieren und sicherstellen, dass pflegende Angehörige in ihrer beruflichen Entwicklung nicht benachteiligt werden. „Ein fairer und geschlechtergerechter Umgang mit Care-Arbeit beginnt bei uns.“ dsc FRAUEN Model Foto: Pressmaster/Colourbox.de INTERN 27 dbb magazin | November 2023

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