dbb magazin 12/2023

EUROPA Nachgefragt bei Gaby Bischoff, Vizepräsidentin des konstitutionellen Ausschusses im Europäischen Parlament Gaby Bischoff ist SPD-Europaabgeordnete für Berlin. Sie ist Co-Autorin des Berichts, den der konstitutionelle Ausschuss (AFCO) am 5. Oktober 2023 für eine Reform der Europäischen Union vorgelegt hat. Die EU muss handlungsfähiger werden Der Verfassungsausschuss des Europäischen Parlaments fordert eine Reform der Europäischen Union. Warum benötigt die EU eine Reform? Die EU braucht eine Reform, damit sie endlich wieder handlungsfähiger wird. Seit der Gründung der Europäischen Union ist die Anzahl der Mitgliedstaaten stetig gewachsen. Mittlerweile hängen gemeinsame Positionierungen der EU von insgesamt 27 Mitgliedstaaten ab. In vielen Politikfeldern gilt weiterhin das Einstimmigkeitsprinzip, und das ist nicht mehr zeitgemäß. Daher fordern wir als Europäisches Parlament, dass in Zukunft Entscheidungen in nahezu allen Politikfeldern mit qualifizierter Mehrheit angenommen werden. Wir möchten es nicht mehr ermöglichen, dass einzelne Mitgliedstaaten dringende Entscheidungen mit ihrem Veto blockieren können, um ausschließlich nationale Interessen durchzusetzen. Was sind die wichtigsten Vorschläge, die EU erweiterungsfähig und insgesamt handlungsfähiger zu machen? Die Vorschläge, an denen wir momentan arbeiten, lassen sich in zwei Kategorien aufteilen. Zum einen machen wir Vorschläge für eine neue institutionelle Architektur der EU. Zum anderen machen wir Vorschläge für die Entwicklung einzelner Politikfelder. Wie bereits erwähnt, wäre der Übergang von Einstimmigkeitsentscheidungen zu Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit ein wichtiger Schritt, um die Handlungsfähigkeit der EU zu stärken. Darüber hinaus fordern wir mehr Kompetenzen für die EU, zum Beispiel im Bereich Sozialpolitik, damit wir stärkere Weichen stellen können für die Armutsbekämpfung, qualitativ hochwertige Jobs und bezahlbaren Wohnraum. Wir fordern, dass die europäische Säule sozialer Rechte zur Leitlinie wird für die Beschäftigungs- und Sozialpolitik auf europäischer Ebene. Ebenso sollte ein Protokoll zum sozialen Fortschritt (soziale Fortschrittsklausel) in die Verträge aufgenommen werden. Daneben fordern wir eine neue ausschließliche Zuständigkeit für die europäische Ebene für die Bekämpfung des Klimawandels mit einem direkten Verweis auf die vereinbarten internationalen Standards. Als Europäisches Parlament möchten wir auch eine stärkere Rolle spielen als einzig direkt gewählte EU-Institution, insbesondere in Bezug auf das Initiativrecht, das Untersuchungsrecht, das Wahlrecht und den Antrag auf ein Misstrauensvotum gegen individuelle Kommissionsmitglieder. Wie sehen Sie die Chancen, dass die Regierungen sich im Europäischen Rat den Forderungen des Parlaments anschließen? Der Rat war bislang kein Motor für institutionellen Fortschritt. Im Gegenteil stand der Rat bislang zumeist auf der Bremse, sei es während der Zukunftskonferenz oder in Reaktion auf unsere Resolutionen für einen Konvent. Ich glaube trotzdem, dass es ein Momentum gibt für die Weiterentwicklung der EU. Vor über ei- © Fionn Grosse INTERN 29 dbb magazin | Dezember 2023

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