dbb magazin 1-2/2024

dbb magazin dbb Jahrestagung | Starker Staat – wehrhafte Demokratie Interview | Nancy Faeser, Bundesministerin des Innern und für Heimat Jahresbericht des NKR | Mehr Digitalisierung, weniger Bürokratie 1-2 | 2024 Zeitschrift für den öffentlichen Dienst

STARTER 16 5 TOPTHEMA dbb Jahrestagung 2024 AKTUELL NACHRICHTEN Initiative kulturelle Integration: Zusammenhalt in Vielfalt 4 65. DBB JAHRESTAGUNG Starker Staat – wehrhafte Demokratie 5 NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst: „Wir brauchen einen starken öffentlichen Dienst“ 8 Peter Müller, Bundesverfassungsrichter a. D.: Rechtsstaat mit Vollzugsdefzit 10 TARIFPOLITIK Einkommensrunde 2023 TV-L: Im Gleichklang mit Bund und Kommunen 14 FOKUS INTERVIEW Nancy Faeser, Bundesministerin des Innern und für Heimat: Wer Vertreter unseres Staates attackiert, muss die strafrechtlichen Konsequenzen spüren 16 BEAMTE Private Pflegeversicherung: Beitragserhöhungen im Faktencheck 18 BLICKPUNKT Jahresbericht 2023 des Nationalen Normenkontrollrates: Mehr Digitalisierung, weniger Bürokratie 20 NACHGEFRAGT Prof. Sabine Kuhlmann, Nationaler Normenkontrollrat (NKR): Verwaltung muss digitaler werden 22 ONLINE KI in der Verwaltung: Paradigmenwechsel oder netter Bonus? 24 ANALYSE AI-Act der Europäischen Union: Chancen maximieren, Risiken minimieren 26 PRÄVENTION Psychische Erkrankungen: Gesund arbeiten, Vorurteile abbauen 28 INTERN dbb FORUM ÖFFENTLICHER DIENST digital: Deutsches Berufsbeamtentum und Menschenrechte – gab’s da ein Problem? 30 FRAUEN Equal Care: Fürsorge darf nicht zum Sorgefall werden 34 SERVICE Impressum 41 KOMPAKT Gewerkschaften 42 24 Demokratie ist „work in progress“ Aktueller hätte das Motto der dbb Jahrestagung 2024 nicht sein können: „Starker Staat – wehrhafte Demokratie“ sind Grundvoraussetzungen für eine lebendige, diskursfeste und widerstandsfähige Gesellschaft. Nur sie ist in der Lage, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung zu verteidigen und den Schutz von Minderheiten gegen extremistische Angriffe und Populismus zu gewährleisten. Dass es den Bürgerinnen und Bürgern mehrheitlich ernst damit ist, haben sie jüngst auf zahlreichen Kundgebungen gegen Rechtsextremismus in der ganzen Bundesrepublik bewiesen. Jetzt ist es an der Politik, das Vertrauen derjenigen in den Staat und seine Institutionen zurückzugewinnen, die sich vernachlässigt und abgehängt fühlen. Der Schutz der Demokratie ist „work in progress“: Er erfordert nicht nur die aktive Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger, sondern auch die ständige Überprüfung und Anpassung von Institutionen. dbb Chef Ulrich Silberbach hat auf der Jahrestagung in Köln klargemacht, dass einer aktuellen Umfrage des dbb zufolge die Bürgerferne der Politik für 64 Prozent der Deutschen zur größten Gefahr für die Demokratie geworden ist. Die Politik muss wieder Orientierung und verlässliche Leitplanken vorgeben. Dass ein Wandel in der politischen Kultur notwendig ist, haben die zahlreichen in der jüngsten Vergangenheit vom Bundesverfassungsgericht kassierten Gesetze gezeigt. Das hat ein schlechtes Licht auf die Politik geworfen. Mangelnde Achtung vor dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit hat viele Menschen zusätzlich zu den bestehenden multiplen Krisen verunsichert. Die Impulse und Diskussionen der dbb Jahrestagung 2024 haben einen Teil dazu beigetragen, den Blick von Entscheiderinnen und Entscheidern aus Politik, Verwaltung und Gesellschaft für die Risiken zu schärfen. br 32 © Anne Nygård/Unsplash.com AKTUELL 3 dbb magazin | Januar/Februar 2024

NACHRICHTEN Initiative kulturelle Integration Zusammenhalt in Vielfalt Ein breites Bündnis setzt sich für ein solidarisches Miteinander in einer bunter werdenden Gesellschaft ein. Auch der öffentliche Dienst muss dafür einen Beitrag leisten. Die Initiative kulturelle Integration (IKI), der auch der dbb sowie 27 weitere Organisationen angehören, hat bereits 2017 in einer Publikation 15 Thesen zum „Zusammenhalt in Vielfalt“ vorgelegt. Diese wurden unter anderem mit Blick auf Herausforderungen für freiheitliche Demokratien sowie geo- und sicherheitspolitische Veränderungen überarbeitet und in der neuen Fassung am 18. Dezember 2023 an den Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes, Wolfgang Schmidt, übergeben. Als Vertreterin für den dbb war die stellvertretende Bundesvorsitzende Simone Fleischmann bei dem Termin. Sie unterstrich die Rolle des öffentlichen Dienstes für die solidarische Gesellschaft: „Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Staat hat zuletzt arg gelitten. Das liegt auch daran, dass die öffentliche Daseinsfürsorge nicht mehr so zuverlässig funktioniert, wie wir das über Jahrzehnte gewohnt waren. Der Staat ist aber kein Selbstzweck, er soll den Menschen dienen und ihr Leben besser machen. Da müssen wir wieder hinkommen.“ Der öffentliche Dienst könne aber auch noch einen stärkeren Beitrag für eine buntere Gesellschaft leisten. „Die Vielfalt der Gesellschaft sollte sich im öffentlichen Dienst wiederfinden“, so Fleischmann. „Dazu gehören beispielsweise auch mehr Personen mit Zuwanderungsgeschichte im Staatsdienst. Wir sind überzeugt, dass mehr Diversität ein Gewinn für den öffentlichen Dienst wäre. Hier bedarf es mehr politischer Initiativen und Unterstützung für die verantwortlichen Führungskräfte.“ Die Initiative kulturelle Integration wurde 2016 vom Deutschen Kulturrat, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, dem Bundesministerium des Innern, von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und der Beauftragten der Bundesregierung für Integration ins Leben gerufen. Sie ist ein breites gesellschaftliches Bündnis, dem neben den Initiatoren die Kulturministerkonferenz, die kommunalen Spitzenverbände, die Sozialpartner, die Kirchen und Religionsgemeinschaften, die Medien und zivilgesellschaftliche Organisation einschließlich Migrantenorganisationen angehören. Die 15 Thesen als Broschüre: t1p.de/15thesen. ■ Übergabe der 15 Thesen an Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt. © Jule Roehr 4 AKTUELL dbb magazin | Januar/Februar 2024

??? JAHRESTAGUNG dbb Jahrestag Einladung 230623_dbb_Jahrestagung_2024_Einladung_210x210mm.indd 2 65. dbb Jahrestagung Starker Staat – wehrhafte Demokratie Geopolitische Herausforderungen, Wahlen in Europa und in einigen deutschen Bundesländern, Vertrauensverlust in die Demokratie, Modernisierungsdruck im öffentlichen Dienst: Das Jahr 2024 wird Staat und Gesellschaft grundlegende Entscheidungen abverlangen. Eine stabile öffentliche Infrastruktur erweist sich dabei mehr denn je als Grundpfeiler eines friedlichen Zusammenlebens. Diese Herausforderungen beleuchteten Gäste aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Gesellschaft auf der 65. Jahrestagung des dbb vom 8. bis 9. Januar 2024 in Köln. Zur Eröffnung skizzierte der stellvertretende Bundesvorsitzende des dbb und Fachvorstand Tarifpolitik Volker Geyer den Anspruch der Jahrestagung, aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklungen aufzugreifen und Impulse für den öffentlichen Dienst zu setzen. Der Handlungsbedarf sei dringend, und nur darüber zu reden werde nicht reichen. „Im Wahljahr 2024 geht es um nicht weniger als um die Frage, wie wir unsere freiheitliche Demokratie verteidigen und unseren Rechtsstaat zukunftsfest gestalten. Es liegt an uns allen, uns aktiv für die Demokratie einzusetzen.“ Nach Auffassung der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker ist die lange Phase der Sicherheit, des garantierten Wohlstandes und der Planbarkeit der vergangenen Jahrzehnte vorbei. Gleichzeitig „ist die Demokratie selbst das beste Instrument, um Krisen zu überstehen“. Es müsse jedoch auch anerkannt werden, „dass zwischen der Erwartung an den Staat und seinem Leistungsniveau eine so eklatante Lücke entstanden ist, dass daraus eine Legitimationskrise für unseren Rechtsstaat entstehen kann“, sagte Reker und hob hervor, dass die Kommunen mit ihren Beschäftigten bei der Krisenbewältigung Hervorragendes geleistet hätten und weiter leiste- © Marco Urban (7) Volker Geyer Henriette Reker © Marco Urban (7) AKTUELL 5 dbb magazin | Januar/Februar 2024

??? ten: „Die Menschen können sich auf die Kommunen und ihre Bediensteten verlassen, sonst ginge in Deutschland schon lange nichts mehr.“ Silberbach: Vertrauen in den Staat wiederherstellen Der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach forderte in seiner Auftaktrede umfangreiche Investitionen in den öffentlichen Dienst. Ein schwacher Staat gefährde die Demokratie. Laut Umfragen gehen nur 27 Prozent der Bürgerinnen und Bürger davon aus, dass der Staat seine Aufgaben erfüllen kann. Silberbach machte deutlich: „Wenn das Vertrauen in die Politik nicht weiter schwinden soll, dann müssen den Menschen im Land klare Perspektiven aufgezeigt werden. Kein Verwalten, sondern Gestalten!“ Zur Finanzierung müssten „alle Staatsausgaben auf den Tisch, alles muss geprüft werden. Ob darüber hinaus die Schuldenbremse neu justiert oder neue Sondervermögen auf den Weg gebracht werden müssen, sei dahingestellt. Klar ist für mich: Es muss investiert werden.“ Beispielhaft nannte Silberbach mehr Geld für Bildung, Sicherheit und Infrastruktur. Seit der Gründung der Bundesrepublik habe es noch nie einen so großen Investitionsstau gegeben. Eine aktuelle Umfrage im Auftrag des dbb hat gezeigt, dass die Bürgerferne der Politik für 64 Prozent der Bevölkerung eine der größten Gefahren für die Demokratie ist. Um das Vertrauen sowohl der Bürgerinnen und Bürger als auch gerade der Beschäftigten im öffentlichen Dienst in den Staat wiederherzustellen, sei ein Wandel in der politischen Kultur notwendig. Silberbach: „Zur Wahrheit über den Vertrauensverlust gehört für mich auch, dass es oft gar nicht die konkreten Entscheidungen in Sachfragen sind, die die Menschen erschüttern, sondern das Gefühl, dass es viele Verantwortliche nicht allzu genau nehmen mit der Achtung vor dem Rechtsstaat. Verfassungswidrige Besoldung, verfassungswidrige Haushalte, immer mehr von Karlsruhe kassierte Gesetze … jede Nachwuchskraft im öffentlichen Dienst fragt sich doch, ob sie in der Ausbildung etwas verpasst hat, was da lautet ‚kreativer Umgang mit dem Recht‘.“ Auch die immer noch mangelhafte Digitalisierung der Verwaltung ist für den dbb Chef eine Ursache für den verbreiteten Frust in der Bevölkerung: „Menschen, die mit digitalen Verwaltungsangeboten zufrieden sind, bewerten auch die Leistungsfähigkeit des Staates höher – da sind wir wieder beim Punkt ,Vertrauen‘. Allerdings halten aktuell nur drei Prozent der Bürgerinnen und Bürger Deutschland bei der Digitalisierung für gut aufgestellt.“ Hier erwarte er endlich Fortschritte, denn die Probleme seien alle längst bekannt. „An den Beschäftigten im öffentlichen Dienst wird es jedenfalls nicht scheitern“, stellte Silberbach klar. „Ganz im Gegenteil: Die Kolleginnen und Kollegen sehen in erster Linie die Chancen für ihre Arbeit.” Krösser: Kompromisse sind gefragt Bernd Krösser, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, würdigte in seiner Rede die Leistung des öffentlichen Dienstes: „Für Ihre Arbeit im Dienst der Menschen überbringe ich den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes den Dank der gesamten Bundesregierung“, sagte Krösser. Er wies darauf hin, dass im Bereich des Bundes zuletzt enorm viele Stellen geschaffen worden seien, gerade im Bereich der Bundespolizei und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Die Arbeit für den Staat sei auch weiterhin für Nachwuchs- und Fachkräfte attraktiv, zeigte sich Krösser überzeugt. Trotzdem wolle der Bund bei Aus- und Fortbildung sowie Digitalisierung noch mehr tun und besser werden. Eine Absage erteilte Krösser dagegen der Forderung nach der generellen Absenkung der Wochenarbeitszeit für Beamtinnen und Beamte des Bundes, weil diese die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes einschränken würde. Mit Blick auf das Thema der dbb Jahrestagung attestierte Krösser, dass die Bundesregierung seit ihrem Amtsantritt praktisch permanent im Krisenmodus arbeite. Dies präge auch das Gefühl der Bevölkerung, dass die Zukunft unsicherer werde. „Diese Unsicherheit ist schwierig für die Demokratie, weil die Menschen nach Orientierung suchen“, so der Staatssekretär. Gleichzeitig nehme die Diversität der Interessen in der Gesellschaft zu, was die Gesetzgebung schwieriger mache. „Deshalb sind von uns allen – auch den Interessenvertretungen – mehr Kompromisse gefragt.“ Diskussion zur Europawahl: freie Gesellschaften in Gefahr? Mit Blick auf die Europawahl 2024 diskutierte das deutsche Spitzenpersonal auf der dbb Jahrestagung die Herausforderungen für die Europäische Union. In ihrem Impulsvortrag attestierte Dr. Jana Bernd Krösser Ulrich Silberbach „Klar ist: Es muss investiert werden.“ Ulrich Silberbach 6 AKTUELL dbb magazin | Januar/Februar 2024 JAHRESTAGUNG

??? „Von uns allen sind mehr Kompromisse gefragt.“ Bernd Krösser Puglierin vom European Council on Foreign Relations eine Erosion der bestehenden Systeme: „Sollte Trump Ende 2024 die US-Wahl gewinnen, wird er die Demokratie nicht umbauen, sondern abbauen. Ein Sieg der Republikaner würde genau die Kräfte in Europa stärken, die solche autoritären Systeme wollen.“ Russlands Krieg habe Europas Abhängigkeit von den USA verstärkt, die Allianz mit den USA stehe aber auf der Kippe, wenn autokratische Bewegungen weiter an Stärke gewinnen. „Gleichzeitig strebt Russland eine neue Allianz mit China an. Das bedroht unsere Weltvorstellung, in der die Stärke des Rechts gilt, nicht das Recht des Stärkeren.“ In den kommenden Jahren werde die EU vor schwierigen Entscheidungen stehen, mit wem sie Allianzen eingehen oder beenden wolle. Europas Ausrichtung werde massive Folgen für alle Bürgerinnen und Bürger haben. Sie plädierte für mehr Initiative: „Wir Europäerinnen und Europäer sind kein Spielball der Geschichte, wir haben unser Schicksal selbst in der Hand.“ Im Anschluss diskutierten die deutschen Spitzenkandidatinnen und -kandidaten für die Europawahl. Gegen die globale Krise sah Katarina Barley (SPD) den Kontinent besser gewappnet, als man es in Deutschland wahrnehme. Allerdings sei die Europäische Union „ein Tanker, der in voller Fahrt umgebaut wird und der weitere Reformen umsetzen muss“. Mit Blick auf einen drohenden Rechtsruck betonte die Sozialdemokratin, dass Social Media inzwischen zu einem Vehikel des politischen Extremismus geworden sei – die gemeinsame „Realitätsbasis“ gehe verloren. Deshalb gehe es beim Thema Demokratie auch um Resilienz. Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (FDP) betonte die Notwendigkeit, trotz der globalen Krisen in der Welt positiv zu bleiben. „Wenn man immer nur in den Abgrund schaut, muss man sich nicht wundern, wenn man da irgendwann auch landet“, sagte die passionierte Motorradfahrerin und schickte prompt ein Zitat ihres Fahrtrainers hinterher: „Guckst du scheiße, fährst du scheiße.“ Der Zustand der Demokratie bereite ihr Sorgen, betonte die Politikerin. Problematisch sei, wenn Menschen nicht mehr sehen, dass alle trotz Meinungsunterschieden immer noch eine Gemeinschaft sind. Diese Gemeinschaft werde von Kräften am rechten Rand infrage gestellt. Strack-Zimmermann: „Wir müssen Radikale radikal raushalten.“ Die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union sicherstellen – das ist für Terry Reintke (Grüne) ein zentrales Anliegen. Aktuell stelle eine einzige Person die Handlungsfähigkeit Europas infrage, namentlich: Viktor Orban, der ungarische Ministerpräsident. „Das ist untragbar, Orban nimmt alle in Geiselhaft.“ Große Bedeutung maß Reintke daher dem Weimarer Dreieck zu, der Zusammenarbeit zwischen Berlin, Paris und Warschau. Mit dem Regierungswechsel in Polen bestehe die Chance, das Format wieder aufleben zu lassen. Für die kommende Legislaturperiode warb die Grünen-Politikerin für den Zusammenhalt der proeuropäischen Fraktionen. „Sie haben in der Vergan- genheit in den meisten Fällen die Mehrheiten gebildet, das soll auch in Zukunft so bleiben.“ Axel Voss (CDU) legte den Fokus auf die Handlungsfähigkeit Deutschlands. „Wir sind derzeit nicht in der Lage, Zeitenwenden durch neue Priorisierungen zu begleiten.“ Es setze Mut und Entschlossenheit voraus, dem Handlungsdruck zu begegnen. Daran fehle es der Politik aktuell: „Ich sehe derzeit nicht, dass wir ernsthaft an die Probleme herangehen, und ich vermisse auch in der politischen Mitte das Zusammenstehen und das zielorientierte Arbeiten.“ Mit Blick auf Strategien, antidemokratische Kräfte im Zaum zu halten, gelte es, sich den Lebenswirklichkeiten der Bürgerinnen und Bürger zu stellen und schneller ernsthafte Lösungen anzubieten. Je unzufriedener die Menschen seien, desto eher wendeten sie sich populistischen und demokratiefeindlichen Kräften zu. ada, br, cdi, dsc, ef Axel Voss, Terry Reintke, Marie Agnes Strack-­ Zimmermann und Katarina Barley diskutierten mit Moderatorin Anke Plättner (von links). Jana Puglierin AKTUELL 7 dbb magazin | Januar/Februar 2024 dbb Jahrestag Einladung 230623_dbb_Jahrestagung_2024_Einladung_210x210mm.indd 2

??? NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst „Wir brauchen einen starken öffentlichen Dienst“ Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst, hat auf der dbb Jahrestagung 2024 für einen handlungsfähigen Staat geworben. Wir brauchen einen starken öffentlichen Dienst. Denn auf den ist auch in Krisen Verlass“, sagte Wüst insbesondere mit Blick auf das Hochwasser in den vergangenen Wochen. Ehrenamtliche und Hauptamtliche hätten gemeinsam mit den Betroffenen erfolgreich zusammengearbeitet, das habe gezeigt: „Der Zusammenhalt stimmt.“ Auch in der Silvesternacht sei es gelungen, die Zahl der Straftaten niedrig zu halten. „Wir können dankbar sein, dass die Rettungskräfte und speziell die Polizei einen so guten Job gemacht haben.“ Die zahlreichen nationalen und internationalen Krisen seien für alle, vor allem aber für Politik und öffentlichen Dienst, eine stetige Herausforderung. Staatliche Strukturen arbeiteten „am Limit“, betonte Wüst. 340 000 Menschen seien beispielsweise im vergangenen Jahr in Nordrhein-Westfalen aufgenommen worden. „Alle sagen: ‚Wir sind am Limit.‘ Es ist entscheidend, dass wir uns nicht selbst überfordern. Deshalb muss Migration besser gesteuert werden“, so der Ministerpräsident. Um für zukünftige Aufgaben gerüstet zu sein, müsse der öffentliche Dienst gestärkt und für Nachwuchskräfte attraktiver gemacht werden. Außer einer verbesserten Vereinbarkeit von Beruf und Familie stehe für ihn in NRW eine Reform des Laufbahnrechts im Mittelpunkt. „Wir brauchen auch eine bunte Mischung von Kompetenzen in den Behörden“, betonte Wüst. Nur so könne Deutschland seine Aufgaben erfüllen. ada Fachdebatte zum Berufsbeamtentum Die Verfassung hat Vorrang Die Besoldung der Beamtinnen und Beamten soll noch in diesem Jahr verfassungskonform werden. Das haben Politiker von FDP und Grünen auf der Jahrestagung 2024 zugesichert. Die Bundestagsabgeordneten Konstantin Kuhle (FDP) und Marcel Emmerich (Grüne) versprachen beim traditionellen beamtenpolitischen Fachgespräch auf der dbb Jahrestagung, dass die Bundesregierung noch in diesem Jahr ein Besoldungsgesetz verabschieden wird, um entsprechende Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen. Eine entsprechende Regelung fordert der dbb schon seit langer Zeit. Alle Bundesländer haben bereits Maßnahmen ergriffen, nur auf Bundesebene fehlt eine Regelung. „Das bekommen wir dieses Jahr ins Bundesgesetzblatt“, sagte Kuhle dazu. Die Politik sei zur Umsetzung verpflichtet, diese sei längst überfällig. „Bevor es wieder kalt wird“, ergänzte Emmerich. Auseinander gingen die Meinungen der Vertreter von zwei der drei Regierungsfraktionen bei der Wochenarbeitszeit für Bundesbeamtinnen und -beamte: Kuhle betonte, dass er eine Absenkung derzeit für nicht umsetzbar hält: „Dabei bleibe ich, das ist für mich eine Frage der Glaubwürdigkeit.“ Für Emmerich muss diese hingegen schnellstmöglich umgesetzt werden, alles andere sei eine „himmelschreiende Ungerechtigkeit“. Der Bundestagsabgeordnete Detlef Seif (CDU) unterstrich hingegen, dass zunächst die Personalknappheit überwunden werden müsse, indem eine Fachkräftestrategie umgesetzt wird. Erst dann könne die Arbeitszeit „moderat“ abgesenkt werden. Auch bei möglichen Privatisierungen zeigten sich Differenzen auf dem Podium: Für Emmerich zeige das Beispiel der Deutschen Bahn, dass „davon abzuraten ist, bei staatlichen Aufgaben sein Heil in der Privatisierung zu suchen“. Kuhle warb hingegen für einen differenzierten Blick: „Staatliche, hoheitliche Kernaufgaben gehören nicht privatisiert. Aber es gibt auch Beispiele für erfolgreiche Privatisierungen, die Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger vergünstigt haben.“ Auch laut Seif könnten private Dienstleister durchaus bestimmte Aufgaben erledigen – wenn sichergestellt werde, dass die Privatisierung reversibel sei und nicht zu Fehlentwicklungen führe. br, cdi, ef Hendrik Wüst Lebhafte beamtenpolitische Diskussion: Marcel Emmerich, Konstantin Kuhle und Detlef Seif (zugeschaltet, von links) sowie Moderatorin Anke Plättner. © Marco Urban (2) 8 AKTUELL dbb magazin | Januar/Februar 2024 JAHRESTAGUNG

Chancen und Risiken von KI Die Dampfmaschine des Wissenszeitalters Künstliche Intelligenz (KI) wird die Arbeitswelt auch im öffentlichen Dienst revolutionieren. Welche Rahmenbedingungen notwendig sind, diskutierten renommierte Fachleute auf der Jahrestagung des dbb in Köln. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil zur Folge kann KI die Beschäftigten von Routinearbeiten entlasten, damit sie sich bei ihrer Arbeit auf die wichtigen Aufgaben konzentrieren können. Das sei mit Blick auf die gesamte Wirtschaft wichtig für die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Beispielsweise sei auch in der Pflege konkrete Entlastung möglich, etwa durch den Einsatz von Spracherkennungssoftware in der Dokumentation, unterstrich Heil in seinem Impulsvortrag. Zudem könne KI Arbeit sicherer machen, etwa indem dadurch besonders gefährdete Bereiche für Arbeitsschutzkontrollen identifiziert werden. Was die Sicherheit von KI-Lösungen betrifft, steht Heil auf dem Standpunkt: „Trust is a must – Vertrauen ist eine Grundvoraussetzung für den erfolgreichen KI-Einsatz. Auch bei der Einführung in der Verwaltung müssen die Beschäftigten und die Personalvertretungen deshalb von Anfang an mitgenommen werden.“ Wichtig sei, dass die Regulierung risikobasiert sei – also nur da eingreife, wo es notwendig sei. „Wir wollen KI ja nicht zu Tode regulieren, sondern auch die Chancen nutzen. Klar ist aber auch: KI darf nicht zur Überwachung und Ausbeutung von Beschäftigten führen.“ Ebenso klar sei, dass die Veränderungen rasend schnell kommen werden: „Die Zukunft beginnt jetzt.“ Wo kommt KI bereits in anderen Ländern zum Einsatz? Peter Parycek, Leiter des Kompetenzzentrums Öffentliche IT (ÖFIT), nannte als Beispiel das österreichische Pendant zur deutschen Bundesagentur für Arbeit. Hier würden Informationen Bürgerinnen und Bürgern – extern – mithilfe eines KI-basierten Chatbots zur Verfügung gestellt, aber – intern – auch den Mitarbeitenden. „Die Technologie hilft, Informationen besser aufzubereiten und damit besser zugänglich zu machen“, sagte er. Für den Wissenschaftler sei künstliche Intelligenz „die Dampfmaschine des Wissenszeitalters“. Sie biete das Potenzial, Arbeit schneller und höherwertiger zu erledigen. „Der Mensch wird dadurch nicht obsolet, sondern gestärkt, weil er einen Assistenten an die Seite bekommt.“ Die große Herausforderung sei die Qualitätssicherung. Es komme darauf an, diese über die Ausbildung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst sicherzustellen. Parycek: „Der Mensch muss intelligenter sein als die Maschine. KI ist ein Werkzeug für Expertinnen und Experten.“ Wer die Technologie nutze, müsse selbstverständlich auch zu ethischen Fragen Stellung beziehen. Diese seien von Fall zu Fall, von Anwendung zu Anwendung unterschiedlich. Ebenfalls müsse transparent sein, woher die Informationen stammen, auf welche die KI zurückgreift, betont Parycek. „Insgesamt ist das Potenzial der Technologie größer als ihr Risiko.“ Lena Sophie Müller, Geschäftsführerin der Initiative D21 e. V., forderte, das Thema KI in der Verwaltung nicht schwarz-weiß zu betrachten. „Es geht nicht darum, dass eine KI allein entscheidet, sondern bestimmte Prozessschritte begleitet.“ Die Antwort auf die Angst vor KI sei, den Wandel aktiv mitzugestalten und sich die nötigen Kompetenzen anzueignen. Wenn Entscheidungen getroffen werden, „muss nachvollziehbar sein, wie das System zu dieser Entscheidung gekommen ist“. Man müsse die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes zukunftsfähig machen. „KI wird kein Allheilmittel sein, aber es kann den Fachkräftemangel abmildern.“ Für KI brauche es kein Tempolimit, aber eine StVO. Carsten Köppl, Geschäftsführer der Beratungsagentur Next:Public, skizzierte, dass die Beschäftigten im öffentlichen Sektor nach umfassender Modernisierung verlangen und bereit sind, den digitalen Wandel voranzutreiben. „Der Digitalisierungsdruck kommt nicht mehr nur von außen – er kommt zunehmend von innen. Wie attraktiv die Beschäftigten den öffentlichen Dienst dabei als Arbeitgeber einschätzen, welche Erwartung sie gegenüber der Verwaltungsdigitalisierung hegen und inwiefern sie sich im Bereich IT-Sicherheit auskennen, hat die im Dezember 2023 veröffentlichte Studie ‚Barometer Digitale Verwaltung‘ der Next:Public gezeigt. Demnach sind Beschäftigte der öffentlichen Verwaltungen keine Bremser digitaler Prozesse und Innovationen, sie sind viel mehr Treiber.“ Im Umkehrschluss müsse sich die Verwaltung als moderner, digitaler Arbeitgeber präsentieren, um die erforderlichen Fachkräfte zu binden. Wie weit der öffentliche Sektor im Hinblick auf IT-Implementierung zurückliege, zeige sich am Fehlen einer öffentlichen Verwaltungs-Cloud. „Bis heute darf die Verwaltung keine Cloud-Lösung rechtssicher einsetzen. Sie soll jetzt nach 14-jähriger Diskussion entwickelt werden. Das darf uns bei der KI auf keinen Fall passieren!“ br, cdi, dsc, ef Über KI in der modernen Arbeitswelt diskutierten Carsten Köppl, Peter Parycek und Lena Sophie Müller unter der Moderation von Anke Plättner (von links). Hubertus Heil © Marco Urban (2) AKTUELL 9 dbb magazin | Januar/Februar 2024 dbb Jahrestag Einladung 230623_dbb_Jahrestagung_2024_Einladung_210x210mm.indd 2

??? Bildungspolitik Demokratie beginnt in der Schule Welche Aufgaben muss Schule bei der politischen Bildung leisten und wo sind die Grenzen des Machbaren erreicht? Diese Frage loteten die Teilnehmer des bildungspolitischen Panels der Jahrestagung aus. Wir leben Demokratie in der Schule“, bekräftigte die stellvertretende dbb Bundesvorsitzende Simone Fleischmann, die auch Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV) ist, in ihrem Impulsvortrag. Schule lege eine demokratische Haltung in den jungen Menschen an und trage das demokratische Zusammenleben jeden Tag, sagte die dbb Vize und betonte, dass eine starke Demokratiebildung an den Schulen auch ein Schlüsselfaktor der Integration ist. Fleischmann formulierte fünf Forderungen an die Politik und die Bildungsverwaltungen: die Achtung des Bildungsziels ​Peter Müller, Bundesverfassungsrichter a. D. Rechtsstaat mit Vollzugsdefizit Der Bundesverfassungsrichter a. D. Peter Müller zeigte sich in seinem Vortrag auf der dbb Jahrestagung überzeugt, dass es in den meisten Politikbereichen in Deutschland kein Regelungs-, sondern ein Vollzugsdefizit gibt. Um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Staat und Demokratie zu stärken, müsse dem Rechtsstaat wieder mehr Geltung verschafft werden, hier bestehe Handlungsbedarf. „Wir brauchen keine neuen Regelungen – im Gegenteil, teilweise haben wir eher zu viele“, sagte Müller, der nicht nur Richter am Bundesverfassungsgericht, sondern zuvor auch Ministerpräsident des Saarlandes war, auf der dbb Jahrestagung. Wichtig sei aber, dass die Regelungen auch für alle gelten würden. „Das Gewaltmonopol des Staats etwa ist nur glaubwürdig, wenn Recht auch durchgesetzt wird.“ Gegen das derzeitige Vollzugsdefizit helfen nur eine angemessene Personalausstattung sowie ordentliche Bezahlung im öffentlichen Dienst. „Das Bundesverfassungsgericht hat unter seinem ehemaligen Präsidenten Andreas Voßkuhle klare Regeln für die amtsangemessene Alimentation aufgestellt. Trotzdem liegen in Karlsruhe 40 Vorlagen zum Thema“, sagte Müller und forderte die Politik auf, sich in dieser Angelegenheit und in Haushaltsfragen an das geltende Recht zu halten. „Die Verfassung gilt auch für den Gesetzgeber“, mahnte Müller. Mit Blick auf die zuletzt zahlreichen Demonstrationen in der Bundesrepublik ergänzte er: „Die Meinungsfreiheit und das Versammlungsrecht müssen der Demokratie heilig sein. Aber auch hier müssen Recht und Gesetz konsequent Anwendung finden, das gilt natürlich ebenso für die ‚Letzte Generation‘ wie für die Bauern.“ Um die Identifikation gerade junger Menschen mit dem Staat zu stärken, kann sich der ehemalige Bundesverfassungsrichter eine allgemeine Dienstpflicht vorstellen. Müller: „Ich halte das für durchaus attraktiv, um das demokratische Gemeinwesen zu stärken.“ So könne Heranwachsenden auch vermittelt werden, dass das Leben in einer freiheitlichen Gesellschaft auch ein Bemühen um ihren Erhalt erfordert. ef Peter Müller Simone Fleischmann © Marco Urban (2) © Marco Urban 10 AKTUELL dbb magazin | Januar/Februar 2024 JAHRESTAGUNG

??? Demokratie, die Stärkung der politischen Bildung und der Ausprägung einer politischen Medienkompetenz und einen demokratischen Unterricht. In der Lehrerbildung müsse Demokratiebildung in den Mittelpunkt gestellt werden. Schlussendlich sieht Simone Fleischmann demokratische Bildung als eine gemeinsame Aufgabe von Eltern und Schule. Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing, Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes (DPhV) und Vorsitzende der dbb Fachkommission Bildung und Wissenschaft, ist überzeugt, dass die Schulen mit der Demokratiebildung nicht überfordert, sondern von ihr herausgefordert sind. „Schule ist eine Chance, Gesellschaft aktiv zu beeinflussen.“ Jugendliche und Kinder lernten dort, zu argumentieren und sich mit demokratischen Mitteln Gehör zu verschaffen statt zuzuschlagen. „Wir dürfen uns aber nicht einer naiven Idee von Demokratieerziehung hingeben, die immer gelingt.“ Lin-Klitzing bemängelte, dass das Grundgesetz derzeit keinen festen Platz in der Lehrerausbildung habe, obwohl dort viele Grundlagen von Schule enthalten seien. Sie forderte: „Die Auseinandersetzung mit dem Grundgesetz gehört für jede Lehramtsstudentin und jeden Lehramtsstudenten dazu!“ Verpflichtende bundesweite Mindeststandards allein würden es allerdings nicht richten. Der Bildungsstaatssekretär des Landes Sachsen-Anhalt, Jürgen Böhm, pflichtete Lin-Klitzing darin bei, die demokratische Grundbildung von Lehrkräften zu verstärken. „Dazu braucht es aber keine neuen Fächer, sondern eine konsequente fächerübergreifende Vermittlung von Demokratiebildung.“ Weiter müssten bereits in der frühkindlichen Erziehung erste Impulse gesetzt werden. „Demokratiebildung gehört daher auch in die Kindergärten“, sagte Böhm. „Wir dürfen Schule nicht immer schlechtreden. Natürlich hat die Gesellschaft Probleme zu lösen. Aber wir leben in einer sehr klar demokratischen Gesellschaft, für die es sich einzustehen lohnt. Ich bin zum Beispiel ein Fan von Schülermitverwaltung, die junge Menschen zum Engagement motiviert und ihnen Teilhabe an Entscheidungsprozessen ermöglicht.“ Thomas Jarzombek, bildungspolitischer Sprecher der CDU/CSUBundestagsfraktion, betonte die Notwendigkeit sicherzustellen, dass Schule Basiskompetenzen wie Lesen und Schreiben vermittelt. Denn darauf baue alles Weitere auf. Deshalb setze sich seine Partei für verbindliche Tests ein. Für den Umgang mit sozialen Medien forderte er ein konsequentes Vorgehen gegen Falschinformationen. „Wir brauchen eine Positivkennzeichnung. Alle müssen erkennen, wer Inhalte erstellt hat und ob man diesen vertrauen kann“, sagte der Politiker. Dazu gehöre auch, dass bestimmte Inhalte gelöscht werden – angesichts der Masse an Falschinformationen, hinter denen unter anderem Terrororganisationen und Staaten wie Russland stecken, die versuchen, die Demokratie auszuhebeln. Jochen Ott, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag NordrheinWestfalen, beklagte, dass die politische Bildung in den Schulen zu kurz kommt. Dies hätte auch eine Untersuchung der Universität Bielefeld ergeben. „Der Politikunterricht wird oft als Laberfach abgetan“, sagte Ott. Es könne nicht sein, dass der Besuch des Bundestages abgesagt wird, weil eine Klassenarbeit ansteht, oder der Besuch des Konzentrationslagers wegen Vokabeltests abgesagt wird. „Da müssen wir zwingend unsere Prioritätensetzung überdenken“, forderte der Politiker. Entscheidend sei, jungen Menschen zu vermitteln, dass sie ihre Lebensumstände verbessern können und eine bessere Zukunft möglich ist. „Wir müssen zur Selbstbefähigung beitragen.“ ada, br, cdi, ef Stellten die Demokratiebildung auf den Prüfstand: Susanne Lin-Klitzing, Thomas Jarzombek, Jürgen Böhm, Jochen Ott und Anke Plättner (von links). 12 AKTUELL dbb magazin | Januar/Februar 2024 JAHRESTAGUNG

??? Kommunalpolitik Mehr Geld und Personal gefordert Braucht Deutschland eine Staatsreform zur Stärkung der Kommunen oder genügt es, einfach mehr Geld in die kommunale Infrastruktur zu pumpen? Diese Frage stand auf dem kommunalpolitischen Panel der Jahrestagung im Fokus. Nach Auffassung von Dr. André Berghegger, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB), ist permanente Aufgabenkritik ein Bestandteil gelingender kommunaler Planung. „Dezentralisierung und Föderalismus müssen mit Leben gefüllt werden“, sagte er. „Dazu bedarf es keiner perfektionistischen Überregulierung, sondern praktischer Lösungen vor Ort sowie einer leistungsfähigen Verwaltung mit ausreichender Personal- und Finanzausstattung.“ Hinterfragt werden müsse in diesem Zusammenhang auch das Verhältnis von Staat und Gesellschaft. Beispiel Kinderbetreuung: Trotz Mehreinstellungen fehle es vielen Kommunen an allen Ecken und Enden an Personal für diesen Bereich, weil auch dort immer neue Aufgaben geschultert werden müssten. „Für eine faire Verteilung im Finanzausgleich müssen die Kommunen wieder stärker einbezogen werden, denn ein Großteil politischer Entscheidungen wird dort umgesetzt.“ Das unterstrich auch Lena Burth, Bürgermeisterin der Stadt Ostrach im baden-württembergischen Landkreis Sigmaringen. „Die Kommunen sind die erste Anlaufstelle der Menschen und Träger der Demokratie“, sagte sie. Burth ist mit 26 Jahren die jüngste Bürgermeisterin Deutschlands. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Digitalisierung der Verwaltung. „Ich finde es schockierend, wie weit wir zurückliegen.“ Aktuell arbeite sie daran, ein digitales Managementsystem für Dokumente zu etablieren. Das sei alles machbar und lösbar, aber brauche noch Zeit. Ganz grundsätzlich appellierte Burth an den Gesetzgeber: Wenn ein Gesetz beschlossen werde, müsse man sich auch über die damit einhergehenden langfristigen Kosten sowie den Personalbedarf Gedanken machen. Wenn das Geld nicht ausreiche, habe eine Kommune zwei Möglichkeiten: die Steuern und Gebühren erhöhen oder zulasten der Lebensqualität der Menschen sparen. Beides sei nicht erstrebenswert. Ramona Schumann, Bürgermeisterin der Stadt Pattensen in Niedersachsen, erlebt ihre Kommune nicht als überfordert: „Egal wie groß die Herausforderungen sind, die Kommunen haben immer wieder gezeigt, wie leistungsfähig sie sind. Krise ist auf kommunaler Ebene längst der Normalmodus. Aber auch uns trifft natürlich der Fachkräfte- und noch mehr der Führungskräftemangel. Mehr Geld hilft, löst allein aber unsere Probleme nicht. Wir brauchen andere Strukturen. Wir sind nicht schnell und agil genug.“ Ferner müssten die staatlichen Ebenen einander mehr vertrauen: „Ich benötige keine übergeordnete Behörde, die auf mich aufpasst und mir ‚goldene Zügel‘ anlegt, indem mir immer detailliertere Vorgaben zur Mittelverwendung gemacht werden. Kommunen sind selbstverwaltete Gebietskörperschaften, und meine Bürgerinnen und Bürger signalisieren mir schon ganz deutlich, wo ich Prioritäten setzen muss.“ Außerdem sollten die Aufgaben da erledigt werden, wo sie politisch beschlossen werden. „Es ist doch Irrsinn, dass in Deutschland ganz oben neue Leistungen geschaffen werden, die dann ganz unten, auf kommunaler Ebene, erbracht werden müssen.“ Ein weiteres großes Problem der kommunalen Arbeit ist aus Sicht von Ramona Schumann der zunehmende Populismus in den Stadt- und Gemeinderäten. „Das führt zur Zersplitterung der politischen Landschaft und zur gegenseitigen Blockade in den Räten.“ Andreas Hemsing, stellvertretender dbb Bundesvorsitzender und Vorsitzender der komba gewerkschaft, verwies darauf, dass kommunale Aufgaben angesichts des Personalmangels nicht gestemmt werden könnten. Beispiel Gelsenkirchen: „Da gab es in den vergangenen Jahren aufgrund von Flucht und Migration 3 000 zusätzliche Kinder in der frühkindlichen Bildung, dabei war das Personal ohnehin schon knapp. Das führt bei Bürgerinnen und Bürgern zu Frust.“ Abschließend stellte er die Frage der Verhältnismäßigkeit: „Die Kommunen tätigen 25 Prozent der staatlichen Ausgaben, bekommen aber nur 14 Prozent der Steuereinnahmen.“ Dies sei nicht hinnehmbar. br, cdi, ef, zit Mehr Geld, mehr Aufgabenkritik oder eine Mischung aus beidem? Über die Finanzierung der Kommunen stritten André Berghegger, Ramona Schumann, Andreas Hemsing und Lena Burth unter der Moderation von Anke Plättner (von links). © Marco Urban AKTUELL 13 dbb magazin | Januar/Februar 2024 dbb Jahrestag Einladung 230623_dbb_Jahrestagung_2024_Einladung_210x210mm.indd 2

TARIFPOLITIK Den am 9. Dezember 2023 in Potsdam erzielten Tarifabschluss mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) wertet der dbb als großen Erfolg. „Wir haben mit Bund und Kommunen gleichgezogen“, sagte dbb Chef Ulrich Silberbach zur Tarifeinigung. Die Arbeitgebenden hätten eingesehen, „dass sie es sich schon aus Eigeninteresse nicht leisten können, auf einem immer härter umkämpften Arbeitsmarkt bei der Bezahlung weiter zurückzufallen. Wer Beschäftigte binden und motivieren will, muss sie wettbewerbsfähig bezahlen“, so Silberbach weiter. Die Einkommenssteigerungen liegen zwischen 8 und 16 Prozent. „Die massiven Warnstreiks und Demonstrationen in den Wochen vor dem Durchbruch haben entscheidend dazu beigetragen, eine Einigung zu finden. Der nächste Schritt ist auch schon klar: Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass die Länder den Tarifabschluss zeitgleich und systemgerecht auf die Landes- und Kommunalbeamten sowie auf die betroffenen Pensionäre übertragen. Zeitspiel werden wir nicht dulden“, erklärte der dbb Bundesvorsitzende und verwies darauf, dass beim Thema Eingruppierung von Lehrkräften weiter dringender Handlungsbedarf bestehe: „Darauf werden wir bei nächster Gelegenheit zurückkommen.“ Vor der entscheidenden Verhandlungsrunde hatten die Beschäftigten den Protest gegen das ausbleibende Angebot der Arbeitgebenden bundesweit auf die Straßen getragen. Großkundgebungen, Warnstreiks und Protestaktionen hatten unter anderem in Düsseldorf, Mainz, Dresden, Saarbrücken, Stuttgart, Nürnberg und München stattgefunden, teils mit mehreren Tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Zu einer großen Solidaritätskundgebung hatten sich am 8. Dezember Mitglieder von dbb, DPolG und GDL in Potsdam zusammengefunden, um gemeinsam für höhere Einkommen im öffentlichen Dienst der Länder und bei der Bahn zu demonstrieren. Parallel lief bei der Bahn ein 24-Stunden-Warnstreik der Gewerkschaft Deutscher Gemeinsam für gerechte Einkommen: dbb Fachvorstand Tarifpolitik Volker Geyer, der Bundesvorsitzende der DPolG, Rainer Wendt, sowie der GDL-Vorsitzende und dbb Vize Claus Weselsky und dbb Chef Ulrich Silberbach (von links). Mainz, 4. Dezember Einkommensrunde 2023 TV-L Im Gleichklang mit Bund und Kommunen © Kristina Schäfer © Friedhelm Windmüller (3) 14 AKTUELL dbb magazin | Januar/Februar 2024

Nürnberg, 29. November Lokomotivführer (GDL). „In beiden Tarifrunden geht es um Wertschätzung für geleistete Arbeit, die Mitarbeiterbindung und -gewinnung sowie die Sicherung und Stärkung der öffentlichen Infrastruktur“, hatte der dbb Fachvorstand Tarifpolitik Volker Geyer bekräftigt. Die gewerkschaftlichen Einkommensforderungen seien mehr als berechtigt – die Arbeitgeber der Bahn und im öffentlichen Dienst der Länder müssten sich endlich bewegen. dbb Chef Ulrich Silberbach hatte die Arbeitgebenden dazu aufgerufen, ihren verbalen Respektsbekundungen für die Beschäftigten endlich materielle Taten folgen zu lassen: „Egal ob aus dem Bahntower oder den Landeshauptstädten: Die Kolleginnen und Kollegen brauchen keine billigen Lobhudeleien mehr, sondern reale Einkommenszuwächse.“ Claus Weselsky, GDL-Bundesvorsitzender, hatte den engen Zusammenhang zwischen Arbeits- und Bezahlbedingungen einerseits und dem Fachkräftemangel andererseits unterstrichen: „Die jungen Leute können sich heute aussuchen, wo sie arbeiten. Wir schießen uns als Bahn oder öffentlicher Dienst doch absichtlich ins eigene Knie, wenn wir darauf nicht mit einer Attraktivitätsoffensive reagieren. Dabei geht es ums Geld und um die Arbeitszeit. Beides muss verbessert werden.“ Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, blickte auf die Solidarität innerhalb der dbb Familie: „Wir stehen hier zusammen, weil wir als dbb für die gesamte öffentliche Infrastruktur einstehen, für innere Sicherheit und Verkehr genauso wie für Bildung, Finanzverwaltung und soziale Absicherung. Wir sind das Rückgrat dieser Gesellschaft und wir verlangen entsprechende ‚geldwerte‘ Anerkennung.“ ■ > Ein steuer- und sozialabgabenfreier Inflationsausgleich in Höhe von 3 000 Euro (stufenweise Auszahlung ab Dezember 2023). > Ab dem 1. November 2024 Erhöhung der Tabellenentgelte um 200 Euro (Sockelbetrag) und ab dem 1. Februar 2025 um 5,5 Prozent (Anpassung des Erhöhungsbetrags auf 340 Euro, wo dieser Wert nicht erreicht wird). > Ausbildungs- und Praktikantenentgelte werden zu den gleichen Zeitpunkten um insgesamt 150 Euro erhöht. Vertragslaufzeit: 25 Monate. Aktuelle Informationen zum Stand der Übertragung des Tarifergebnisses auf Landesbeamtinnen und Landesbeamte finden Sie auf Seite 19. Die Eckpunkte der Einigung Dresden 6. Dezember München, 4. Dezember Düsseldorf, 5. Dezember Saarbrücken, 5. Dezember Berichte und Bilderstrecken zu allen Aktionen sowie alle Infos zur Tarifeinigung 2023 TV-L: dbb.de/einkommensrunde © Michaela Rehle © Daniel Karmann © Dirk Guldner AKTUELL 15 dbb magazin | Januar/Februar 2024

INTERVIEW Nancy Faeser, Bundesministerin des Innern und für Heimat Wer Vertreter unseres Staates attackiert, muss die strafrechtlichen Konsequenzen spüren Der Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst trifft auch die Bundesverwaltung. Ist der Bund als Arbeitgeber modern und attraktiv genug, um seinen Personalbedarf zu decken? Klar stehen wir mitten im Wettbewerb um die besten Köpfe und konkurrieren mit anderen attraktiven Arbeitgebern. Aber wir haben sehr viel zu bieten. Die Ausgangslage für den öffentlichen Dienst beim Wettbewerb um Nachwuchskräfte ist besser als häufig angenommen. Mit der Einführung vielfältiger Instrumente zur Personalgewinnung und Personalbindung – wie teilweise höher bezahlte Eingangsämter, Personalgewinnungs- und Personalbindungsprämien und die verbesserte Anerkennung von Erfahrungszeiten – machen wir den öffentlichen Dienst für Bewerberinnen und Bewerber attraktiver. Und das Wichtigste bleibt: Wer im öffentlichen Dienst arbeitet, der arbeitet für unser modernes und vielfältiges Land, für unsere Demokratie. Dinge gemeinsam verändern und voranbringen zu können – das ist eine große Motivation. Eine Großbaustelle bleibt die Verwaltungsdigitalisierung. Das Ziel des Onlinezugangsgesetzes (OZG), bis Ende 2022 sämtliche Leistungen der Verwaltung auch digital anzubieten, wurde weit verfehlt. Was macht Sie zuversichtlich, dass das Nachfolgegesetz OZG 2.0 erfolgreicher sein wird? Wir wollen unser Land moderner und digitaler machen – und kommen dabei auch voran. Wir bieten mit dem Online-Ausweis und der BundID sichere Authentifizierungsmöglichkeiten. Viele Verwaltungsleistungen sind flächendeckend online, zum Beispiel das Elterngeld, BAföG, das Bürgergeld oder die Anmeldung zu Integrationskursen. Der Bund hat seine Verpflichtungen aus dem OZG im Wesentlichen erfüllt. Und dennoch bleibt auf allen Ebenen des Staats noch sehr viel zu tun. Mit unserem OZG 2.0 verändern wir vieles weiter. Wichtige Aspekte sind zum Beispiel der Ersatz der alten Schriftform durch digitale Anträge und dass wir die BundID zum bundesweiten Nutzerkonto erklären. Und: Leistungen für Unternehmen müssen in spätestens fünf Jahren komplett und nur noch digital sein. ▶ Nancy Faeser © Henning Schacht „Der Bund hat seine Verpflichtungen aus dem OZG im Wesentlichen erfüllt.“ 16 FOKUS dbb magazin | Januar/Februar 2024

Wie bewerten Sie die Chancen und Risiken des Einsatzes künstlicher Intelligenz in der öffentlichen Verwaltung und sehen Sie Digitalisierung auch als Chance für eine umfassende Aufgabenkritik? Wir setzen auf die Chancen durch verantwortungsvoll eingesetzte KI. Für die Arbeitswelt und konkret auch den Service für Bürgerinnen und Bürger wird das vieles positiv verändern. Die Automatisierung von Verwaltungsdienstleistungen, der Einsatz von Sprachmodellen, Chatbots oder Textanalyse-Tools entlastet die Beschäftigten – und die Bürgerinnen und Bürger erhalten schneller die Auskünfte, die sie brauchen. KI kann dabei auch einen wichtigen Beitrag für mehr Barrierefreiheit leisten. Es muss aber immer klar sein, dass KI immer nur ein Assistent ist und am Ende ein Mensch Entscheidungen trifft. Das gilt ganz besonders im Verhältnis von Bürger und Staat. Auch müssen bei diesem gewaltigen Veränderungsprozess viele eingebunden werden und wir müssen viel Know-how und Kompetenzen aufbauen. Aus diesem Grunde bauen wir zur Unterstützung der Bundesverwaltung gerade ein Beratungszentrum für KI auf – das BeKI. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können sich dann ab Frühjahr 2024 beim BeKI bereits rechtlich, ethisch und technisch beraten lassen. Auch stellen wir hier eine Datenbank mit möglichen KI-Lösungen bereit. So schaffen wir Transparenz und Vertrauen für den Einsatz von KI in der Verwaltung. Mit der Anhebung der wöchentlichen Regelarbeitszeit auf 41 Stunden leisten Beamtinnen und Beamte seit 2006 ihren Beitrag zur Haushaltskonsolidierung. Auf der dbb Jahrestagung im Januar 2023 haben Sie in Aussicht gestellt, besonders belastete Berufsgruppen bei der Arbeitszeit zu entlasten. Wann startet die strukturierte Rückführung der wöchentlichen Arbeitszeit? Mir ist bewusst, dass die aktuellen Herausforderungen auch die Beschäftigten im öffentlichen Dienst im besonderen Maße fordern. Neben den großen Transformationsaufgaben, der Digitalisierung und dem Klimaschutz hat der brutale russische Angriff auf die Ukraine tiefgreifende Veränderungen mit sich gebracht. Der öffentliche Dienst hat seine Krisenfestigkeit und hohe Leistungsfähigkeit in den letzten Jahren bewiesen und wird diese auch weiterhin sicherstellen. Eine pauschale Absenkung der Wochenarbeitszeit sehe ich nicht, aber mir ist es weiterhin ein wichtiges Anliegen, dass wir eine Entlastung für besonders belastete Beschäftigtengruppen erreichen. Bei der Prüfung der Entlastungsmöglichkeiten legen wir ein besonde- res Augenmerk darauf, die erforderliche Leistungsfähigkeit der betroffenen Dienstbereiche zu erhalten und gleichzeitig den Gesundheitsschutz zu stärken. Eine Dauerbaustelle ist auch die Besoldung: Der Bund ist die einzige Gebietskörperschaft, die die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterien noch nicht in entsprechende Gesetze gegossen hat, um damit – auch für die vergangenen Jahre – einen Abstand der niedrigsten Besoldung zum Grundsicherungsniveau von 15 Prozent zu garantieren. Wann können die Kolleginnen und Kollegen damit rechnen? Ich bin erst mal weiterhin sehr froh, dass wir im letzten Jahr einen guten und fairen Tarifabschluss für die mehr als 2,5 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen erreicht haben. Dieser Tarifabschluss bringt spürbare Entlastungen für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und er ist Ausdruck der Verantwortung für die Beschäftigten, für die öffentlichen Haushalte, für die soziale Gerechtigkeit – und für einen starken, zukunftsfähigen Staat. Mit der zeit- und wirkungsgleichen Übertragung der Tarifergebnisse auf den Beamtenbereich haben wir bereits einen großen Schritt für eine attraktive Besoldung und Versorgung getan. Daneben arbeiten wir weiter mit Hochdruck am Gesetzentwurf zur Sicherstellung einer amtsangemessenen Bundesbesoldung und -versorgung. Auch wenn es noch weiterer Abstimmungen bedarf, werde ich mich für die berechtigten Erwartungen der Beamtinnen und Beamten des Bundes weiterhin mit voller Tatkraft einsetzen. Gewalt ist ein Gradmesser für den Zustand einer Gesellschaft. Die Fallzahlen von Gewaltdelikten sind deutlich gestiegen, immer mehr Beschäftigte des öffentlichen Dienstes sind betroffen. Worin sehen Sie die Ursachen und wie wirken Sie dem entgegen? Ich bin den Gewerkschaften sehr dankbar, dass wir hier Seite an Seite stehen und dieser Gewalt entgegentreten. Der öffentliche Dienst ist das Rückgrat unseres Staates. Was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf allen Ebenen unseres Staates jeden Tag für uns alle leisten, hat jeden Respekt verdient. Für diesen Respekt müssen wir wieder sorgen. Wer Vertreter unseres Staates attackiert, muss schnell die strafrechtlichen Konsequenzen spüren. Die Ursachen für die Gewalt sind vielfältig, hier ist auch ein differenzierter Blick auf die jeweiligen Bereiche notwendig. Ganz klar ist aber: Viele Beschäftigte im öffentlichen Dienst haben schon Gewalt erlebt. Wichtig ist, jeden Übergriff ernst zu nehmen, konsequent zu verfolgen und den Betroffenen zur Seite zu stehen. Hier können insbesondere die Meldewege besser werden. Hierauf wollen wir unser Augenmerk in einem nächsten Schritt gemeinsam mit den Ländern richten. Der anhaltende Zustrom flüchtender Menschen nach Deutschland sorgt ebenfalls für Konfliktpotenzial: Sicherheitskräfte und Helfende arbeiten an der Belastungsgrenze und darüber hinaus. Die Kapazitäten mancher Kommunen sind erschöpft. Ein Vorwurf lautet, die Bundespolitik höre zu wenig zu. Wie stehen Sie dazu? Wir nehmen die Sorgen der Kommunen sehr ernst. Wir haben für neue Klarheit in der Migrationspolitik gesorgt. Wir schützen Menschen vor Krieg und Terror. Auf der anderen Seite müssen aber auch diejenigen unser Land verlassen, die keinen Schutz brauchen. Hierzu dient nicht zuletzt unser umfassendes Gesetzespaket für mehr und schnellere Rückführungen von Menschen ohne Aufenthaltsrecht. Der entscheidende Schritt nach vorn ist aber, dass wir nach Jahren der tiefen Spaltung der EU ein gemeinsames Asylsystem vereinbart haben, mit dem wir endlich die Verantwortung für Geflüchtete fairer verteilen. Damit entlasten wir auch unsere Kommunen dauerhaft. Wir handeln, um die irreguläre Migration zu begrenzen. ■ „Eine pauschale Absenkung der Wochenarbeitszeit sehe ich nicht.“ FOKUS 17 dbb magazin | Januar/Februar 2024

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==