MEINUNG … Ralf Joas ist stellvertretender Leiter des Ressorts Politik, Wirtschaft und Zeitgeschehen bei der in Ludwigshafen erscheinenden Tageszeitung DIE RHEINPFALZ. Der Autor … © Creative Commons CC0 © Getty Images/Unsplash.com Aufgabenfülle und Regelungswut Wie man das Bürokratiemonster bändigt So mancher mag es schon nicht mehr hören, doch den Auswirkungen begegnet jede und jeder von uns inzwischen tagtäglich: Restaurants und Geschäfte verkürzen ihre Öffnungszeiten. Busse und Züge verkehren verspätet oder gar nicht. Anträge und Genehmigungen erfordern lange Bearbeitungszeiten. Handwerker oder Termine beim Arzt sind, wenn überhaupt, nur schwer zu bekommen – Ursache für all diese und viele andere Unannehmlichkeiten und Ärgernisse ist häufig Personalmangel. Davon bleibt auch der öffentliche Dienst nicht verschont. Nach Schätzungen des dbb fehlen dem Staat mehr als eine halbe Million Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wenn aber der Staat, in welchem Bereich auch immer, seine Aufgaben nicht mehr oder nur noch unzureichend erfüllen kann, ist das nicht nur nervig. Auf Dauer wird dadurch auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in diesen Staat untergraben, droht die viel zitierte Politikverdrossenheit in Staatsverdrossenheit umzuschlagen, drängt sich vermehrt die Frage auf: Warum bezahle ich eigentlich Steuern und Abgaben? Dann wird nicht nur die Rolle des Staates als Dienstleister infrage gestellt, sondern auch die als Garant von Sicherheit, Recht und Ordnung. Auf mehr als 50 000 Stellen schätzt der dbb den Personalbedarf bei den Polizeien von Bund und Ländern, bei der Steuerverwaltung fehlen demnach 40 000, beim Zoll 5 600 Mitarbeiter. Das mag kleine und große Kriminelle, Steuersünder und Unternehmer freuen, deren Geschäftsmodell die Schwarzarbeit ist. Das Vertrauen der Bürger in die schützende Hand des Staates und seiner Organe, der Sinn für Recht und Gerechtigkeit werden dadurch jedoch massiv beschädigt. Der demografisch bedingte Teil dieses Problems wird sich zumindest kurz- und mittelfristig nicht beheben lassen. Angesichts des altersbedingten Ausscheidens der geburtenstarken Boomer-Jahrgänge wird der Ruf nach mehr Personal in vielen Fällen folgenlos verhallen – schlicht, weil es dieses Personal nicht gibt. Wenn aber das Angebot an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern begrenzt ist, stellt sich unweigerlich die Frage, wie und wo diese am nötigsten gebraucht werden, wo sie am sinnvollsten und effektivsten eingesetzt werden können. Optimisten verweisen an dieser Stelle gerne darauf, dass durch die Digitalisierung und den Einsatz von künstlicher Intelligenz für viele Tätigkeiten in Zukunft die menschliche Arbeitskraft nicht mehr oder zumindest in geringerem Maße gebraucht wird. Da ist sicherlich etwas dran. Diese Verlagerung von Tätigkeiten vom Menschen auf Maschinen und KI wird in nennenswertem Umfang aber nur gelingen, wenn die äußerst schleppend vonstatten gehende Digitalisierung der Verwaltung endlich Fahrt aufnimmt. Hier hat Deutschland, auch im internationalen Vergleich, enormen Nachholbedarf. Daneben sollte in Zeiten des – sich eher noch vergrößernden – Personalmangels auch ein Blick darauf geworfen werden, was der Staat und seine Mitarbeiter eigentlich leisten sollen und können. Anders gesagt: Es hilft überhaupt nichts, permanent neue Gesetze, Verordnungen und Regeln zu erlassen, wenn niemand da ist, der deren Einhaltung kontrollieren kann. Wenn das Risiko, bei Schwarzarbeit, Steuervergehen, Verstößen gegen Hygiene-, Arbeits- und sonstige Vorschriften erwischt zu werden, minimal ist, weil es an denen fehlt, die kontrollieren und im Bedarfsfall auch sanktionieren, bleibt jedes noch so scharf formulierte Gesetz Augenwischerei. Die Regeln des Rechtsstaats müssen, damit sie respektiert werden, auch um- und durchgesetzt werden. Damit das bei eher schrumpfendem Personalreservoir gelingt, muss der wachsenden Aufgabenfülle an anderer Stelle Einhalt geboten werden. Man muss nicht gleich lautstark in die zuletzt immer zahlreicher werdenden, in manchen Fällen wohlfeilen Klagen über das überall lauernde Bürokratiemonster einstimmen, um festzustellen: Deutschland leidet momentan an vielem, aber wohl kaum an zu wenigen Regeln und Vorschriften. Hier stehen Aufwand und Ertrag in vielen Fällen in keinem akzeptablen Verhältnis mehr zueinander. Deshalb gilt es, auf allen Ebenen und in vielen Bereichen zu lichten und zu vereinfachen. Nicht nur im Interesse der betroffenen Bürger und Unternehmen, sondern auch mit Blick auf die zuständigen Mitarbeiter in Ämtern und Behörden. Ralf Joas © Getty Images/Unsplash.com Collage: dbb FOKUS 21 dbb magazin | März 2024
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==