dbb magazin 4/2024

Nachgefragt bei Prof. Dr. Doris Weßels, Fachhochschule Kiel KI wird unser Leben gravierend verändern Sie waren viele Jahre sowohl in der freien Wirtschaft als auch in Wissenschaft und Lehre tätig. Wie haben sich diese Bereiche Ihrer Meinung nach durch die Digitalisierung verändert? Ich war vor meiner Tätigkeit als Hochschullehrerin zwölf Jahre lang in unterschiedlichen IT-Managementpositionen in der Wirtschaft tätig. Dort zählten insbesondere das Gespür für Marktpotenziale und die Schnelligkeit in der Umsetzung digitaler Innovationen, um wettbewerbsfähig zu sein und es auch zu bleiben. Bildungsbereiche „ticken“ gänzlich anders. Besonders deutlich ist der Unterschied zu erkennen, wenn es um Zielsetzungen zur Effizienzsteigerung oder einen optimalen Ressourceneinsatz geht. Was in der Wirtschaft fest in der DNA der Organisationen verankert ist, ist im Bildungsbereich zwar in der Theorie bekannt, wird auch gelehrt, aber häufig nicht in der eigenen Organisation angewandt. Das gilt leider auch für den Einsatz digitaler Technologien. Daher hinken wir bei der Digitalisierung im Bildungsbereich hinterher, nicht nur international, sondern sogar im europäischen Vergleich. Digitale Innovationen mit einer Sprengkraft wie ChatGPT und Co. sind für den Bildungsbereich eine ganz besondere Herausforderung, da sie auch noch mit einer rasanten Geschwindigkeit einhergehen. Sehen Sie Unterschiede in der Fähigkeit der Menschen, in diesen beiden Bereichen mit den Veränderungen umzugehen, die die digitale Transformation bringt? Die Unterschiede sind sehr offensichtlich: Die Anpassungsfähigkeit in der freien Wirtschaft ist höher, da der Markt- und Wettbewerbsdruck größer ist. Im akademischen Bereich hingegen existieren oft strukturelle und kulturelle Barrieren, die sich negativ auf die Adaptionsfähigkeit auswirken. Trotz dieser Unterschiede ist es in beiden Bereichen entscheidend, digitale Kompetenzen kontinuierlich zu fördern. In der Wirtschaft ermöglicht die Digitalisierung Innovation und neue Geschäftsmodelle, während sie in der Wissenschaft und Lehre den Zugang zu Wissen und der Entwicklung neuer Lehr- und Lernmethoden fördern kann. Die Integration von generativer KI wie Text- und Bildgeneratoren spielt eine zunehmend bedeutsamere Rolle in beiden Bereichen. Generative künstliche Intelligenz ist ein Quantensprung in der technologischen Entwicklung. Stimmen Sie dem zu? Von mir ein klares „JA“! Diese Technologie wird unser berufliches und privates Leben gravierend verändern; für einige von uns ist das bereits passiert. Wir haben mit generativer KI eine bisher nicht gekannte Innovationsdynamik erlebt, die viele etablierte Prozesse infrage stellt und neue Prozessabläufe ermöglicht, die wir uns vor kurzer Zeit noch nicht einmal vorstellen konnten. Wir müssen nun als Gesellschaft für alle relevanten Bereiche wie Bildung, Forschung, Kultur oder Wirtschaft schnell und im Konsens mit allen relevanten Stakeholderinnen und Stakeholdern Mechanismen zur kontinuierlichen Neujustierung in veränderten Rahmenbedingungen etablieren und einen ausbalancierten Weg finden, der die Stärken von Mensch und Maschine bestmöglich kombiniert und gleichzeitig die Risiken stets im Blick und beherrschbar hält. Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass in Zukunft Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft besser sektorübergreifend kooperieren, intensiver voneinander lernen und Synergien stärker nutzen, um mit der rasanten technologischen Entwicklung Schritt zu halten. Die kontinuierliche Bildung und Förderung digitaler Kompetenzen sowie die Entwicklung ethischer und rechtlicher Rahmenbedingungen für KI sind dabei unerlässlich. Ich betrachte digitale Kompetenzen als entscheidend für die Resilienz und Selbstbestimmung der Menschen im digitalen Wandel. Es geht dabei nicht nur um ein Grundverständnis für die Technik, sondern auch um ein Verständnis für ethische und rechtliche Fragestellungen. Aus diesem Grund ist digitale Bildung auch so bedeutsam. Gelingt uns diese Qualifizierungsoffensive nicht zeitnah genug, droht die Gefahr, dass sich die digitale Spaltung in unserer Gesellschaft weiter verschärft – siehe auch das Ergebnis Ihrer Studie, dass die digitale Mitte sechs Prozentpunkte bei der Resilienz verliert und die digitalen Profis sechs Prozentpunkte gewinnen. Wir leben schon heute in unseren Bubbles in erschreckend voneinander getrennten Welten. Dieser Entwicklung, die letztlich auch eine Gefahr für unsere Demokratiefähigkeit darstellt, müssen wir dringend entgegenwirken. Die Fragen stellte Sandy Jahn, Referentin Strategic Insights & Analytics bei D21. Dr. Doris Weßels ist Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Kiel. © CC BY 4.0/A. Diekötter 26 FOKUS dbb magazin | April 2024

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