dbb magazin 4/2024

diese Entwicklungen sind omnipräsent. Die Krisen werden uns wohl noch ein Stück begleiten, die privaten, beruflichen und gesellschaftlichen.“ Achtsamkeit üben Gleich, ob Jugendliche oder Erwachsene: Resilienz beginnt für Corinna Slawitschka damit, achtsam zu sein. Das bedeute unter anderem, die kleinen Dinge wahrnehmen, die uns selbstverständlich erscheinen, es aber gar nicht sind. „Sich abends bewusst machen: Ich hatte heute eine schöne Begegnung und bin sicher nach Hause gekommen. Und auch, wenn ich im Stau stand und möglicherweise eine Präsentation misslungen ist: Ich bin gesund. Wir haben ständig die großen Krisen vor Augen, aber ganz nüchtern betrachtet lauern doch die größten Gefahren im Alltag, wie die Teilnahme am Straßenverkehr. Unser Gehirn ist ein Meister darin, das auszublenden. Deshalb vergessen wir diese Form von Dankbarkeit, die uns guttut.“ Wichtig sei auch die Erkenntnis, dass Menschen an Herausforderungen wachsen. Sie selbst habe es als junger Mensch zum Beispiel gehasst, vor Gruppen zu sprechen. „Heute stehe ich auf Bühnen. Warum? Weil ich in der Schule präsentieren und meine Komfortzone verlassen musste. Ich rede nicht davon, Menschen mit Angststörungen in Situationen zu treiben, die ihnen nicht behagen. Mir geht es um die Realität, dass es im Leben immer Situationen gibt, die uns Bauchschmerzen bereiten. Und diese können wir meistern. Resilienz trainieren heißt, die Komfortzone zu verlassen.“ Corinna Slawitschka war auch Speakerin auf dem Ideencampus der dbb jugend am 19. Oktober 2023 in Berlin. Dort war der achtsame Umgang mit digitaler Kommunikation eines ihrer Themen. „Das klappt, indem wir, ganz plakativ gesagt, auch mal das Handy beiseitelegen – und stattdessen Selbstreflexion üben: Achtsamkeit bedeutet auch, in sich hineinzuhorchen. Sich strukturiert mit seinen Gedanken auseinanderzusetzen, Gedankenhygiene zu betreiben. Was passiert da gerade in meinem Köpfchen? Stecke ich im Gedankenkarussell fest? Empfinde ich etwas als unangenehm? Wo spüre ich das in meinem Körper?“ Wer den Medienkonsum einschränke, gewinne Zeit – eine Ressource, die in vielen Familien mittlerweile fehle. „Gemeinsame Zeit. Zeit zum Zuhören. Zeit für echte Begegnungen. Das ist ganz wichtig, um Resilienz zu formen – denn sie definiert sich auch dadurch, dass wir im echten Leben liebe Menschen um uns haben, die uns im Krisenfall auffangen.“ Resilienz ist auch in der Berufspraxis wichtig. Im öffentlichen Dienst gelten etwa Lehrerinnen und Lehrer als gefährdet für Burn-out. Doch auch sie können ihre Situation sinnvoll analysieren und für sich Strategien für mehr Resilienz entwickeln, ist Slawitschka überzeugt. „Hohe Arbeitsbelastung, laute Klassen, Diskussionen mit Eltern, versäumte Erziehungsaufgaben nachholen, digitalen Unterricht gestalten – all das sind mögliche Stressfaktoren für Lehrkräfte, die es im Einzelfall zu identifizieren gilt. Nehmen wir das Beispiel Digitalisierung: Durch die Pandemie war der Overheadprojektor plötzlich mit einem Fingerschnippen weg. Viele Lehrkräfte sahen sich mit den Fragen konfrontiert: Was wird jetzt von mir erwartet? Wie nehme ich die jungen Menschen mit, die teils viel fitter im Digitalen sind als ich?“ Zunächst sei das Erkennen und Akzeptieren eines Stressfaktors wichtig, um in die Problemlösung zu kommen – im konkreten Fall könne das eine Fortbildung sein. Wer das Problem jedoch ignoriere und nicht akzeptiere, verschärfe den Stress. Deswegen sei der Gedanke spannend, dass Schülerinnen und Schüler in einem solchen Fall ihren Lehrkräften etwas beibringen und ihnen die neuesten digitalen Entwicklungen zeigen können. Gemeinsame Lösungen als Schlüssel „Akzeptieren heißt auch: Ein Lehramt ist ein stressiger Job. Es wird immer wieder schwierige Kinder und Eltern geben. In diesem Zusammenhang ist es zum einen wichtig, sich die Sinnfrage vor Augen zu führen: Lehrerinnen und Lehrer leisten einen unfassbar wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft, indem sie junge Menschen fachlich ausbilden. Sie legen das Fundament für die Arbeitswelt. Wer weiß, warum er etwas macht, dass sein Handeln einen Nutzen hat, kann oft besser mit Stress umgehen.“ Auf der anderen Seite gehe es aber auch darum, sich Auszeiten zu schaffen, sich nach Feierabend abzugrenzen, wie bei allen anderen stressigen Jobs auch. Sich aktiv zu sagen, dass nun Feierabend sei, und etwas zu unternehmen, was einem guttut. Zeit mit Menschen zu verbringen, die einem guttun. Einen Ausgleich herzustellen, Energie zu tanken. Möglicherweise auch über Probleme sprechen, um sie zu verarbeiten. „Denn das leistet unser Gehirn am besten durch Versprachlichung, alternativ auch durch Verschriftlichung.“ Corinna Slawitschka wäre kein guter Coach, wenn sie Krisen nicht auch als Chancen begreifen würde. „Ja, es gibt viele Krisen. Aber ganz objektiv betrachtet geht es den meisten Gesellschaftsschichten verhältnismäßig gut. Das dürfen wir nicht vergessen. Und dann ist mir wichtig: Die Pandemie hat meiner Meinung nach dazu geführt, dass viele Menschen auf sich bezogen sind. Wir müssen aus dem Ich-Denken raus und wieder zu einem progressiven Wir-Denken kommen. In diesem Zusammenhang muss sich übrigens auch der Staat Strategien überlegen, wie er die Leute zusammenbringt, wie er Räume für Begegnungen und Austausch schafft. Wertewelten austauschen, Diversität leben – das ist die Grundlage, um gemeinsame Lösungen für die Krisen unserer Zeit zu finden.“ cdi Corinna Slawitschka, Gründerin von Rethink work. © Rethink work SERVICE 41 dbb magazin | April 2024

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